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Alte Schachtel

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«Alte Schachtel!», ruft mit lauter, aber glasklarer Stimme der Knabe, der seiner Mutter entwischt ist und jetzt ganz aufgeregt zu ihr zurückeilt. Eine grauhaarige, sorgfältig ondulierte Dame versucht, mit dem Bengel Schritt zu halten, kommt jedoch ausser Atem. Die Mutter fängt den Knaben in ihren Armen auf. Schutz suchend schmiegt er sich an sie.

Jetzt erreicht auch die Dame die Mutter, baut sich drohend vor ihr auf, und schon erfüllt ihre Stimme pikiert den Museumsraum, sodass sich zahllose Besucher umdrehen, um zu sehen, was sich dort abspielt.

«Unverschämt ist das, mich als alte Schachtel zu schmähen! Ein Rotzjunge ist das! Und ich bin doch erst vierundachtzig!» Die Mutter weicht bei der Entladung zurück. Besonders beim Wort «Rotz», denn da versprüht die Aufgebrachte Speichel durch die Zähne, als sei sie ein wütendes, sich verteidigendes Lama.

«Er hat es bestimmt nicht böse gemeint», erwidert die Mutter, die Arme noch immer schützend um ihren Sohn gelegt.

«Ein anständiges Kind ist er. Ich erziehe ihn gut, verbiete ihm Schimpfworte …, weiss nicht, was für ein Teufelchen in ihn gefahren ist. Darf ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen?»

«Das genügt nicht», bemerkt die alte Frau weiterhin zischelnd. «Ich will die Strafe sehen. Zumindest eins hinter die Ohren hat der Bengel verdient, oder ziehen Sie ihm die Ohren lang!»

Der Knabe beginnt zu weinen und versteckt sein Gesicht an der Mutter Schulter.

«Los, wird’s bald!», beharrt die Frau auf ihrem Standpunkt, während das «sch» ihrem Adressaten erneut Speichelstreifen entgegenschleudert. «Die Erziehungsmethoden werden immer lascher. Strenger sollten die Sitten wieder sein. Man sieht ja, wohin die Milde führt: Drogen, Diebstahl, Überfälle auf Wehrlose wie mich – Schimpfworte, die uns gestandenen Bürgern an den Kopf geworfen werden …»

Da befreit sich der Junge mit einem Sprung aus der Umarmung seiner Mutter, zieht an ihrer Hand und bemerkt mit seiner hellen Glockenstimme:

«Komm mit, ich zeige dir die alte Schachtel!»

Wütend entfährt es der alten Dame: «Sehen Sie, sogar die Beleidigung wiederholen! Unverschämtheit sondergleichen! Werde mich gleich bei der Museumsleitung beschweren gehen!»

Inzwischen hat der Bub die Mama zu einem Schaukasten gezogen, in dem ein zusammengeschrumpfter brauner Gegenstand neben Pfeilspitzen liegt. Die Beschriftung lautet: «Alte Schachtel. Fundort auf einem Gletscher in der Nähe der Lenk 4500–1600 Jahre v. Chr. Geburt …»

also schachteln mag ich nicht im geringsten. ob alt oder jung, schachtel bleibt schachtel.


Geschichten, die das Landesmuseum schrieb

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