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ОглавлениеJörg Alt / Klaus Väthröder
Was will das Buch „Arme Kirche – Kirche für die Armen: ein Widerspruch?“
Klaus Väthröder SJ ist Leiter, Dr. Jörg Alt SJ stellvertretender Leiter der „Jesuitenmission“ in Nürnberg
Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“ Dieser Ausruf von Papst Franziskus bei seiner ersten Pressekonferenz vor Tausenden Journalisten am 16. März 2013 begeisterte uns. Stand dieser Aufruf doch in einer Reihe mit symbolischen Zeichen, die Papst Franziskus seit seiner Wahl gegen das vatikanische Zeremoniell durchsetzte: keine teuren roten Kalbslederschuhe mehr, Verzicht auf die Staatskarosse, Begleichung der Hotelrechnung. Dieser Papst, so scheint es, will auf Seiten der Armen stehen und man kann ahnen, dass er mehr in die Wege leiten wird, um es nicht beim Symbolischen zu belassen.
Fragestellung des Buchs
„Prima!“, denken wir uns, „genau die Art Rückenwind, die wir in unserem Geschäft benötigen!“ Steht doch die Hilfe für Arme in der Welt im Zentrum unserer Projektarbeit und unseres Freiwilligenprogramms und die Auseinandersetzung mit den Strukturen von Armut (die im Übrigen auch dazu beiträgt, dass die Schere zwischen Reich und Arm in den reichen Ländern immer weiter auseinandergeht) im Zentrum unserer Publikationen, Forschung und Kampagnenarbeit. Beim näheren Hinschauen fragt man sich aber: „Arme Kirche – Kirche für die Armen“: Wie passt beides denn zusammen? Ist das nicht ein Widerspruch?
Einfach ist die Frage ganz und gar nicht zu beantworten: Ist eine Kirche arm, kann sie einerseits zwar glaubwürdig mit den Armen gemeinsam arm leben und ist erkennbarer in der Nachfolge Jesu und seiner ersten Jünger. Aber: Die Kirche würde andererseits zugleich viel „institutionellen Muskel“ verlieren, mit dem sie Armen in Deutschland und weltweit wirksam hilft und einen Unterschied in deren Leben machen kann. Nur ein Beispiel anhand eines der stärksten Symptome dafür, dass mit unserer Welt etwas nicht in Ordnung ist: illegale Migration und Menschenhandel. Ohne Geld, das beispielsweise von der „Jesuitenmission“ gesammelt und weitergeleitet wird, könnten die Kirchen in den Herkunftsländern keine Präventions- und Aufklärungsprogramme durchführen, ohne Geld in den Zielländern keine Sozialdienste unterhalten oder Advocacy betreiben, etwa indem durch das „Katholische Forum Leben in der Illegalität“ sehr erfolgreich Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung und beim Schulbesuch von Kindern „Illegaler“ erreicht werden konnten.
Zugegeben: Jesus und seine Jünger lebten sehr einfach. Aber: Jesus und seine Jünger hatten eine Kasse, aus welcher Armen geholfen wurde (Joh 12,5 f.), und es gab in ihrem Umfeld Frauen, die sie begleiteten und mit dem unterstützten, was sie besaßen (Lk 8,3). Sicher: Jesus beauftragt seine Jünger, auf dem Weg der Verkündigung weder Proviant noch Geld mitzunehmen. Beim letzten Abendmahl deutet er jedoch an, dass es nach seinem Tod anders werden würde, und mahnt, ab sofort einen Geldbeutel einzustecken (Lk 22,36).
