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Annäherung (III)
ОглавлениеAbschied. Ein literarisches Beispiel: Die US-amerikanische Schriftstellerin Joan Didion erzählt in ihrem 2005 in den USA veröffentlichten autobiographischen Roman Das Jahr des magischen Denkens von einem anderen Abschied: vom Tod ihres Mannes. Der Roman beginnt mit einer Notiz, die die naheliegenden Themen des Romans zusammenfasst:
Das Leben ändert sich schnell.
Das Leben ändert sich in einem Augenblick.
Man setzt sich zum Abendessen, und das Leben, das man kennt, hört auf.
Die Frage des Selbstmitleids.
Diese Themen, die diese Notiz versammelt, beziehen sich in Das Jahr des magischen Denkens nicht nur auf Didions Mann, den Schriftsteller John Gregory Dunne, mit dem sie 40 Jahre verheiratet war, sondern auch auf ein anderes Unglück, auf eine parallele Trauer – auf einen doppelten Abschied: ihre gemeinsame Tochter Quintana lag im Koma, als ihr Vater an einem Herzinfarkt starb; über den Tod von Quintana, die zwei Jahre nach ihrem Vater an den Folgen einer Gehirnblutung stirbt, wird Didion in ihrem darauffolgenden, sechs Jahre später veröffentlichten Roman, Blaue Stunden schreiben. Beide Romane, Das Jahr des magischen Denkens wie auch Blaue Stunden, erzählen vom Abschied und dem Abschiednehmen als einer existentiellen Erfahrung, als einer prinzipiellen Unausweichlichkeit: davon, wie der Tod in die Ordnung ihres Lebens einbrach, und dieses Leben von Grund auf veränderte. Das Leben ändert sich in einem Augenblick. Und von diesem Punkt an wird es kein Zurück mehr geben.
Didion weiß: Es gibt kein Leben ohne Abschied. Ohne Verabschiedung. Auch, wenn sie darüber schreibt, unter anderem unter Bezugnahme auf medizinische Quellen, bleiben diese Ereignisse unbegreiflich. Sie – der Tod, die Trauer, der Abschied – entziehen sich dem Verständnis, auch wenn wir wissen, auch wenn wir verstanden haben, dass es kein Leben ohne Tod, ohne Trauer und ohne Abschied gibt. Didions Romane versuchen diese existentielle Grausamkeit zu verstehen. Aber auch Literatur kann der Sinnlosigkeit dieser Ereignisse keinen Sinn abringen – aber sie kann ihre Sinnlosigkeit darstellen; von ihr erzählen. Und von diesem Punkt an kann es kein Zurück mehr geben.