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Predigt am Sonntag Sexagesimae, 19. Februar 2017 (zu Mk 4, 26–29)

Reinhard Freier

Liebe Gemeinde,

der heutige Sonntag, der Gottesdienst und die Predigt sind dem Thema der Bedeutung des Wortes Gottes gewidmet. Das gilt auch für den Rahmen und den Bezug, in den ich den heutigen Predigttext hineingestellt habe. Auch wenn es bodenarchäologische und prähistorische Funde gibt, ist Panitzsch erst mit der Nennung seines Namens aus seinem Dornröschenschlaf, sprich aus der Versenkung der Vergangenheit, herausgetreten und in die Geschichte eingetreten, obwohl es viel älter ist! Erst mit der Notiz in einer Urkunde haben wir verlässliche Kunde von Panitzsch. Das gilt auch für das Wort Gottes: Erst mit der mündlichen und dann schriftlichen Überlieferung von Worten, Texten und Berichten haben wir Einblick in den Glauben der Israeliten und der Christen. Wir lesen von den Führern des Volkes, den Propheten, Johannes dem Täufer, Jesus, Paulus, den Verfassern der Evangelien und der anderen Schriften. So wird es auch mit uns werden. Nur über schriftliche Äußerungen werden wir im Bewusstsein der eigenen Nachfahren und unserer Nachwelt „bleiben“, wenn die „Sichel“ kommt und die Ernte da ist, wird sich zeigen, ob wir Früchte gebracht haben oder nicht! Und es bleibt die Frage, was Dominanz hat, was stärker ist: die Natur des Vergehens, der Vergänglichkeit oder des Stirb und Werde in der Gnade Gottes.

Wir feiern in diesem Jahr 2017 mit dem 500 jährigem Jubiläum der Reformation auch 750 Jahre von Panitzsch und Borsdorf. Dieses Jubiläum ist mehr oder weniger zufällig, denn beide Orte, die bis zum Jahre 1999 selbständig waren, sind viel älter. Bei diesem Jubiläum ist das Datum der urkundlichen Ersterwähnung ausschlaggebend. Für Panitzsch ist das ein Schriftstück, das auf den 14. Februar 1267 und für Borsdorf auf den 27. Juli desselben Jahres datiert ist. Dabei handelt es sich um eine Teilungsurkunde, die der Bischof Friedrich I. von Merseburg für zwei Brüder, Hoyer den Jüngeren von Friedeburg und den Älteren ausstellte. Dabei wurde „villa bansc cum omnibus attinentiis = Dorf bansc mit sämtlichem Zubehör“, ergänze des ganzen Gebietes, Hoyer dem Jüngeren zugesprochen. Villa bansc geht vermutlich auf slaw. „bana = Tal oder Grube“, zurück, was auf die Parthenaue gedeutet werden kann. Was über das Flüsschen in seiner Gesamtlänge von nur 60 km und seine Anrainer gesagt werden kann, ist ganz erstaunlich. Bereits zwei Jahre später, am 29. April des Jahres 1269 wird der Ort gleich wieder erwähnt, da Hoyer der Jüngere von Friedeburg die villa bansc eben jenem Bischof Friedrich I. von Merseburg verkaufte, der zwei Jahre zuvor jene Ersterwähnungs- und Teilungsurkunde ausgestellt hatte.

Die Gebietsgrenze zur nördlich gelegenen Mark Landsberg bildete die Parthe. Es kam zu Streitigkeiten zwischen dem Bischof Friedrich von Merseburg und dem Markgrafen Dietrich von Landsberg, die auf dem Rücken der Bauern ausgetragen und erst nach mehreren Jahren beigelegt wurden.

Bereits einhundert Jahre vorher geht aus dem „Stadtbrief“ von Leipzig von Markgraf Otto dem Reichen hervor, der zwischen 1156 und 1170 datiert wird, dass man die Leipziger Messe „um 1165“ als Gründungsjahr angeben kann. Im Jahre 1268, ein Jahr nach der Ersterwähnung von Panitzsch stellte Markgraf Dietrich von Landsberg das Geleitschutzprivileg aus, was für die Entwicklung des Fernhandels von großer Bedeutung war: „Allen Kaufleuten, die in Leipzig Handel treiben wollen oder Warenlager besitzen, wird absoluter Schutz gewährt, auch wenn der Markgraf mit den Herren der Kaufleute in Fehde liegt!“ Der Schutz der Kaufleute stand also über kriegerischen Auseinandersetzungen. Schon damals galt: Business as usal!

