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Unterrichtseinheit I

I. Literaturarbeit

Einführung ins Thema anhand der Auseinandersetzung mit literarischen Originaltexten.

I.1

Lesen Sie der Klasse den Text Behalte den Flug im Gedächtnis1 vor, ohne ihn zum Mitlesen zu verteilen/zu projizieren.

Bitten Sie die Schüler und Schülerinnen, beim Zuhören nicht nach „dem Sinn“ des Textes zu suchen und auch der Versuchung zu widerstehen, „einer Handlung“ folgen zu wollen. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, die Bilder, die sie hören, sowie deren Abfolge und den Rhythmus, in dem sie vorgetragen werden, aufmerksam wahrzunehmen und sich von ihnen zu eigenen Assoziationen verleiten zu lassen.

Es geht bei diesem Schritt nicht in erster Linie um einen kognitiven oder Verstehensprozess, schon gar nicht um einen der Analyse. Es geht darum, dem Text eine Chance zu geben, in der Wahrnehmung der Zuhörer und Zuhörerinnen eine je individuelle Wirkung zu entfalten. Erklären Sie den Schülern und Schülerinnen das und nehmen sich ruhig ein wenig Zeit dafür, denn dieser Auftrag unterscheidet sich in der Regel sehr von Unterrichtsaufträgen, wie die Schüler und Schülerinnen sie gewohnt sind. Stellen Sie sicher, dass das Wirkenlassen des Textes als Hauptaufgabe verstanden wird, indem Sie darauf hinweisen, dass es kein richtiges oder falsches Assoziieren und Empfinden beim Zuhören gibt.

Ziel

Literarische Bilder wahrnehmen und auf sich wirken lassen, ohne in Bewertung oder eine Vorstellung vorgegebener Deutungen, Ergebnisse, Wertungen zu geraten.

I.2

Klären Sie mögliche Verständnisprobleme, zum Beispiel:

 patrouillieren

 Absperrung

 Grenzer

I.3

Lesen Sie den Text erneut vor.

I.4

Sammeln Sie nach diesem zweiten Vortrag an der Tafel, was der Klasse an diesem Text beim Zuhören aufgefallen ist, zum Beispiel:

 Er besteht aus einer Reihung von Fragen.

 Er gibt keine Antworten auf diese Fragen.

 Er verrät nicht, wer die Fragen stellt.

 Er scheint von einem möglicherweise nicht sehr gut verlaufenen Abschied zu handeln.

 Er scheint vom Verlassen eines Landes zu handeln.

 Er berichtet von der Sichtung eines Berges, die in Frage gestellt wird.

 Er klärt nicht, um welchen Berg es sich handelt.

 usw.

Möglicherweise nennen die Schüler und Schülerinnen bereits hier auch Gefühle, die der Text bei ihnen evoziert hat. Sollte das der Fall sein, notieren Sie auch diese an der Tafel.

I.5

Verteilen Sie den Text an alle.

I.6

Lesen Sie den Text erneut vor und fordern Sie die Klasse auf, still mitzulesen.

I.7

Diskutieren Sie mit der Klasse, was durch das Mitlesen über das bereits an der Tafel Notierte hinaus am Text auffällt.

Lassen Sie die Punkte zusammentragen, ohne Sie zu kommentieren, dazu kommen Sie später noch:

 Er ist linksbündig geschrieben, aber rechtsbündig gesetzt.

 Er ist durchgehend in Kleinschreibung gehalten.

 Er besteht aus Fragen, verwendet aber als Satzzeichen ausschließlich Punkte.

 Evtl. kommen Sie sogar hierzu: Die Umbrüche scheinen keine tiefere Bedeutung zu haben, wie es sonst in der Lyrik der Fall ist (Prosaverweis).

 usw.

I.8

Teilen Sie die Klasse in Gruppen mit höchstens vier Personen auf. Die Gruppen sollen ein oder mehrere Szenarien zum Text entwerfen und diese in Stichpunkten festhalten:

 Wer könnte der Ich-Erzähler/die Ich-Erzählerin (oder das lyrische Ich) sein?

 Wo, in welchem Ort/Land könnte sich das Geschehen abspielen?

 Was könnte sich am Flughafen abgespielt haben?

 Was könnten Gründe für die angedeutete Reise/den angedeuteten Flug gewesen sein?

 Wie könnte der Garten ausgesehen haben?