Ähnlich vieldeutig sind die Erzählungen der urchristlichen Gemeinde. In der Apostelgeschichte steht: „Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam“ (Apg 4,32). Aber das trifft auch auf die prachtvollen Benediktinerabteien zu, die während der Barockzeit entstanden und uns bis heute mit Staunen erfüllen: Die darin wohnenden Mönche leben arm und einfach – wenngleich das Kloster reich ist. Oder: Die frühen Christen verkauften ihren Besitz, „brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte“ (Apg 4,34 f.). Nur: Wir erfahren wenig später, dass die Apostel sich durch diese Verteilung überfordert sahen. Sie beriefen „Männer von gutem Ruf“, denen ab sofort dieser Dienst der alltäglichen Versorgung der Witwen und Armen übertragen war (Apg 6,1–6). Aus dieser professionellen Bedarfsprüfung und Zuteilung seitens bestellter Experten entwickelte sich die institutionelle Caritas. Was aber geschah mit dem Geld, das den Aposteln zu Füßen gelegt, aber nicht sofort gebraucht wurde? Vermutlich wurde es bis auf weiteres zurückgelegt und wurde zur Rücklage. Aus Rücklagen entstehen wiederum Banken, die Geld verwalten, mehren und für den Moment bereithalten, wenn es benötigt wird.
Und überhaupt: Was kennzeichnet eine „arme Kirche“ und wer sind die „Armen“, für die sich die Kirche einsetzen soll? Gibt man das Stichwort „Armut“ in Google ein, kommen über 12 000 000 Treffer. Gibt man das Stichwort „Armut“ bei Wikipedia ein, findet man eine Fülle verschiedener Definitionen: Es gibt absolute und relative Armut, materielle, geistige und geistliche Armut, freiwillige und erzwungene, individuelle und strukturelle Armut, Chancen-, Bildungs- und Verteilungsarmut … Eine Antwort auf den Ausruf von Papst Franziskus und entsprechend auf die Frage dieses Buchs ist also alles andere als einfach zu finden.
Suche einer Antwort bei Papst Franziskus selbst
Papst Franziskus selbst hilft einem bislang nicht besonders bei der Interpretation, was denn nun die „arme Kirche – Kirche für die Armen“ konkret bedeutet. In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ vom 24. November 2013 kommt dieser Aufruf in Nummer 198 vor: Dort heißt es aber zuvor, dass „für die Kirche … die Option für die Armen in erster Linie eine theologische Kategorie und erst an zweiter Stelle eine kulturelle, soziologische, politische oder philosophische Frage“ sei. Die Tatsache, dass Gott den Armen „seine erste Barmherzigkeit“ gewährt hat, habe „Konsequenzen im Glaubensleben aller Christen, die ja dazu berufen sind, so gesinnt zu sein wie Jesus“. Und in Nummer 199 sagt Franziskus hinsichtlich des Umgangs mit den Armen: „Unser Einsatz besteht nicht ausschließlich in Taten oder in Förderungs- und Hilfsprogrammen …, sondern vor allem (in einer) aufmerksamen Zuwendung zum anderen.“ Wenn Franziskus aber „nicht ausschließlich“ schreibt, dann heißt dies aber doch wohl, dass er diese Taten, Förderungs- und Hilfsprogramme dennoch befürwortet?!
Dabei geht er mit gutem persönlichen Beispiel voran: Die Päpstliche Almosenvergabe hat sich unter Franziskus von einer Million Euro auf zwei Millionen verdoppelt. Der Päpstliche Almosenier, Erzbischof Krajewski, berichtet, dass Franziskus ihm gesagt habe: „Dein Konto steht gut, wenn es leer ist. Dann kann man es auffüllen.“1 Freilich: Auch Franziskus wird trotz seiner „Kapitalismuskritik“ wissen, dass jemand zunächst Geld verdienen und besitzen muss, bevor das Almosenkonto wieder aufgefüllt werden kann.
Persönliche Einfachheit und Großzügigkeit den Armen gegenüber anstelle von Prunk scheint er auch von anderen zu erwarten, wie sein Umgang mit dem Fall des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst zeigte: Franziskus beurlaubte ihn und verordnete ihm Abstand zu seiner Diözese, bis die Untersuchungskommission die Fakten aufbereitet hat – nicht gerade ein Vertrauens- und Gunstbeweis.
