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Mit Zorn und Zärtlichkeit

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Wer dem Zorn eine positive Lesart im Sinne einer Kraftquelle abgewinnen will, ist nicht notwendig religiös unmusikalisch. Diese ermutigende Einsicht wurde mir auf dem Rückweg von einem Theaterbesuch auf einer Berliner U-Bahn-Station zuteil. Auf einem großen Plakat von Misereor, das eine schwarze Frau mit einer Traglast auf dem erhobenen Haupt zeigte, las ich die Losung:

Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen.

Misereor will mit den Gegensätzen »Zorn« und »Zärtlichkeit« das Spannungsfeld beschreiben, in dem sich die Arbeit des Entwicklungswerks bewegt. Stehe auf der einen Seite der Zorn über die ungerechten Verhältnisse, so stehe auf der anderen das Mitgefühl mit dem Nächsten. Hier sollen aber nicht gegensätzliche Gefühle mobilisiert werden. Die zornige Einsicht in die Not des Schwarzen Kontinents soll die Nächstenliebe mit Nachdruck beflügeln. Auf den Spuren der Erkenntnis von Gregor dem Großen, dass sich die Vernunft mit größerer Wucht dem Bösen entgegen stellt, »wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht«.

Zornig werden, heißt, beteiligt sein. So hat es John Osborne im Vorwort zu seinem Theaterstück Blick zurück im Zorn treffend gesagt. Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit können wir Europa uns schon deswegen nicht gestatten, weil wir an der afrikanischen Misere nicht unschuldig sind.

Auch können wir nicht über ein Menschenrecht auf Nahrung und Obdach räsonieren, wenn wir nicht die Menschen Afrikas tatkräftig darin unterstützen, ihre Lebensgrundlagen eigenständig zu erarbeiten.

Bei Misereor hat man offenbar Thomas von Aquin und Josef Pieper, den Ghostwriter des Papstes, gelesen. Beide verwahren sich dagegen, dass der Zorn gern als ein Beispiel für Maßlosigkeit herhalten muss, wenn es darum geht, die vierte Kardinaltugend, die temperantia, durch negative Verhaltensweisen zu veranschaulichen. Der Heilige Thomas, bekanntermaßen ein sinnesfreudiger Mann, verwahrte sich gegen das – nicht nur unter Christen – gepflegte Vorurteil, dass alles Zürnen böse sei. Zwar tadelt auch er den maßlosen, den unbeherrschten Zorn, schon wegen seiner zerstörerischen Kraft als Untugend. Andererseits zählt er den Zorn zu den Urkräften des menschlichen Wesens. Sanftmut, die dem Zorn gern entgegen gestellt wird, bewirke nur, dass der zürnende Mensch seiner selbst mächtig bleibe. Sanftmut zivilisiere den Zorn, aber schwäche ihn nicht ab. Denn, so Josef Pieper, jene »blassgesichtige Harmlosigkeit, die sich leider oft mit Erfolg für Sanftmut ausgibt, soll doch niemand für eine christliche Tugend halten«! (S. 270)

Der Zorn

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