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[11] Einleitung: Verfassung und Verfassungsrecht als Gegenstand politischer Bildung – Dokumentation des Verfassungstags an der TU Dortmund

Thomas Goll, Benjamin Minkau

Politische Bildung durch Gedenktage – Der Verfassungstag der TU Dortmund

Am 23.05.2019 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 70 Jahre alt. Ein wahrhaft bemerkenswertes Alter für ein ursprüngliches Provisorium. Das Jahr 2019 war zudem auch das Gedenkjahr für 100 Jahre parlamentarische Demokratie in Deutschland, deren staatsrechtliches Gründungsdokument, die Weimarer Reichsverfassung, am 31. Juli 1919 von der Nationalversammlung mit großer Mehrheit angenommen wurde. Beide Verfassungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Sie sind Ergebnisse großer politischer Umwälzungen und Meilensteine der demokratischen Entwicklung Deutschlands. Sie dokumentieren politische Verhältnisse und rahmen politische Prozesse. Wissen über und Verstehen von Verfassungen und Verfassungsrecht sind damit notwendige Elemente der historischen und politischen Urteilsfähigkeit. Diese Elemente zu vermitteln, muss daher Aufgabe der politischen Bildung und notwendiger Bestandteil politikdidaktischen Denkens sein (vgl. Goll 2017).

Anders als die Bundesrepublik Deutschland sollte sich die Republik von Weimar als wenig stabil erweisen. Schon bei der ersten Reichstagswahl verlor die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP nicht nur ihre verfassungsgebende, sondern die absolute Mehrheit, die sie in Wahlen nie mehr erreichen sollte. Bezeichnend ist auch, dass der Verfassungstag der Weimarer Republik, der 11. August, erst zwei Jahre nach der Verfassungsgebung eingeführt wurde und sich während des Bestehens der Weimarer Republik nicht in allen Ländern des Reichs als gesetzlicher Feiertag etablieren ließ (vgl. Poscher 1999). Dieser Umstand offenbart Mängel einer demokratischen politischen Kultur. Den Verfassungstag der eigenen Republik nicht angemessen zu feiern, ist als Menetekel für deren Akzeptanz zu werten. Wie sehr auch heute wieder um politische Symbolik gerungen wird, zeigt sich in vielen Beispielen, die Grenzen des Sagbaren neu zu ziehen und über Framing und Wording politische Kultur nicht nur [12] oberflächlich zu beeinflussen, sondern bis in ihre Tiefenstruktur zu verändern.

Um sowohl der Geschichte der Demokratie in Deutschland zu gedenken als auch den Zusammenhang von Verfassung und Verfasstheit ins Bewusstsein zu heben, führte der Lehrstuhl für integrative Fachdidaktik Sachunterricht und Sozialwissenschaften angesichts beider Jubiläen am 23. Mai 2019 eine Grundgesetz-Verteilaktion auf dem TU-Campus durch und veranstaltete am 24. Mai 2019 einen Verfassungstag an der TU Dortmund. Eine besondere Würdigung erfuhr diese Veranstaltung dadurch, dass Bundestagspräsident a.D. Prof. Dr. Norbert Lammert zu einer Podiumsdiskussion an die TU Dortmund kam, um mit Studierenden und Lehramtsanwärtern der Fächer der politischen Bildung ins Gespräch zu kommen. Ihm wie auch der Schulministerin des Landes Nordrhein-Westfalen Yvonne Gebauer sowie der Rektorin der TU Dortmund Frau Professor Dr. Dr. h.c. Ursula Gather ist für ihre Wertschätzung des Verfassungstages und ihre Beiträge zu danken. Dieser Dank gilt auch der Freundegesellschaft der TU Dortmund, die den Verfassungstag großzügig finanziell unterstütze.

Der vorliegende Band dokumentiert die ausgearbeiteten Vorträge des Verfassungstages und die Ergebnisse einer Gelegenheitsbefragung unter Studierenden der TU Dortmund über ihr Verhältnis zum Grundgesetz. Er adressiert in seinen Beiträgen Studierende, Lehramtsanwärterinnen und -anwärter sowie Lehrkräfte der Fächer der politischen Bildung. Er vereint historische, politikwissenschaftliche und politikdidaktische Perspektiven auf die Bedeutung des Grundgesetzes für die politische Bildung und identifiziert Desiderate und Herausforderungen für die Aus- und Weiterbildung zukünftiger und gegenwärtig unterrichtender Lehrkräfte, von denen viele fachfremd eingesetzt sind. Damit versteht er sich auch als bildungspolitischer Appell, die Themen Verfassung und Verfassungsrecht systematischer und stärker in die Lehramtsausbildung zu integrieren und angesichts der Herausforderungen für die Demokratie dabei nicht nur an Fachlehrkräfte der politischen Bildung, sondern im Einklang mit dem 2018 aktualisierten Beschluss der KMK „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ an alle Lehrkräfte zu denken.

Aufbau dieses Buches

Der Band ist als Einheit zu verstehen. Da sich immer fachliche und fachdidaktische Perspektiven ergänzen, wurde auf eine nicht angemessene Untergliederung verzichtet. Dennoch ist der Aufbau nicht beliebig. Auf grundlegende fachliche Beiträge zur historischen Dimension der Thematik (Goll) und zu den [13] Verfassungswerten des Grundgesetzes (Detjen) folgen evidenzbasierte Beiträge zum Wissen von jungen Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen (Hahn-Laudenberg) und von Studierenden der TU Dortmund (Gronostay/ Minkau) über das Grundgesetz und politische Strukturprinzipien der Bundesrepublik Deutschland. Grundlegende fachdidaktische Überlegungen zum postulierten Stellenwert und zur tatsächlichen Präsenz von Verfassung und Verfassungsrecht für und in Schule und Lehrerbildung (Goll) leiten über zu konzeptionellen und methodischen Fragen im Zusammenhang mit der Mappe „Grundgesetz für Einsteiger“ der Bundeszentrale für politische Bildung (Krüger/Goll).