Aber sonst? Weder ‚versilbert‘ er die Reichtümer der Vatikanischen Museen noch hat er die skandalträchtige Vatikanbank aufgelöst, die im Jahr 2012 laut ihrem ersten Geschäftsbericht fast 87 Millionen Euro erwirtschaftet und damit ihren Gewinn vervierfacht hat. Stattdessen will er die unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. begonnenen Reformen der Bank durch die Berufung einer siebenköpfigen, kompetent besetzten Expertenkommission beschleunigen und absichern. Erste Früchte sind Abkommen des Vatikanstaates mit anderen Ländern zur Zusammenarbeit bei Geldwäsche, darunter am 4. Dezember 2013 mit Deutschland. Eine weitere Kommission soll sich mit den vatikanischen Finanzen insgesamt befassen, diese sind auch Thema in der achtköpfigen Kardinalskommission, die den Papst bei der Kurienreform beraten sollen. Ein Mitglied der letzteren ließ inzwischen durchsickern, es könne zur Bündelung der vatikanischen Finanzgeschäfte in einer Art Finanzministerium kommen – vermutlich ein Transparenzgewinn zum Jetztzustand, wo die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Vatikans auf mehrere Behörden verteilt sind.
All dies legt zwei mögliche Schlussfolgerungen nahe: Entweder geht es Papst Franziskus doch eher um einen Appell an das persönliche Verhalten sowie die Vermeidung von Exzessen als um die ganz radikale Kirchenreform hin zu einer materiell armen Kirche. Oder die Frage ist auch aus seiner Sicht zu komplex und zu kompliziert, als dass sie mit päpstlicher Autorität für die gesamte Weltkirche geklärt und beantwortet werden kann.
Damit gilt unverändert: Eine Antwort auf den Ausruf von Papst Franziskus und entsprechend auf die Frage dieses Buchs, wie nämlich der Wunsch nach einer „armen Kirche“ mit einer „Kirche für die Armen“ zusammenpasst, ist alles andere als einfach zu finden.
Die Antwortgeber
Aus diesem Grund möchten wir diese schwierige Frage an eine Reihe von Personen weitergeben und sie bitten, uns Kriterien zur Beantwortung der Leitfrage dieses Buchs zu geben.
–Eine erste Gruppe von Autoren kennen wir aus unserer Arbeit in Deutschland. Darunter befinden sich Katholiken und Protestanten, glaubende und nicht glaubende Menschen, Akademiker, Mandatsund Verantwortungsträger in Kirche, Politik, Unternehmen, Medien und Verbänden sowie Engagierte in Vereinen und Nichtregierungsorganisationen.
–Eine zweite Gruppe sind Menschen, die sowohl in Deutschland als auch armen Ländern leben und die die Frage dieses Buchs mit dem Blick auf die Lebensrealität beider Kontexte beantworten können.
–Eine dritte Gruppe sind die Armen selbst: Allzu viel wird über sie geschrieben – wir wollten auch sie selbst im O-Ton zu Wort kommen lassen, aus Deutschland, Madagaskar, Venezuela und Sambia.
–Eine vierte Gruppe haben wir schließlich aus der Gruppe unserer Projektpartner in den armen Ländern ausgesucht, Jesuiten also, die dort verantwortliche Positionen bekleiden oder mit armen Menschen direkt zusammenleben und -arbeiten – zum Teil unter Einsatz und Gefährdung ihres eigenen Lebens, wie etwa die Patres D’Souza oder Yesumarian.
Dabei kamen natürlich auch Antworten, die mit den Meinungen und Einstellungen der Herausgeber nicht übereinstimmen und von ihnen nicht geteilt werden. Diese Beiträge haben wir dennoch in das Buch aufgenommen, da sie das Spektrum vertretbarer und de facto vertretener Positionen repräsentieren, und wir gehen davon aus, dass sich die Leserinnen und Leser angesichts dieses Spektrums ihre eigene Meinung besser und differenzierter bilden können.
Da die deutsche Kirche eine der reichsten Ortskirchen der Welt ist, haben wir uns schließlich gedacht, dass unsere Fragestellung und die Antworten darauf nicht nur uns, sondern auch viele andere in Deutschland interessieren könnten. Aus diesem Grund geben wir dieses Buch heraus. Wir wünschen Ihnen viel Spaß und Freude beim Lesen sowie viele interessante Einblicke und Einsichten.