 Warum wurde möglicherweise die Tür nicht geschlossen?

 Was könnte es mit den Uniformierten auf sich gehabt haben?

 Wer könnten „die Frau“ und „der Mann“ gewesen sein?

 Von welchem Berg könnte im Text die Rede sein?

 Was könnte den Ich-Erzähler/die Ich-Erzählerin (das lyrische Ich) dazu gebracht haben, diese Fragen zu stellen, obwohl er/sie doch offensichtlich am beschriebenen Geschehen teilgenommen hat?

 usw.

I.9

Sammeln Sie die Ergebnisse stichpunktartig an der Tafel. Es wird sowohl Szenarien geben, die bei vielen/allen vorkamen, als auch Einzeldeutungen. Sie sollten alle gleichwertig an der Tafel stehen und es sollte möglichst kein Richtig oder Falsch, sondern eine Vielzahl von logischen Deutungsoptionen geben. Solange ihre Verbindung zum Text in irgendeiner Weise gegeben ist, haben sie alle ihre Berechtigung.

I.10

Erarbeiten Sie anhand der Tafelnotizen zusammenfassend und gemeinsam mit den Schülern und Schülerinnen, dass

 das Prosagedicht eine Situation vor unserem inneren Auge evoziert, die nicht ausdifferenziert oder eindeutig beschrieben wird,

 das Prosagedicht zahlreiche Bilder in uns aufkommen lässt, die zusammengenommen Vermutungen darüber erlauben, was für ein Geschehen möglicherweise beschrieben wird/vom Ich-Erzähler/der Ich-Erzählerin (dem lyrischen Ich) erlebt wurde,

Hinweis

Hierbei ist wichtig, dass diese Vermutung bei jedem Schüler/jeder Schülerin anders ausfallen können und trotzdem immer zulässig sind! Es geht nicht darum, auf eine einzige, gültige Deutung hinzuarbeiten.

 das Prosagedicht durch die Fragen, die es stellt und auf die es keine Antwort gibt, einen Raum der Einsamkeit, der Trauer und (bei älteren Schülern und Schülerinnen, bei jüngeren mit ausführlicherer Erklärung:) der ungewissen Zeugenschaft eröffnet. Regen Sie die Schüler und Schülerinnen gern an, weitere „Räume“ zu benennen, die möglicherweise für sie eröffnet wurden und von den hier genannten abweichen.

I.11 Exkurs Traumaliteratur/Traumasprache

Wenn Sie möchten, könnten Sie hier noch weitergehen, und mit Ihren Schülern und Schülerinnen eine kleine Einheit zum Thema Trauma in der Literatur (insbesondere zu literarischen Traumasprachen) einbauen. Dieser Vorschlag sprengt die Vorgaben für diesen Text. Für die unter Ihnen, die Interesse an dieser Spur haben, verweise ich aber zum Beispiel auf Agota Kristóf (1987), Aglaja Veteranji (1991) oder meinen eigenen Roman brennt (Mohafez 2010).

II – Schreibarbeit

II.1.

Fordern Sie die Schüler und Schülerinnen auf, sich an ein Ereignis in ihrem eigenen Leben oder im Leben eines Menschen, den sie kennen, zu erinnern, das

 schmerzhaft war,

 mit Verlust zu tun hatte oder

 als bedrohlich empfunden wurde.

Hinweis zu „Black-outs“ bei dieser und vergleichbaren Aufgabenstellungen

Sollte jemand überhaupt keinen Einfall dazu haben, kann das unterschiedliche Gründe haben:

Zum einen blenden manche Menschen solche Erfahrungen aus ihrer Wahrnehmung komplett aus oder wollen sich ihnen auf keinen Fall im Rahmen von Schule und Schreibaufgaben zuwenden. In dem Fall ist es von großer Wichtigkeit, nicht in sie zu dringen und keinen Druck aufzubauen. Sie machen ja Deutschunterricht und wollen keine psychologisch komplizierten Situationen evozieren.

Zum anderen, wenn auch sehr selten, haben jüngere Menschen solche Erfahrungen einfach noch nicht gemacht.