Die urkundliche Ersterwähnung vom 14. Februar 1267 ist aber nicht die Geburtstunde von Panitzsch, sondern der Ort existierte viel länger. Allein als christliche Ansiedlung ist er mindestens 200 Jahre älter. Denn zwischen den Jahren 1050 und 1080 hat es aufgrund bodenarchäologischer Funde bereits eine erste christliche Missionsstation gegeben. Als Pioniere errichteten mittelalterliche Landnehmer, Lokatoren, zusammen mit Plebanen, Bauerpriestern, im hinteren Drittel des jetzigen Kirchenschiffes auf einer ca. 35m2 großen Grundfläche eine solche Missionsstation. An dieser Stelle des Hügels, des heutigen Kirchberges gab es bis 600 n. Chr. bereits ein germanisches und danach bis zum Jahre 900 ein slawisches Heiligtum. Die Slawen wurden durch die christlichen Siedler entweder nach Osten in das Gebiet der heutigen Oberlausitz abgedrängt oder wurden vom christlichen Glauben mehr oder weniger überzeugt und ließen sich taufen und wohnten schiedlich und friedlich zusammen.

Aus der Missionsstation wurde bald eine erste Stab- oder Pfahlkirche und danach ein hölzerner Fundamentschwellenbau errichtet. Die zeitlichen Abstände der neu errichteten Holzkirchen betrugen ca. 50 Jahre. Solange schätzt man deren Lebensdauer. Vielleicht wuchs auch die Zahl der Bevölkerung. Zwischen 1150 und 1200 wurde die erste Steinkirche auf Steinfundamenten mit Mauerwerk aus Feldsteinen, aus sogenanntem Muldenkiesel erbaut. Den romanischen Bau hat man erst nach 500 Jahren, 1705 in der Länge erweitert und in der Höhe aufgestockt. Anstelle kleiner romanischer Rundfenster wurden große lichtdurchlässige Barockfenster eingebaut, was dem gegenwärtigen Zustand entspricht und uns gut tut, in dem wir heute Gottesdienste feiern, Konzerte hören und Veranstaltungen wie Vernissagen und Ausstellungen erleben und Vorträge hören.

Der Handel im Kreuzungsbereich zweier mittelalterlicher Verkehrsadern, der via imperii in Nord- Südrichtung und der via regia in West-Ostrichtung war für die Entwicklung von Panitzsch von großer Bedeutung, sonst wäre es eine Wüstung geworden. Der Blaue Engel als eine alte Herberge mit seinem großen Hof war zugleich eine Ausspanne für Pferde. Aber nicht nur Kauf- und Fuhrleute, sondern auch Fernreisende kehrten ein und übernachteten hier. Der Blaue Engel lag in der Dorfmitte am Steinweg und war Teil der südlichen via regia, auch Hohe Straße genannt, der Handels- und Postverbindung von Breslau-Görlitz-Bautzen-Dresden-Großenhain nach Leipzig und über Merseburg-Erfurt-Eisenach-Frankfurt nach Paris und weiter bis Madrid oder Santiago de Compostella, auch als Jakobspilgerweg bekannt. In entgegengesetzter Richtung verlief die nördliche Strecke über Warschau, Moskau bis Nowgorod.

Erst als im Jahre 1837 mit dem Bau der Staatsstraße zwischen Leipzig und Dresden begonnen wurde, die durch das südlicher gelegene Borsdorf verlief, verlor Panitzsch seine bisherige Bedeutung. Kurze Zeit gehörte Panitzsch zum Gerichtsamt Taucha, ab 1875 wieder zur Amtshauptmannschaft Leipzig. Seit dem Bau neuer Wohngebiete nach 1990 hat sich die Zahl der Bewohner von Panitzsch nahezu verdreifacht und er ist gleichberechtigter Ortsteil von Borsdorf.

