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„Kirche für die Armen“ – „Arme Kirche“
ОглавлениеPapst Franziskus fordert uns mit dem Ausruf heraus: „Wie sehr möchte ich eine Kirche für die Armen und eine arme Kirche!“ Er schickt die Kirche auf den Weg, neu zu entdecken, was es bedeutet, eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen zu werden. Wir wollen über diese Frage nachdenken und uns von den Gestalten helfen lassen, zu denen Papst Franziskus in besonderer Beziehung steht: dem hl. Franziskus von Assisi, dessen Namen er gewählt hat, und dem hl. Ignatius, von dessen Spiritualität er kommt und dessen Geist sein Tun atmet.
–Eine Kirche, die sich an den Armen orientiert – an den wirklich Armen und nicht an den nur Nicht-Reichen (wie der Dichter Rainer Maria Rilke unterscheidet) – ist geprägt von der Grundhaltung, auf der alle anderen beruhen, nämlich vom Vertrauen auf Gott allein. Dieses Vertrauen hat Ignatius von Loyola eingeübt und es den Brüdern mitgegeben, die er zum apostolischen Dienst in verschiedene Länder sandte. Das Vertrauen gibt Freiheit und lässt kreativ neue Wege suchen. Das größte Hindernis für eine Kirche der Armen und für das Bild einer armen Kirche ist die Angst vor Ausgesetztheit, Ungesichertheit, Machtlosigkeit und Verwundbarkeit. Vielleicht sind wir noch zu sehr „mit Netzen und Ketten“ an das „Haben“, an Reichtum (Geistliche Übungen Nr. 142) gebunden. Vom Reichtum geht Sicherheit aus, von der Sicherheit Macht und von der Macht alle Gefahren ungerechter Beziehungen zu Dingen und Menschen. Das lässt sich leider auch in der Kirche beobachten. Wie soll dem anders abgeholfen werden als dadurch, dass die Kirche selbst wieder arm und einfach wird?
–Eine Kirche für die Armen ist eine Kirche, die aus dem Bewusstsein lebt, dass ihr Reichtum nicht Geld, politische oder wirtschaftliche Position und nicht Beziehungen sind. Ihr Reichtum ist Gott und der Glaube an Christus. Sie hat mit dem arm gewordenen Herrn nichts zu verlieren, sondern mit ihm nur zu gewinnen.
–Eine arme Kirche ist eine frohe Kirche, eine, die Freude ausstrahlt, die staunen und die – wie der hl. Franziskus – auf zwei Hölzern Geige spielen kann. Sie ist eine Kirche, die in ihrem Vertrauen auf Gott lachen und feiern kann, weil der Reichtum im Herzen und nicht im Geld liegt. Die Kirche ist sehr ernst geworden. Dafür gibt es auch Gründe. Viele Instanzen der Kirche wachen über die Geschicke und Vorgänge der Welt und der Kirche selbst. Aufmerksamkeit ist nötig. Die Aufmerksamkeit auf die gute Entwicklung in die Zukunft darf nicht mit Angst um Position und Macht verwechselt werden. Freude an der guten Sache ist stärker als die Angst vor bösen Entwicklungen. Die Angst vor Bösem führt das Böse mitunter erst herbei. Die Kirche wird Kirche der Armen, wenn sie die Haltung des Staunens und der Fröhlichkeit der Armen lebt und teilt.
–Im Sonnengesang hat Franziskus alle Geschöpfe – sogar den Tod – seine Geschwister genannt. Welche Gelassenheit, welche Offenheit und Freiheit sich da ausdrückt! Dieses Lied soll Franziskus im Augenblick des Todes angestimmt haben, in der Situation letzter Gott- und Weltoffenheit. Ist nicht das das tiefste Zeugnis, das ein Armer zu geben hat?
–In der asiatischen wie auch in der christlichen Tradition wird Armut als eine Quelle innerer Freiheit gesehen, die nötig ist, um den Willen Gottes überall und in allen Dingen zu finden. So gibt es in diesen Traditionen viele inspirierende Geschichten, die oft mit einem Guru, einem geistlichen Lehrer zu tun haben. Etwa: Ein Räuber bestahl den geistlichen Meister. Der Dieb aber ist beeindruckt und beschämt von der Armut des Bestohlenen. Dieser überlässt dem Räuber willig seinen ganzen Besitz. Der Räuber aber merkt, dass ihm der geistliche Meister viel mehr geschenkt hat, als er selbst zuerst sah. Der Arme übergibt mit seiner Armut seinen ganzen Reichtum (vgl. Lk 21,1–4).
–Eine Kirche der Armen setzt nicht Interessen jeglicher Art ins Zentrum, sondern im Zentrum, als Anfang und Ende, steht Gott. „Primo Deum“ („Zuerst Gott“) hat Ignatius von Loyola gesagt. An Gott orientiert sie sich. Ihn sieht sie im „Mensch gewordenen“ Herrn, im „armen Christus“. Dieser aber fordert die Kirche auf, sich ihm anzugleichen, ein „alter Christus“ (ein anderer Christus) zu werden. Das fordert von der Kirche, die wie er werden will, Mut zu einer Freiheit, die nicht an Äußeres gebunden ist, an Dinge und Traditionen, sondern offen ist für Neues und für Überraschungen.
–Eine Kirche für die Armen muss selbst arm und bescheiden werden. Die Exerzitien des hl. Ignatius lehren, dass Gott in allem sich gibt, in allem wirkt und lebt, in allem von oben herabsteigt wie das Wasser von der Quelle und die Strahlen von der Sonne (Geistliche Übungen Nr. 340 f.): Gott ist in allem zu finden. Das gilt nicht nur innerhalb der Grenzen des katholischen Glaubens, sondern universell. Die Kirche hat gelernt, dass der Dialog mit den Religionen und Kulturen nicht mehr aus dem Bewusstsein der abendländischen Superiorität geführt werden kann. Die Kirche kann in ihrem Dialog den anderen Kulturen und Religionen nur auf Augenhöhe begegnen. Sie muss das Evangelium verkündigen, aber im dialogischen Ringen um die Wahrheit. Sie wird den Reichtum der Kulturen respektieren und bereit sein, auch von der Wahrheit und von den Werten, von den menschlichen Haltungen und vom Geist Gottes, der auch in anderen Religionen und Kulturen waltet, zu lernen. Sie ist nicht mehr das „signum elevatum inter populos“, wie das Erste Vatikanische Konzil sagte, ein herausragendes Zeichen unter den Völkern, sondern die Dienerin der Wahrheit und die Zeugin der Liebe.
–Eine solche Kirche kann schließlich vor der modernen Gesellschaft glaubwürdig bezeugen, dass ein menschliches, liebevolles und in großer Freude gelebtes Leben auch mitten in der Armut möglich ist, ohne alle die guten Dinge zu haben, die für ein frohes Leben so wesentlich erscheinen. Es gibt in dieser Hinsicht zahllose Zeugnisse christlicher und nicht-christlicher Heiliger.
Die Rede von der Kirche für die Armen als einer armen Kirche löst Angst und Unsicherheit aus. Auf theoretischer Ebene und mit Argumenten kann man Ängsten kaum begegnen. Wir werden uns in immer neuen Begriffsklärungen und endlosen Definitionen verfangen. Die Sprache von Gleichnissen und Zeichen, wie sie Papst Franziskus in großer Zahl setzt, führt weiter, rüttelt auf und schafft Raum zum Denken – und Beten.