Ermöglichen Sie Schülern und Schülerinnen, die einer dieser Gruppen angehören, die Mitarbeit,

1 indem Sie die Möglichkeit geben, sich eine solche Situation auszudenken, statt auf eine zurückgreifen zu müssen, die wirklich stattgefunden hat. Gestatten Sie auch den Rückgriff auf Erlebnisse von Filmhelden oder -heldinnen, Figuren aus Büchern, die die Kinder und Jugendlichen gelesen haben oder ähnliches,

1 indem Sie Beispiele geben, die unter Umständen als weniger belastend empfunden und von den meisten Kindern und Jugendlichen auf jeden Fall schon einmal erlebt wurden, zum Beispiel den Verlust eines Kuscheltieres in der Kindheit, den Tod eines Haustieres, eine kleinere Enttäuschung in einer Freundschaft oder ähnliches

Alle, denen ein biografischer Moment einfällt, sollten aber bestärkt werden, ihn als Grundlage für die folgende Schreibaufgabe zu verwenden.

II.2

Die Schüler und Schülerinnen sollen sich den Moment, für den sie sich entschieden haben, so deutlich wie möglich vergegenwärtigen:

 Wer war dabei?

 Wo fand die Situation statt?

 Welche Gefühle spielten eine Rolle?

 Wie war das Wetter?

 Gab es besondere Gerüche?

 Gab es besondere Geräusche?

 usw.

II.3

Geben Sie den Schülern und Schülerinnen – je nach Durchschnittsleistungsstärke der Klasse – 20 bis 40 Minuten Zeit, um einen Text zu verfassen, der sich in Form aneinandergereihter Fragen um den von ihnen ausgewählten Moment beziehungsweise die von ihnen gewählte Situation dreht und in etwa die Länge des behandelten Prosagedichts aufweist.

Hinweis zu Abweichungen in der Umsetzung der Aufgabe

Manchmal weichen Schüler und Schülerinnen von Teilen dieser Aufgabenstellung ab und entwickeln, entlang der gemachten Vorgaben, aber sich von ihnen entfernend, eigene Regeln, zum Beispiel werden keine Fragen aneinandergereiht, sondern parataktisch strukturierte Aussagesätze oder Bündelungen von Adjektiven, die Gefühlslagen beschreiben.

Sollte etwas in der Art geschehen, ist das nicht zu kritisieren, sondern im Gegenteil: hervorzuheben und als gleichwertig positiv zu bewerten, weil es zeigt, dass das literarische Prinzip verstanden und eigenständig weiterentwickelt wurde.

Aber auch, wenn die meisten Vorgaben nicht eingehalten wurden, sondern zum Beispiel ein reiner Prosatext entstehen sollte, dessen einzige Verbindung zur Aufgabenstellung die Auseinandersetzung mit einer traumatischen, traurigen, verunsichernden etc. Situation ist, ist das Ziel der Übung erfolgreich erreicht worden: Der Schüler oder die Schülerin hat ausgehend von der Auseinandersetzung mit einem literarischen Originaltext eigenständig einen Text verfasst.

Hinweis zum Vortrag von Texten, die die Schüler und Schülerinnen verfasst haben

Erfahrungsgemäß entstehen bei dieser Aufgabe Texte, die teilweise extrem persönlich sind und intime Situationen behandeln. Es ist daher von großer Bedeutung, es den Schülern und Schülerinnen freizustellen, ob sie Ihren Text am Ende vortragen wollen oder nicht.

Manchmal ist es in Ordnung für Schüler und Schülerinnen, die ihren Text nicht vortragen wollen, wenn er von jemand anderem vorgelesen wird. Bieten Sie diese Option immer mit an und bieten Sie auch immer an, die Texte selbst vorzulesen. Von den Schülern und Schülerinnen wird das in der Regel als große Wertschätzung ihrer Arbeit empfunden.

II.4

Alle Schüler und Schülerinnen, die bereit dazu sind, tragen ihren Text selbst vor der Klasse vor oder lassen ihn von jemandem vorlesen.

Sehr gern können sie dafür nach vorn kommen. Ermutigen Sie die Klasse, nach dem Vortrag zu applaudieren, und zwar auch dann, wenn ihnen der Text inhaltlich nicht besonders gefallen hat. Erläutern Sie der Klasse dazu das Folgende:

Ziel des Vortrags ist nicht, Gefallen zu erzeugen oder eine unter Umständen hervorragende Leistung zu präsentieren.

Ziel ist es, den Mut und das Selbstvertrauen zu haben, geschützt-öffentlich zu einer eigenständig verfassten literarisch-kreativen Arbeit zu stehen.

Unterrichtswelten – Dialoge im Deutschunterricht

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