Über einen Zeitraum von 750, ja von 1000 und mehr Jahren hat es hier eine bewegte Geschichte gegeben. Wir haben nicht nur den Eindruck, dass die Zeit immer schneller und rasanter verläuft und wir vor ihr hergetrieben werden, sondern die Ereignisse überschlagen sich. Die Kirchgemeinden Gerichshain-Althen, Borsdorf-Zweenfurth und Panitzsch bilden seit 2015 gleichberechtigte Schwesterkirchgemeinden mit Dienstsitz des Pfarrers in Borsdorf. Aber spätestens ab 2019 wird es eine weitere Strukturanpassung geben. Wenn die Zahlen nicht weiter sinken werden, dann werden für 4000 Gemeindeglieder nur noch zwei Pfarrstellen zur Verfügung stehen. Das entspricht flächenmäßig einem Gebiet von Püchau, Machern, Brandis, Beucha, Gerichshain-Althen, Zweenfurth-Borsdorf und Panitzsch. Das hat die Synode der evangelisch-lutherischen Landeskirche bereits vor dem großen Lutherjubiläum beschlossen. Was da an Veränderung auf uns zukommt, möchte man sich gar nicht vorstellen, geschweige denn erleben. Aber das Leben und der Glaube werden weiter bestehen. Hören wir den Predigttext für heute:

Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes verhält es sich wie mit einem Menschen, der Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst, – aber er weiß nicht wie. Denn die Erde bringt wie von selbst Frucht hervor, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da!

Im Bildteil der Gleichniserzählung wird das Reich Gottes mit einem Menschen verglichen, der Samen auf das Land streut. Das ist seine Aufgabe, die er zu tun hat! Danach kann er zwar den Boden auflockern, befeuchten, hacken und düngen, aber alles andere hat er nicht mehr in der Hand, sondern das muss er der Natur oder Gott überlassen, je nachdem, ob man die Natur und ihre Gesetze gelten lässt oder ob man an Gott den Schöpfer aller Dinge glaubt und ihm vertraut.

Mit dem Verfasser dieses Gleichnisses versteht man dann, dass Gott uns als seine Werkzeuge einspannt, um an seinem Werk mitzubauen und entsprechend unseren Gaben und Aufgaben nachzukommen. Nach diesem Gleichnis kann sich der Mensch, wenn er seinen Teil dazu beigetragen hat, sogar schlafen legen, denn alles weitere geschieht wie von selbst. Der Mensch braucht sich nicht einmal als Werkzeug Gottes zu betrachten. Vielmehr muss er sich bewegen, um zu leben und zu überleben, wenn er sich nicht zurückbilden und verkümmern will. Das weiß und spürt jeder, der durch Krankheit einmal zwangsweise für längere Zeit „außer Gefecht“ war. Eine Aufgabe braucht jeder Mensch, denn ohne Beschäftigung, ohne eine mehr oder weniger sinnvolle, zielgerichtete Tätigkeit geht er zugrunde. Wenn der Halm, die Ähre, der Mensch Frucht gebracht hat, schickt er die Sichel, denn die Ernte ist da. Wie ein Halm mit Ähre vermag auch der Mensch Frucht zu bringen.

Das geht auch auf den biblischen Schöpfungsauftrag zurück: „Macht euch die Erde untertan!“ Diesen Imperativ hat der Mensch, wie vieles in der Ambivalenz der Dinge in seiner Selbstüberschätzung und Anmaßung missverstanden. Statt sie zu bewahren, hat er sie ausgebeutet.

Mir scheint, der Schöpfungs- wie der Taufbefehl stehen in einem gewissen Zusammenhang. Der Schöpfungsbefehl wird ohne Ehrfurcht und Rücksicht gegenüber der Schöpfung betrieben und hat ungeahnte Ausmaße angenommen. Dabei fand die gleichzeitige Mahnung der Bibel kaum Beachtung: „Herrscht über die Sünde!“ Das bedeutet, dass ein „Weniger“ im Sinne der Schöpfungserzählung und des Griffes nach dem Apfel „mehr“ wäre.

