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Der Angriff auf Irlands ökonomisches Erfolgsmodell in der EU
und seine weiterreichenden Perspektiven
ОглавлениеDie Entscheidung der EU-Kommission, dass Apple 13 Mrd. Euro plus Zinsen an Irland zahlen soll, ist das Ergebnis eines Urteils, das den irischen Staat bezichtigt, gegen EU-Recht zu verstoßen. Das Land habe sich durch unerlaubte Steuervergünstigungen gegen EU-Beihilfevorschriften vergangen. Tax Rulings, verbindliche Vorabsprachen nationaler Steuerbehörden mit einzelnen Unternehmen, sind zwar nicht prinzipiell verboten, aber im Falle der Einigung, welche der Fiskus in Irland mit Apple getroffen hat, liegt laut EU-Kommission ein Vergehen vor. Die Reaktion aus Irland folgt prompt: Manch ein Parlamentarier ist von der riesigen Summe beeindruckt, die Apple laut Kommission dem irischen Staat zu zahlen hätte, und denkt laut darüber nach, was die Regierung damit alles leisten könnte. Die Regierungslinie ist jedoch eine andere: Der Staat will das Geld nicht und macht den Streit zu einem Fall des Europäischen Gerichtshofs. Der Schaden, sollte Apple, abgeschreckt durch die neuen Steuerpflichten, seine Geschäfte teilweise oder ganz aus Irland abziehen, wiege schwerer als die Einbuße an Steuergeldern, seien sie auch noch so hoch – so die amtliche Stellungnahme, die noch einmal Auskunft darüber gibt, wie der irische Staat in der internationalen Konkurrenz national rechnet:
„Für den irischen Finanzminister Michael Noonan ist Apple genau das: Ein wertvolles Lebensmittel, das keimen soll, damit irgendwann noch schönere und größere Kartoffeln aus ihm wachsen, die nur darauf warten, geerntet zu werden. Für den irischen Finanzminister ist Apple also eine Art ‚Saatkartoffel‘: Das Unternehmen bringt Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Dafür muss man pfleglich mit ihm umgehen, darf es nicht schröpfen. Man vernichtet nicht die Kartoffel, die einen nährt. … Bloß 12,5 Prozent vom Gewinn müssen Unternehmen an Irland zahlen, nur die Schweiz und Bulgarien sind günstiger. Das hat nicht nur Apple angezogen, das wertvollste Unternehmen der Welt, sondern auch Google und Facebook. Mehr als 700 amerikanische Unternehmen mit mehr als 140 000 Angestellten haben sich in Irland niedergelassen. Apple beschäftigt dort rund 6000 Leute.“ (faz.de, 4.9.)
Wenn die EU-Kommission nun gegen einseitige Tax Rulings vorgeht, ist also nichts Geringeres in Frage gestellt als das Konstruktionsprinzip der ökonomischen Staatsräson Irlands.
Dieser Angriff ist zwar nicht neu. Vom Standpunkt eines gesamteuropäischen Wachstums zum Nutzen aller Partner kritisieren die EU-Kommission und der EcoFin-Rat seit jeher den Wettbewerb mit Steuervorteilen, mit denen die Mitglieder um ihren nationalen Nutzen aus dem gemeinsamen Markt konkurrieren. Aus ihrer Perspektive ist die Gewährung von Steuervorteilen durch einzelne Mitglieder eine unfaire Wettbewerbspraxis, die der europäischen Staatengemeinschaft unnötige Einnahmeeinbußen beschert. Von daher und angesichts der europäischen Krisenlage dringt die Kommission jetzt im Fall Irland auf Konsequenzen: Irland mag sich durch sein Steuermodell einen Vorteil ausrechnen, mit seinem nationalen Egoismus untergräbt es aber den Zugriff Europas auf Erträge des Binnenmarktgeschäfts, von dem letztlich alle europäischen Staaten nachhaltiger profitieren würden und die sie jetzt angesichts der schlechten europäischen Bilanzen dringlich brauchen – so auch Irland selbst, das sich aus lauter Eigennutz glatt 13 Mrd. Euro durch die Lappen gehen lässt.
Für die europäischen Staaten ist das Ansinnen der Kommission, für die nachhaltige Prosperität Europas nationale Steuerpraktiken infrage zu stellen, unmittelbar eine Affäre ihrer Konkurrenz. Auch die Partnerstaaten werfen der irischen Regierung bereits seit Jahren mangelnde Fairness vor, und auch von ihrer Seite wird der Ton in letzter Zeit harscher: Seit der Krise des irischen Immobilien- und Finanzsektors ab 2007 und spätestens seit der Abwendung des drohenden irischen Banken- und Staatsbankrotts durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus 2010 gilt Irlands Steuermodell als unzumutbares ‚Steuerdumping‘. Der Vorwurf der unfairen Standortkonkurrenz, den die führenden Euro-Staaten nicht nur gegen Irland erheben, und ihre Intention, Irland sowie die Niederlande, Luxemburg und andere zur Aufgabe ihrer Wettbewerbspraxis zu bewegen, zeugt davon, dass die europäischen Partner diese Steuermodelle vom Standpunkt ihres je nationalen Standorts als einen Schaden betrachten, den sie nicht mehr hinnehmen wollen. Das hat einen handfesten Grund: Die Konkurrenz der Mitglieder innerhalb der EU steht seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise Europas, den negativen Wachstumsraten und der immens steigenden Staatsverschuldung tatsächlich unter dem negativen Vorzeichen zu gewärtigender Schäden für die nationalen Kapitalstandorte und die staatliche Verschuldungsfähigkeit. Konkurriert wird nicht mehr um eine möglichst ertragreiche Teilhabe an einem allgemeinen Wachstum, sondern um die Attraktion dessen, was an Geschäften (überhaupt) noch stattfindet, also die Abwälzung der mit der Krise feststehenden ökonomischen Schäden auf die europäischen Partner.
Umso entschlossener wird auch im Fall des ‚Steuerdumpings‘ ein Machtkampf um die rechtlichen Bedingungen des von Europa geregelten Binnenmarkts geführt. Auf der Ebene des europäischen Rechts bemühen sich die EU-Kommission und der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister um eine ‚Steuerharmonisierung‘: Die Kommission verfolgt dabei das weiterreichende Ideal, die steuerrechtliche Standortkonkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten dadurch zu beseitigen, dass die bis dato nationale einer europäischen Zuständigkeit in Sachen Steuerrecht überantwortet wird. Am Fall Apple führt sie einen exemplarischen Kampf um die Souveränität der Steuererhebung. Indem sie unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbskontrolle einen unerlaubten Umgang mit EU-Beihilfevorschriften anklagt, greift sie in die bisher national gehandhabte Steuerhoheit ein. Praktisch vorangetrieben wird so die Durchsetzung eines europäischen Steuerregimes, dem sich Irland, aber im Prinzip alle europäischen Staaten unterordnen sollen. Damit rührt die EU-Kommission an den prinzipiellen Widerspruch zwischen der souveränen Verfügung über das nationale Steuerwesen – immerhin ein wesentliches Moment der staatlichen Organisation von Herrschaftsmitteln – und dem europäischen Supranationalismus.