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Annerose Kolbe An der Katharinenkirche

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Für mich ist die Katharinenkirche die schönste Kirche in Zwickau. Sie wurde Anfang des 13. Jahrhunderts errichtet und soll sogar noch älter als der ehrwürdige Mariendom sein.

Wenn ich aus Richtung der Paradiesbrücke komme, vor dem historischen Dünnebierhaus stehe und die schnurgerade Katharinenstraße entlang zur Kirche blicke, scheint allerdings hier gar nichts zusammenzupassen. Will ich die Kirche betrachten, wirkt der Supermarkt selbst aus der Ferne übergroß, da stören sogar die unschuldigen Wohnungsneubauten rechts. Aber ich werde magisch angezogen von dem Kontrast, den die neueren, hellen Gebäude mit der dunkel wirkenden Kirche bilden. Wenn ich näher komme, beherrscht sie immer mehr das Bild. Und plötzlich passt alles. Ich habe die Alte Posthalterei zur Linken und das Schloss Osterstein im Hintergrund.

Nun kann ich endlich herantreten und die alten Mauersteine berühren. Es ist schön zu wissen, dass die Kirche schon so alt und immer noch vorhanden ist. Wie sie wohl ursprünglich ausgesehen haben mag? Die Mulde ist nur 250 Meter entfernt, es gab wiederholt Überschwemmungsschäden und auch von Stadtbränden blieb die Kirche nicht verschont. So wurde repariert, umgebaut und modernisiert, dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend. Einstmals als romanische Kirche gebaut, gilt sie heute als spätgotisch. Auf jeden Fall gehört sie zu den ältesten Gebäuden Zwickaus und ist Zeuge der wechselvollen Geschichte der Stadt.

Ich schließe die Augen und versuche, mich ein wenig in vergangene Zeiten zurückzuversetzen. Gar nicht so einfach. Um mich herum brummt der nachmittägliche Verkehr. Gespräche sind keine zu hören, die Leute sitzen in ihren Autos und brausen vorbei. Eine laute Hupe dröhnt. Ich nehme erschrocken die Hand von den Steinen und öffne die Augen. Nein, ich bin nicht gemeint.

Ich gehe ein paar Schritte weiter nach hinten, bemüht, mir die Geräusche von damals vorzustellen. Das kennt man ja aus alten Filmen: Pferdegetrappel, das Holpern von Wagen, lautes Rufen. Aber vielleicht war es auch ganz ruhig hier. Es existieren alte Stiche, da sind nahe bei der Katharinenkirche Häuser und Gärten zu sehen und die Gegend hatte sehr ländlichen Charakter. Da hatte Zwickau noch nicht so viele Einwohner. 1530 waren es beispielsweise 7700 Menschen, die hier lebten. Da kann es wohl sein, dass die meisten sich untereinander recht gut kannten. Und so werden sich Neuigkeiten ganz schnell herumgesprochen haben, ausgetauscht vielleicht beim sonntäglichen Kirchgang.

Inzwischen bin ich beim Thomas-Müntzer-Denkmal angekommen. Die Figur hier wurde 1989 anlässlich seines 500. Geburtstages aufgestellt und hat mir schon immer gefallen. Überhaupt mochte ich früher Thomas Müntzer viel lieber als Martin Luther. Aber das kann am Geschichtsunterricht in der DDR gelegen haben. Jedenfalls sind sie beide zur damaligen Zeit in Zwickau gewesen. Ob sich die beiden über die weitreichenden Folgen ihres Tuns klar gewesen sind? Sicher nicht. Denn wer ist das schon?

Thomas Müntzer kam 1520 für ein halbes Jahr in die Marien- und danach in die Katharinenkirche. Es war ein kurzes, aber heftiges Gastspiel und wenn ich diese Skulptur hier so ansehe, ein sanfter Prediger war er bestimmt nicht. Er geriet mit den Stadtherren in Konflikte, da er Umgang mit den sogenannten Zwickauer Propheten und ihren urchristlichen Überzeugungen hatte. Er predigte vor den einfachen Leuten und es wird bestimmt sehr aufregend und so gar nicht andächtig gewesen sein. 1521 mußte Müntzer die Stadt wieder verlassen. Er hat gewiss nicht von vornherein gewaltsame Auseinandersetzungen, wie sie vom Bauernkrieg bis zu den Refomationskriegen auftraten, gewollt.