Aber was hat das mit dem Taufbefehl zu tun „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und lehret sie halten, alles, was ich euch befohlen habe. Und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung der Schöpfung“? Auf uns bezogen, bedeutet das: Erst nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust am jüdischen Volk im Namen Gottes hat der christliche Glaube tolerantere Züge angenommen und ein menschenfreundlicheres Gesicht bekommen. Bis dahin war auch die christliche Religion intolerant und militant. Wir brauchen eigentlich nicht sprach- und fassungslos zu sein, wie fanatisch andere Religionen sind und handeln. Haben Christen doch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts andere Konfessionen und Religionen bekämpft und ausgerottet, was ihnen im Wege stand. Dazu kam und kommt noch immer die Demütigung und Ausbeutung anderer Völker und Staaten auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, so dass wir auf Kosten und zu Lasten der Armen und Ärmsten leben, auch wenn es vorsichtiges und zaghaftes Umdenken und Handeln gibt.

Dabei hat kein Mensch Grund, sich über den anderen oder andere zu erheben. Worin wir den anderen anklagen, sind wir selbst verstrickt. Das ist nicht nur eine Faust- und Zeigefingerregel, sondern das stimmt wirklich! Das Gegenteil nimmt dieser Tage groteske Züge an: Selbsterhebung, Hochmut und Eigenlob wirken fatal. Wir stellen es merkwürdigerweise bei anderen schnell fest. Nur bei uns selbst merken wir es nicht. Worauf müssen wir hören? Worauf können wir uns verlassen?

Wenn wahr ist, was wir glauben, dass Gott im Regiment sitzt und er der Herr der Geschichte und auch unserer Geschicke ist, dann braucht uns um unsere Zukunft und um die der Kirche nicht bange zu sein. Aber wir müssen uns prüfen, ob wir in dem Maße, in dem wir uns mit uns selbst beschäftigen und um uns selber drehen, wir uns auch um die Probleme unserer Mitmenschen und unserer Umwelt kümmern. Wir müssen uns fragen und prüfen, wie wir selbst uns dafür einsetzen oder uns auf die Macht oder Ohnmacht des Staates verlassen und wie weit wir dabei auch der Macht und Kraft des Geistes Gottes vertrauen, die uns mit unserer kleinen Kraft beflügelt und leitet.

Dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen, begründet von Martin Luther, entspricht auf gesellschaftlicher Ebene die demokratische Mitverantwortung aller. Man kann sich nicht nur auf andere, auf den Staat beziehen. Jeder muss auch selbst Verantwortung übernehmen, verantwortlich handeln. Vielleicht greift und wirkt hier auch alles zusammen. Kirche ist und bleibt nur Kirche, wenn sie nicht Kirche der Macht und der Mächtigen ist. Auch in einem weltanschaulich neutralen Staat sind der Kirche staatliche Zuwendungen und Sonderleistungen willkommen. Das kann abhängig machen und Mitbeteiligung an der Macht birgt Gefahren in sich. Es scheint, dass Kirche nur in der Bedrängnis ihrem ursprünglichem Auftrag nachkommt. Das schafft Solidarität und lässt uns auch an den Nächsten denken und für ihn handeln. Wenn wir das tun, dann wachsen wir als Kirche und reifen persönlich, auch im Sinne der Nächstenliebe.

Dietrich Bonhoeffer als Gewährsmann des Glaubens in dunkelster Nacht auch und besonders für uns heute schreibt sinngemäß: Gott führt uns nicht um die Probleme des Lebens vorbei, aber er hilft uns hindurch. Dazu gibt er uns nur so viel Widerstandskraft, wie wir sie in der Situation brauchen, „damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

In der Liedstrophe von Matthias Claudius wird zusammengefasst, was der heutige Bibeltext beinhaltet: „Wir pflügen und wir streuen, den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen, liegt in des Himmels Hand. Der tut mit leisem Wehen, sich mild und heimlich auf und träuft, wenn wir heimgehen, Wuchs und Gedeihen drauf. Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn. Drum dankt ihm dankt und hofft auf ihn.“

Wir brauchen nur zu tun, was uns aufgetragen ist, nicht mehr, aber auch nicht weniger. So wie die Saat von allein wächst, so reift die Frucht auch von selbst und dann wird sie abgehauen, denn die Ernte ist da. Wir sind Bettler und Lobsänger zugleich, das ist wahr.

Und der Friede Gottes, der alles menschliche Denken und Handeln übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Panitzsch

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