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3. Zweistufige Ethik bei Paulus

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Bei Paulus finden wir zwar nicht so oft explizite Hinweise auf die Ethik Jesu, aber doch einige implizite, also Spuren jesuanischer Ethik an Stellen, an denen weder direkt auf Worte Jesu Bezug genommen wird noch sprachliche Übereinstimmungen mit synoptischen Jesusworten vorliegen.14

Ausdrücklich nimmt Paulus auf ein ihm bekanntes Herrenwort in der Frage der Ehescheidung Bezug (1 Kor 7,10). Obwohl er die Verbindlichkeit des Herrenwortes ausdrücklich anerkennt, gewährt er aus eigener Autorität Ausnahmen für den Fall, dass in einer christlich-heidnischen Mischehe der christliche Partner vom heidnischen Partner in der Ausübung seines Glaubens behindert wird (1 Kor 7,12-16). Die Heiligkeit des Christen ist wichtiger als die strikte Beachtung des Jesuswortes. Hier liegt eine Relativierung des Jesuswortes vor, um dessen Gültigkeit Paulus weiß.

In 1 Kor 9,14 spielt Paulus auch auf ein Herrenwort (vgl. Lk 10,7 par Mt 10,10) an, deutet es aber als Zugeständnis und nimmt selbst eine Verschärfung gegenüber dem Herrenwort vor. Obwohl nach einem Wort des Herrn der Missionar ein Recht hat, von den Adressaten seiner Verkündigung Versorgung anzunehmen, verzichtet Paulus auf dieses Recht um des höheren Zieles willen, dass seine Verkündigung glaubhaft bleibt und so dem Evangelium kein Hindernis in den Weg gelegt wird.

Mehrfach finden wir bei Paulus eine zweigestufte Ethik, insofern er in einer konkreten ethischen Frage ein bestimmtes Verhalten fordert, ein anderes Verhalten aber als ethisch wertvoller empfiehlt. In der Frage der Ehe und der Ehelosigkeit (1 Kor 7) verteidigt Paulus gegen ehe- und sexualfeindliche Tendenzen in der korinthischen Gemeinde die Ehe, er gibt aber seinem Wunsch Ausdruck, dass alle Christen wie er selbst auf die Ehe verzichten (1 Kor 7,7), um ganz für Christus da sein zu können (1 Kor 7,32-35). Die Ehelosigkeit um Christi willen empfiehlt er als den vollkommeneren Weg für den, der das Charisma dazu bekommen hat (1 Kor 7,7), aber er verwirft die Ehe nicht und sieht in ihr auch einen Weg, auf dem man Christus dienen kann.

Eine ähnlich zweigestufte Ethik finden wir in 1 Kor 6,1-11.15 Hier geht es um einen Rechtsstreit zwischen zwei Christen aus der korinthischen Gemeinde, den sie vor einem heidnischen Gericht austragen. Auf den Anlass dieses Streits geht Paulus nicht ein. Einige Stichworte im Text (V 7: „ausrauben“, V 10: „Diebe, Habgierige,…Räuber“) scheinen einen Streit um Eigentumsfragen anzudeuten. Für unser Thema wichtig sind die Alternativen, die Paulus zu dem Rechtsstreit vorschlägt. Da der Streit vor Außenstehenden dem Ansehen der Gemeinde schadet und somit die Mission erschwert, ist das Mindeste, was Paulus von den Streitenden erwartet, dass sie den Konflikt in der Gemeinde mit Hilfe eines zur Gemeinde gehörenden Schlichters lösen (1 Kor 6,5). Der ethisch höhere Weg wäre aber, wenn beide auf ihr Recht verzichteten (1 Kor 6,7). Hier liegt sicher Einfluss von Worten Jesu vor, die zum Verzicht auf Vergeltung und zum Ertragen von Unrecht aufrufen (Mt 5,39-41).

In der Frage des Genusses von Götzenopferfleisch (1 Kor 8) bezieht sich Paulus auch wieder nicht direkt auf ein Jesuswort, aber man spürt trotzdem deutlich die indirekte Prägung durch die Jesusverkündigung. Paulus fordert die liebende Zuwendung zum Mitchristen, auch wenn dieser in seiner theologischen Erkenntnis und in seinem Glauben noch unvollkommen ist. Diese Liebe soll sogar zum Verzicht bereit sein, wenn dies dem anderen auf seinem Weg zum Heil dienlich ist. Hier geht es um eine Frage, die für die Christen in einer überwiegend heidnischen, von vielfältigem Götterglauben geprägten Welt sehr bedrängend war: Darf man als Christ Götzenopferfleisch essen, also Fleisch, das mit heidnischem Kult in Berührung gekommen war, muss man es evtl. sogar, um seine Ablehnung der Götzen und seinen Glauben an den einen Gott zu dokumentieren, oder darf man es nicht? In der korinthischen Gemeinde stehen sich in dieser Frage zwei Gruppen gegenüber: Die sog. Starken sagen, man könne dieses Fleisch essen, das mit dem heidnischen Opferkult in Berührung gekommen ist, da es keine Götzen, sondern nur den einen Gott gibt und das Fleisch deshalb aus christlicher Sicht normales, profanes Fleisch ist. Die andere Gruppe, die Schwachen, wollen dieses Fleisch bewusst nicht essen, da aufgrund der Gewohnheit aus ihrer vorchristlichen Zeit dieses Fleisch sie noch mit den alten Göttern verbindet. Sie haben offenbar den Monotheismus noch nicht verinnerlicht. Für sie verbindet dieses Fleisch noch immer mit den heidnischen Göttern, von denen sie sich durch die Taufe losgesagt haben und die für sie eigentlich keine Götter mehr sein dürften. Das Problem besteht nun darin, dass die Starken ihre Position aggressiv vertreten und dadurch die Schwachen unter Druck setzen, so dass diese in Gefahr stehen, gegen ihre Überzeugung doch Götzenopferfleisch zu essen. Damit gefährden sie ihr Heil, so Paulus, denn dem Gewissen ist Folge zu leisten. Wenn die Schwachen nun gegen ihr Gewissen handeln, setzen sie ihr endzeitliches Heil aufs Spiel.

Obwohl Paulus theologisch den Starken im Prinzip Recht gibt, stellt er sich auf die Seite der Schwachen. Er fordert von den Starken, auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen. Liebe soll ihr Verhalten bestimmen, Liebe zu dem schwachen Bruder, für den Christus starb (1 Kor 8,11). Die Liebe ist hier das entscheidende „Kriterium, das für das innergemeindliche Zusammenleben Relevanz hat (8,1).“16 Heiligkeit und Liebe sind grundlegende Maßstäbe für das ethische Verhalten nach Paulus. Die Heiligkeit verbietet die Teilnahme an heidnischen Kultfeiern, die Liebe gebietet den Verzicht auf ein Verhalten, das eigentlich der theologischen Überzeugung nach erlaubt wäre.17 Paulus schärft hier also letztlich das Liebesgebot ein, das sogar den Verzicht auf ein Recht bedeuten kann, das man eigentlich hat. Der hohe Anspruch des jesuanischen Liebesgebotes wird von Paulus neu in Erinnerung gerufen. Er leitet sich bei ihm ab aus der Heiligkeit der Gemeinde und aus der Verpflichtung der Christen, alle Menschen zum Heil zu führen.

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