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Heinrich Schulze Der Obelisk

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Als Maler stehe ich auf der Leiter. Schloss Osterstein hat es in sich. So einfach lässt es sich nicht auf die Wand zeichnen. Aber ich glaube, jetzt hab ich’s. Runter von der Leiter, zurücktreten. Der Obelisk ist viel zu groß oder das Schloss ist zu klein. Also weg damit. Ja nicht auf den falschen Linien herumrutschen. Nur konsequente Korrekturen helfen weiter.

Was für eine Geschichte! Es war nicht zu erwarten, dass ich dieses Monstrum von Schloss einmal an die Wand einer Zwickauer Schule malen würde.

In meiner Kindheit wohnten Onkel und Tante in Zwickau Weißenborn. Es war etwas Besonderes, sie von Oberlungwitz aus zu besuchen. Wenn wir uns nicht dem Dampfross bis zum Bahnhof Pölbitz anvertrauten, fuhren wir mit dem Bus. In die Stadt ging es über eine imposante stählerne Brücke und an einem geheimnisumwitterten Gefängnisareal, unter anderem einem alten Schloss, vorbei. Ich empfand es als gewaltig, gruslig und es regte meine kindliche Fantasie ungeheuer an. Was mochten da für Gangster drin sitzen? Wir stiegen um in den O-Bus. Ab und zu schnappte der Stromabnehmer von der Oberleitung. Der Fahrer zog an einem daran befestigten Strick und fummelte ihn wieder an die Leitung. Faszinierend!

Vom übrigen Zwickau sahen wir nichts. Beim obligatorischen Spaziergang auf den Kuhberg bekamen wir eine Ahnung von der Stadt. Aber als Kinder interessierte sie uns wenig.

Für uns war Chemnitz, später Karl Marx Stadt, das Einkaufs- und Kulturzentrum, Zwickau ein weißer Fleck. Nach dem Studium ging es nach Berlin. Natürlich, wohin denn sonst? Es waren noch Besorgungen für die dortige Wohnung nötig. Man hatte uns erzählt, in Zwickau ließe es sich gut einkaufen. Erstmals schlenderten wir durch diese Stadt. In der Ecke des Marktes ein Renaissancebau. Das sollte das Theater sein? Sehr komisch!

Man lebte in Berlin. Eines war klar, alles, was sich außerhalb Berlins abspielte, war nicht der Rede wert! Logisch, immerhin war es die einzige Stadt der DDR, in der es Pflaumenmus im Handel gab. Da musste der Bürger doch überheblich werden!

Die Jahre vergingen, die eingebildeten „tollen“ Fassaden bröckelten. Es stellte sich heraus, dass speziell in meinem beruflichen Metier, dem Puppentheater, in der nicht so verkrusteten „Provinz“ erstaunliche Entwicklungen vonstatten gingen. Das Puppentheater Zwickau fand landesweit Anerkennung.

„Total bescheuert, verrückt und von allen guten Geistern verlassen!“ Dieser Spruch dröhnte uns in unser neues Domizil mit dem finsteren Schloß hinterher.

Einmal lief ich während der Nahrungssuche mit einem Einkaufsnetz am östlichen Hauptmarkt entlang. Eine Milchflasche rutschte durch die Maschen, zerbarst mit Getöse und die Milch ergoss sich auf den Fußweg. In Berlin hätte das kein Interesse geweckt und man wäre ungerührt weitergegangen. Hier dröhnte eine laute Stimme für alle Passanten hörbar: „Hee Kollesch, mach die Sauerei weg!“ Aha, dachte ich, hier bist du nicht anonym, wirst dich nicht drücken und mit großen Sprüchen punkten können. Hier gilt die klare Ansage.

Im Puppentheater eröffnete sich mir ein großes, interessantes Arbeitsfeld, das ich mit Freuden beackerte und siehe da, die Resultate blieben auch bis in die Hauptstadt und darüber hinaus nicht unbemerkt. Also, in dieser Stadt, in der die Schneedecke durch den Ruß der Steinkohle schnell schwarz wurde, ließ es sich leben und gut arbeiten.

Ich wurde sogar Chef des 1987 errichteten Puppentheaters, ein mir zunächst sehr suspekter Posten, aber ich fitzte mich hinein und stand in der Öffentlichkeit. Langsam wurde ich ein richtiger „Einwohner“ und identifizierte mich mit dieser Stadt. Ihre Geschichte interessierte mich, so dass ich sogar über eine geschichtliche Begebenheit ein Theaterstück verfasste, die Ausstattung dazu realisierte und mitspielte.

Das Gebäude des alten Schlosses Osterstein, das ehemals finstere Gefängnis, ruinös dem Verfall preisgegeben und nach Meinung vieler Zwickauer nur noch Futter für die Abrissbirne, entstand allen Unkenrufen zum Trotz in neuem Glanz. Ein großer Festtag nahte: Das Richtfest mit Aufsetzen des Obelisken als krönenden Abschluss! Mit dem Kulturamtsleiter, der meinen Kumpan und Konkurrenten Hans Federangel darstellte, disputierte ich mit ihm als Martin Römer, einem der reichsten Männer der Stadt des 15. Jahrhunderts, vor dem sich drängenden, staunenden Volk. Wäre mir das in meinen Kindertagen prophezeit worden, ich hätte es nicht geglaubt.

Mehrfach in der Stadt umgezogen, wohnen wir jetzt wieder im Stadtzentrum und ich schaue aus dem Fenster direkt auf das wunderbare Schloss, in dessen Hof ich inzwischen zur Weihnachtszeit häufig Märchen gelesen, gemalt und gespielt habe. Das Umfeld des Schlosses hat sich zu einem tollen Ensemble entwickelt. Das Kornhaus, der Alte Gasometer und die Muldenpromenade über dem Straßentunnel lassen den alten abschreckenden Zustand nicht einmal mehr erahnen. Viele Menschen genießen dieses neu entstandene Areal und die Kinder können sich auf dem wunderbaren Spielplatz, unter dem der Verkehr rollt, austoben. Zum Puppentheater, mitten im Stadtzentrum, ist es nicht weit. Bauwerke verschiedenster Epochen säumen den Hauptmarkt und ergeben optisch reizvolle Eindrücke. Da spaziert man gern umher und selbst ein Griesgram mag ein bisschen Freude daran empfinden.

Und nun bin ich dabei, neben anderen markanten Bauwerken Zwickaus das Schloss auf die Wand zu bannen und den Obelisken werde ich hoffentlich auch noch hinbekommen.

Zwickauer Impressionen

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