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Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

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Theologiegeschichtliche Reflexionen zum Bußsakrament

Dass das Bußsakrament in der Krise steckt, wird derjenige nicht bestreiten, der in Urlauben Kirchen in Frankreich besucht: dort ist der Beichtstuhl längst zu Informationsstellen umgewandelt, in denen DVDs über die Geschichte der Kirche erzählen. Gerne wird der Beichtstuhl auch genutzt als Abstellkammer für das Allerlei des Kirchenalltags. Dabei sollte eigentlich doch die Beichte zum Allerlei des Kirchenalltags gehören und keineswegs in die Abstellkammer! Auch die eingerichteten „Räume der Versöhnung“ lassen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Nachfrage auf das Angebot in Grenzen hält. Gleichzeitig ist das Thema der Vergebung und mit ihm der Schuldfrage alltäglich und gegenwärtig. Wie passt das zusammen? Was ist eigentlich das Besondere an der Vergebung Gottes, die in der Beichte sakramental zugesprochen wird? Gunda Werner

In seiner Erzählung „Die Sonnenblume“ durchleuchtet Simon Wiesenthal (Wiesenthal 1984) die Frage, wer eigentlich vergeben darf. Zugrunde liegt seine bedrängende und dramatische Erfahrung, die er in seiner Internierung im Arbeitslager in Lemberg gemacht hat. Dort wird er zu einem sterbenden SS-Mann gerufen, der ihm seine Gräueltaten „beichtet“ und Vergebung von ihm wünscht. Am Ende des Bekenntnisses steht das Bedürfnis nach Vergebung. Wiesenthal selbst fragt sich nun, ob er dieses Bekenntnis Beichte nennen soll: „Aber was ist das für eine Beichte? Ein Brief ohne Antwort […]. Da liegt ein Mann im Bett und will in Frieden sterben – aber er kann es nicht, weil ihm ein entsetzliches Verbrechen keine Ruhe lässt. Und neben ihm sitzt ein Mann, der sterben muss – aber nicht sterben will, weil er das Ende solch entsetzlicher Verbrechen erleben will“ (Wiesenthal 1984, 62). Wiesenthal steht auf und geht. Schweigend.

Der SS-Mann wünscht also von dem Juden Simon Wiesenthal eine Vergebung für seine grausamen Taten an Juden. Wiesenthal selbst verlässt diesen Mann, ohne ihm diese Vergebung zu gewähren. Er ist sich in dem Moment sicher, dass er es nicht gedurft hätte – nicht stellvertretend für die Opfer. Allerdings kommen ihm Zweifel, und er bespricht diese Situation – sowohl unmittelbar als auch nach 1945. Der direkt befragte Freund befürchtete sogar, „du [Wiesenthal] hättest ihm wirklich verziehen. Du hättest das ja doch nur im Namen von Menschen tun können, die dich gar nicht dazu ermächtigt haben. Was man dir selbst angetan hat, kannst du, wenn du willst, vergeben und vergessen. Darüber bist du nur dir selbst Rechenschaft schuldig. Aber glaub mir, es wäre eine große Sünde gewesen, fremdes Leid auf dein Gewissen zu nehmen“ ( Wiesenthal 1984, 73). Die Perspektive der Vergebung angesichts der Reue macht wiederum ein weiterer Protagonist stark, der formuliert, was Wiesenthal ebenfalls empfand: „Ich war damals tatsächlich die letzte Chance für ihn, sein Gewissen zu erleichtern“ (Wiesenthal 1984, 90f.) Die weiteren Antworten auf die schlichte Frage Wiesenthals „Hätte ich vergeben dürfen?“ drehen sich alle um eben diese Kernfrage der Vergebung, wer nämlich überhaupt vergeben darf. Theologisch gefragt: Hat die Vergebung Gottes mit der eigenen Vergebung zu tun? Wie geschieht Vergebung?

Lebendige Seelsorge 3/2015

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