Beim Stichwort „Krieg“ muss ich plötzlich an Tschingis Aitmatow denken. War es 1992 oder 1993? Er war hier in der Kirche zu einer Buchlesung. Der Andrang war groß, die Kirche voller Menschen. In der DDR hatten viele Leser immer schon auf jeden neuen Roman von ihm gewartet, wohl auch in der Hoffnung, Antworten auf die Fragen der Zeit zu erhalten. Ich kaufte damals den kleinen Erzählband „Aug`in Auge“ und ließ ihn mir von ihm signieren. Daran erinnere ich mich noch sehr gut, ebenso an das ernste und würdevolle Auftreten des kirgisischen Schriftstellers, an andere Einzelheiten leider nicht mehr.

Aitmatow hat bis zu seinem Tod 2008 nicht mehr viel veröffentlicht, wohl auch, weil er seit 1990 sowjetischer Botschafter in Luxemburg, ab 1995 bis zu seinem Tod Botschafter für Kirgisien in Brüssel war. Man könnte an der Kirche eine Gedenktafel für ihn anbringen. Aber würde man jede Persönlichkeit, die hier war, so ehren, würde ich wohl vor lauter Tafeln das schöne Bauwerk nicht mehr erkennen. Und so verweile ich noch einen Moment in Gedanken und ohne Gedenktafel hier. Aber ich nehme mir vor, Aitmatows letzten Roman „Der Schneeleopard“ doch bald einmal zu lesen.

Wie schnell doch die Zeit vergeht. Ich gehe ein paar Schritte und die katholische Kirche St. Nepomuk kommt in mein Blickfeld. Sie steht ziemlich im Schatten der Katharinenkirche. Wenn man von hinten, also aus Richtung Mulde auf die beiden Kirchen schaut, gibt das ein sehr schönes Bild. So verschieden sie sind, bilden sie doch ein interessantes Ensemble. Hier war ich das letzte Mal zur Schloßweihnacht. Das war sehr romantisch und das übliche Weihnachtsgedudel, was mich immer so abschreckt, erklang nur auf der anderen Schlossseite.

Nun bin ich einmal um die Kirche herumgegangen und mein letzter Blick fällt noch auf den zweiten Supermarkt. Warum musste der ausgerechnet hierher? Irgendwie passt auch er nicht in diese historische Umgebung. Das wird mir besonders jetzt bewusst, nachdem das Kornhaus mit seinen hohen Giebeln endlich so schön saniert wurde. Aber was würde denn hierher überhaupt passen? Eine Moschee? Früher war auch noch ein jüdischer Gebetssaal hier in der Nähe. Und so wären verschiedene Religionen an einem Ort versammelt, denn Gott ist ja wohl doch immer ein und derselbe.

Aber was das wohl wieder für Konsequenzen hätte? Gut, dass ich nicht im Stadtrat sitze und über so komplizierte Dinge entscheiden muss …

Ein Blick auf die Uhr reißt mich aus meinen Betrachtungen. Ich muss jetzt wirklich gehen. Bedauernd drehe ich mich noch einmal zur Kirche um und schaue auf das schöne elegante Türmchen seitlich vom Eingang. Noch ganz in Gedanken lenke ich meine Schritte in Richtung Supermarkt. Jetzt bin ich doch ein bisschen froh, dass er gleich in der Nähe ist. Schließlich leben Menschen hier und müssen einkaufen.

Nach dem Einkauf steige ich ins Auto und schaue beim Fahren noch einmal nach der Katharinenkirche. Bald komme ich wieder, denke ich zum Abschied.

Verzweifelt hupt es aus dem Auto hinter mir. Nun bin ich anscheinend wieder viel zu langsam für den eiligen Zwickauer Straßenverkehr.

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