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Die größte gemeinsame Initiative zwischen den Kirchen, ihren Entwicklungsorganisationen, der Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und mir als Entwicklungsministerin war die Verwirklichung der Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten hochverschuldeten Entwicklungsländer anlässlich des G8-Gipfels 1999 in Köln. Diese so genannte Kölner Entschuldungsinitiative hat Millionen und Abermillionen Menschen in Entwicklungsländern das Leben leichter gemacht. Zu diesem Zeitpunkt standen die Entwicklungsländer bei den reichen Staaten und den internationalen Entwicklungsagenturen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds mit 2,5 Billionen US-Dollar in der Kreide. Die eigentliche Last waren die enormen Zins- und Tilgungsleistungen. Diese betrugen pro Jahr etwa 250 Milliarden US-Dollar; das entsprach den jährlichen Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland, also dem Etat einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt.

Ich habe dem Bundeskanzler damals eine globale Entschuldungsinitiative vorgeschlagen, die zwei Grundgedanken hatte: Erstens würden nicht nur wir als Bundesrepublik Deutschland den ärmsten 43 hochverschuldeten Ländern ihre Schulden erlassen, sondern auch die internationalen Finanzinstitutionen und die G8-Staaten würden sich daran beteiligen. Zweitens würden die Länder, denen die Schulden erlassen werden sollten, verpflichtet werden, das eingesparte Geld in Bildung, den Kampf zur Reduzierung der Armut und die Steigerung der Gesundheitsausgaben zu investieren. Dabei griffen wir die Forderungen aus dem Bereich der kirchlichen Initiativen für einen Schuldenerlass auf.

Schulden zu erlassen ist für keine Regierung ein leichter Schritt. Umso bemerkenswerter, dass der Bundeskanzler meinen Vorschlag wie selbstverständlich aufgriff und ihn dann ohne Abstriche den übrigen G8-Staaten präsentierte.

Der Kölner G8-Gipfel war der letzte G8-Gipfel, der ohne Demonstrationen verlief. Denn uns alle verband ein gemeinsames Ziel: eine gerechte Gesellschaft. Für mich war die Menschenkette, die wir gemeinsam mit NGOs und eben auch vielen Vertretern der Kirchen, den Kölner Dom im Rücken, hinunter zum Rhein bildeten, der emotionale Höhepunkt der Veranstaltung. Da reichten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Hände zum Versprechen: Wir machen die Welt gerechter! Ich fand es wunderbar, dass von Köln die Botschaft ausging: Es gibt nicht nur die Globalisierung des Kapitals, es gibt auch die Globalisierung der Solidarität. Unsere gemeinsame Initiative brachte konkrete Ergebnisse:

–125 Milliarden US-Dollar wurden im Austausch mit Investitionen in Gesundheit und Bildung erlassen (37 Millionen Kinder in Afrika können somit zusätzlich in die Schule gehen).

–Die Schuldenstände der 36 HIPC-Länder (hochverschuldete arme Länder) sind um 90 Prozent reduziert worden!

–Wendeten sie 2001 noch 3 Prozent des BIP für den Schuldendienst auf, so sank dieser Wert deshalb auf unter 1 Prozent. Für die Armutsbekämpfung konnten sie 2001 6 Prozent des BIP aufwenden, 2010 dann rund 9 Prozent!

–Voraussetzung für Armutsbekämpfung war die Verpflichtung zum Vorlegen von Strategiepapieren zur Armutsreduzierung, die unter anderem einer Überprüfung durch die kirchlichen „Jubilee 2000“-Initiativen vor Ort standhalten mussten.

–Die fatalen Strukturanpassungsprogramme des IWF, die auch noch aus dem Entwicklungshaushalt finanziert wurden, wurden beendet.

Zu Recht schrieb im Juli 2013 Martin Lanz in der Neuen Zürcher Zeitung: „Verkehrte Welt: Die meisten Industrieländer sind hoch verschuldet und haben teilweise den Zugang zu den Kapitalmärkten verloren, während lange als hoffnungslos geltende afrikanische Entwicklungsländer ein beachtliches Maß an makroökonomischer Stabilität erreicht haben (…).“19

In der Entwicklungszusammenarbeit, die ich während meiner Ministerzeit verwirklichen konnte, habe ich gerade auch das praktische Engagement der kirchlichen Entwicklungsdienste besonders geschätzt: Es ging ihnen um die Stärkung der Armen, die Stärkung der Frauen, ihre Beteiligungschancen in der Gesellschaft und auch in den politischen Entscheidungen. Viele derartige Projekte habe ich vor Ort selber kennenlernen dürfen und das Engagement der Menschen, die ich ins Herz geschlossen habe, bewundert. Sei es das Engagement in den Slums von Kalkutta, um den Menschen Chancen für ein Einkommen zu geben, sei es im Umfeld von Lima, wo Jugendliche, die Elektroschrott „aufarbeiten“ wollten, neue Lebensperspektiven erhalten sollten, sei es das Engagement zur Aufarbeitung von Gewaltherrschaft in Peru oder auch in El Salvador.

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