Der Band beginnt mit dem grundlegenden Beitrag von Thomas Goll „Berlin ist nicht Weimar“. Der Autor erörtert die Bedeutung der Verfassungen in beiden deutschen Demokratien, indem er zunächst die politischen Lagen von damals und heute vergleichend gegenüberstellt. Darauf folgend wird der Stellenwert der Verfassung in Hinsicht auf die politischen Konstellationen und die politische Kultur der Weimarer Republik und der Bundesrepublik reflektiert. Die daraus erwachsenden Folgerungen werden anschließend einer politikdidaktischen Reflexion unterzogen, um die Relevanz der Überlegungen für die politische Bildung begründen zu können.

Die folgende Abhandlung von Joachim Detjen gibt einen Überblick über 14 maßgebliche Verfassungswerte des Grundgesetzes. Zunächst wird grundlegend das Verhältnis von Verfassung und Werteordnungen erörtert. Dem folgt die Identifikation der Verfassungswerte, die der politischen Ordnung des Grundgesetzes Legitimität verschaffen und damit dessen Fundament bilden. Aufgrund seines überragenden Stellenwertes wird der Wert der Menschenwürde besonders erörtert. Anschließend werden die staatlichen Ordnungswerte des Grundgesetzes, die den Charakter der in Deutschland ausgeübten staatlichen Herrschaft prägen, vorgestellt. Der Text schließt mit der Bedeutung des Erörterten für die politische Bildung.

Grundlegend ist auch der folgende Beitrag von Katrin Hahn-Laudenberg „Politisches Wissen von Schüler*innen über Grundrechte und das parlamentarische Regierungssystem. Herausforderungen für die schulische Auseinandersetzung mit zentralen Inhalten des Grundgesetzes“. Er präsentiert empirische Erkenntnisse zum konzeptuellen politischen Wissen bei Schülerinnen und Schülern über zwei zentrale Aspekte der politische Ordnung Deutschlands. Nach einer knappen Vorstellung der dabei berücksichtigten Studien werden zunächst herkunftsbedingte Disparitäten im politischen Wissen betrachtet, um im Anschluss die beiden genannten Aspekte genauer in den Blick zu nehmen.

Dorothee Gronostay und Benjamin Minkau stellen in ihrem gemeinsamen Beitrag die Ergebnisse einer Gelegenheitsumfrage im Rahmen des Verfassungstags vor und verdeutlichen die hohe Bedeutung des Wissens zum Grundgesetz [14] für das historische und demokratische Verständnis der Bundesrepublik. Als Testinstrument wurde ein Fragebogen zur Erhebung konzeptuellen Wissens zum deutschen Grundgesetz entwickelt. Die empirischen Befunde bieten überraschende Erkenntnisse zum Wissen zu fundamentalen Grundprinzipien des Grundgesetzes im Allgemeinen und insbesondere zum Wissen von Lehramtsstudierenden.

Der Beitrag von Thomas Goll „Rechtsstaat als Thema von Schule und Lehrerbildung“ geht von der These aus, dass die Beschäftigung mit dem Grundgesetz zu den notwendigen Inhalten der politischen Bildung gehört. Am Beispiel des Verfassungsprinzips Rechtsstaat untersucht er, ob die selbstverständliche Präsenz des Grundgesetzes im fachdidaktischen Kanon zu einer faktischen Präsenz in einem qualitativ hochwertigen Politikunterricht führt. Dazu wird die normative Begründung dieses Inhaltsfeldes mit einer exemplarischen Analyse der Schul- und Lehrerbildungswirklichkeit in Nordrhein-Westfalen kontrastiert, um daraus bildungspolitische und politikdidaktische Folgerungen abzuleiten.

Im abschließenden Beitrag von Thomas Krüger und Thomas Goll „70 Jahre Grundgesetz – Von der Bedeutung des Grundgesetzes als Stoff für die politische Bildung und zur Arbeitsmappe ‚Das Grundgesetz für Einsteiger‘“ formuliert und erörtert zunächst der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung drei zentrale Thesen zur Bedeutung des Grundgesetzes für die politische Bildung, bevor Thomas Goll Konzeption und fachdidaktische Grundsätze der Mappe „Grundgesetz für Einsteiger“ vorstellt und anhand eines konkreten Beispiels erläutert.

Anmerkung: Die sprachliche Markierung des Genderaspekts wurde den Mitwirkenden aus prinzipiellen Gründen freigestellt. Daher sind Differenzen im Sprachgebrauch möglich und zugleich Anlass, diesen im Lichte des Verfassungsrechtes zu reflektieren.

Literatur

Goll, Thomas (2017): Rechtliches Lernen. In: Lange, Dirk / Reinhardt, Volker (Hrsg.): Basiswissen Politische Bildung, Band 1: Konzeptionen, Strategien und Inhaltsfelder Politischer Bildung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 587–596. Poscher, Ralf (1999): Verfassungsfeiern in verfassungsfeindlicher Zeit. In:

Ders. (Hrsg.): Der Verfassungstag. Reden deutscher Gelehrter zur Feier der Weimarer Reichsverfassung. Baden-Baden: Nomos, S. 11–50.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

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