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Wider das Familienhurra in der Kirche
ОглавлениеIm katholischen und evangelikalen Milieu rechtskonservativer Prägung grassiert ein unreflektierter bis ideologischer Familismus. Er treibt bisweilen groteske Blüten und dient mehr der Selbstbestätigung als der Nachfolge Jesu Christi. Denn das Christentum ist weder Familienreligion noch Fruchtbarkeitskult. Andreas Püttmann
Beginnen wir mit einigen Schlaglichtern aus dem katholischen Leben:
2007 nahm eine mir bekannte Theologin – Anfang 50, ledig, kinderlos – erstmals am Kongress „Freude am Glauben“ des „Forums deutscher Katholiken“ teil, wo ich referierte. Als konservative Katholikin passte sie eigentlich gut dorthin. Dachte ich. Aber als Eva Herman unter frenetischem Beifall ihre Hymne auf Ehe, Mutterschaft und Familie vortrug, wichen Freude und Identifikation meiner Freundin zusehends einer Beklommenheit. Sie fühlte sich unter diesen Familientrunkenen fremd. „Dahin geh’ ich nie wieder; sowas brauch’ ich nicht“, sagte sie später und meinte nicht nur die Rede der konfessionslosen TV-Prominenten, die zur Bannerträgerin der christlichen Sache hochstilisiert worden war.
Im November 2009 bescheinigte Martin Lohmann vom „Arbeitskreis Engagierter Katholiken“ in der CDU der jungen Bundesfamilienministerin Kristina Köhler (später: Schröder) gleich zu ihrem Amtsantritt, „sich selbst weder politisch noch persönlich mit Ehe und Familie befasst“ zu haben – nur weil sie erst verlobt und nicht schon verheiratete Mutter war. Unsinn natürlich, denn jeder Mensch befasst sich von Kind auf mit Ehe und Familie – der eigenen und anderen. Selbst kreuzbrave, ehewillige Spätzünder sind eben nicht davor sicher, wegen „Familien-Defiziten“ von Katholikensprechern dumm angerempelt zu werden.
Am 26.2.2012 beklagte der katholische Journalist Jürgen Liminski in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, Kinderlose hätten „in der Regel ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als selbst gut verdienende Väter oder Mütter, ohne wie diese etwas für die Zukunft der Gesellschaft getan zu haben“. Tut ein Priester nichts für die Zukunft der Gesellschaft? Oder eine passionierte ledige Lehrerin? Oder ein unverheirateter Ministerpräsident, der zwei Bundesländer bis weit über das Ruhestandsalter hinaus regierte?
Als 2012 die Spionage im päpstlichen Haushalt ruchbar wurde, wunderte man sich laut KNA-Korrespondent Johannes Schidelko im Vatikan, dass „ein ehrbarer Familienvater mit drei Kindern in geregelten Verhältnissen zu einem solchen Verrat fähig sein“ könne (kath.net 26.5.12). Der Familienstand als Ausweis der Seriosität, als schlagendes Indiz, es mit einem moralischen Gesamtkunstwerk zu tun zu haben? Wirkten an den großen Verbrechen der Menschheitsgeschichte nicht überwiegend Männer in „geregelten Familienverhältnissen“ mit, die ihre Ehefrauen und Kinder fürsorglich liebten?
Es ist offenkundig im christlichen Lebensalltag, was auch die Soziologie eruierte: eine hohe Affinität von Christ und „Familientyp“ (Klaus-Peter Jörns). Besonders Katholiken wird eine Tendenz zum „Familismus“ attestiert. Ihr Gefühl der Verbundenheit mit den Vorfahren ist überdurchschnittlich ausgeprägt, Verwandtenbesuche sind häufiger. Die gewünschte und die reale Kinderzahl kirchennaher Christen liegen höher als bei den Konfessionslosen. Religiöse Jugendliche machen sich das Lebensziel „Kinder haben“ um 20 Prozent häufiger zu eigen als Nichtreligiöse. Regelmäßige Gottesdienstbesucher erklären häufiger als Kirchenferne, nichts gegen „Leute mit vielen Kindern“ als Nachbarn zu haben. Auch weisen religiöse Menschen eine unterdurchschnittliche Scheidungsrate auf und ein überdurchschnittlich harmonisches Familienleben, jedenfalls wenn man die Selbstauskünfte zum Maßstab nimmt: „Gemeinsame Mahlzeiten sind uns wichtig“; „Wir sprechen viel miteinander“; „Wenn es Streit gegeben hat, gelingt es uns meist recht schnell wieder, uns zu versöhnen“; „In unserer Familie gibt es Wärme und Geborgenheit“. Soweit, so erfreulich.