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Das Subsidiaritätsprinzip wird nicht ernst genug genommen

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Nachdem ich 1983 die Praxis der Entwicklungshilfe in Afrika einige Monate lang erlebt hatte, schrieb ich dem „Nestor“ der Katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, in einem Brief, die Entwicklungshilfe sei ein Bereich, in dem nach meinem Eindruck das Subsidiaritätsprinzip dringend konsequenter angewandt werden müsse. Offensichtlich war ich der Meinung, dass dies bei weitem nicht der Fall war. Man konnte leicht erkennen, dass wir als Entwicklungshelfer viel zu aktiv waren, während die afrikanischen Partner, die es eigentlich sein sollten, es nicht genügend waren.

Nell-Breuning beantwortete meine Beobachtung damals mit dem beeindruckenden Satz, wir müssten beim Helfen darauf achten, dass wir unsere afrikanischen Partner nicht zu Objekten der Hilfe machten, dass sie vielmehr Subjekte ihrer Entwicklung blieben. Falsches Helferverhalten hat mit unserer Position der Reichen zu tun. Sie hat bis heute wesentlich dazu beigetragen, dass wir uns im Übermaß für die Entwicklung Afrikas zuständig fühlen. Aus dieser Haltung heraus zu handeln verstößt gegen das Subsidiaritätsprinzip, weil es die Eigenverantwortung der Partner geringachtet und behindert; es verletzt auch ihre Würde. Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll Hilfe so gegeben werden, dass der, dem geholfen wird, möglichst bald unabhängig von Hilfe wird. Hilfe, die ein halbes Jahrhundert lang gegeben wird, kann nur das Gegenteil bewirken. Wir Reichen haben Hilfe zu einem Dauerprozess mit unabsehbarem Ende gemacht. Damit haben wir die Abhängigkeit der Afrikaner von Hilfe immer mehr verstärkt.

Die Kirchen wird man davon nicht ganz ausnehmen können. Wenn zum Beispiel ein Missionsorden bestimmte Pfarreien, Klöster und Gemeinden in Afrika über viele Jahre hin finanziell fördert, wird dadurch die afrikanische Vorstellung von den Reichen im Norden gefestigt, auf deren gute Gaben man auch in Zukunft hoffen darf. Mit der Zeit bildet sich sogar die Einstellung, auf diese Wohltaten einen Anspruch zu haben, und sei es als Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht in der Kolonialzeit. So berechtigt diese Haltung sein mag, ihre Auswirkungen sind verheerend.

Die jahrzehntelange Hilfe hat längst zu einer schweren Schädigung der afrikanischen Mentalität geführt, die sich z. B. so äußert: Wenn sich ein Problem auftut, stellt sich typischerweise und reflexhaft zuerst die Frage „An welche ausländische Organisation wenden wir uns am besten, um das Problem zu lösen?“, statt zuerst mal die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein späterer afrikanischer Präsident sagte mir schon in den achtziger Jahren: „Nous sommes devenus un peuple de la main tendue.“ (Frei übersetzt: Eure Hilfe hat uns zu Bettlern gemacht.)

In der Dritte-Welt-Szene schien früher Konsens zu sein, dass die helfenden Organisationen sich so bald wie möglich überflüssig machen müssten. Nach 50 Jahren Entwicklungshilfe scheint von diesem Selbstverständnis nichts übriggeblieben zu sein. Hat man je von einer Hilfe-Agentur, ob kirchlich oder staatlich, gehört, sie habe beschlossen, ihre Arbeit demnächst einzustellen? Man stelle sich vor, die deutschen Bischöfe beschlössen, Misereor in drei Jahren zu schließen. Dass das wie eine verrückte Idee klingt, ist auch ein Zeichen dafür, wie weit das organisierte Helfen in die falsche Richtung gelaufen ist.

Ein wesentlicher Grund dafür, dass das organisierte Helfen inzwischen als Ewigkeitsveranstaltung angelegt zu sein scheint, ist nicht die Not der anderen, sondern das eigene Interesse. Die Hilfe-Apparate, national wie international, privat wie staatlich, haben längst ein solches Ausmaß und eine derartige Verfestigung erreicht, dass ein Rückbau gar nicht mehr als denkbar erscheint. Sehr viele Menschen, die in diesem System arbeiten, leben sehr gut damit und möchten es nicht missen – um es zurückhaltend zu sagen.

Die Abhängigkeit von der Entwicklungshilfe ist also zweiseitig; sie betrifft die Nehmenden ebenso wie die Gebenden.

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