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SCHULD UND SÜNDE – EINE NOTWENDIGE UNTERSCHEIDUNG

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Die Unterscheidung von Schuld und Sünde eröffnet überhaupt erst die theologische Reflexion auf Vergebung. Solange nämlich nur die Frage nach der Schuld gestellt wird, erscheint Vergebung zunächst als die humane Eigenschaft, sich auch noch zur begangenen und ergangenen Schuld zu verhalten. Vergebung selbst ist die je größere Möglichkeit des Menschen, mit begangener Schuld umzugehen. Zugleich ist der Vergebungsvorgang als interpersonales Beziehungsgeschehen immer fragil, weil in ihm die Asymmetrie der Täter-Opfer-Problematik – auch bei weniger gravierenden Vergehen – aufbricht. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen und befinden sich doch in sehr unterschiedlichen Rollen. Die genuin theologische Frage nach der Vergebung stellt sich allerdings tatsächlich erst dann, wenn die Unterscheidung von Schuld und Sünde markiert wird und damit die Frage nach dem „Wer vergibt?“ als religiöse transponiert ist. Hier hatte Søren Kierkegaard bereits deutlicher noch als Immanuel Kant den qualitativen Unterschied „zwischen der Disposition zur Sünde und dem Faktum der Sünde“ benennen können“ (Essen 2011, 1116). Wenn die Disposition zur Sünde von dem Faktum der Sünde unterschieden wird, dann ist zugleich dieses Faktum in Schuld und Sünde so differenzierbar, dass Sünde in ihrer Faktizität eine Aussage der Beziehung des Subjekts zu Gott ausdrückt: Sünde ist mit Kierkegaard schon als Bestimmung vor Gott gedacht. Nur dann ist „ethische Schuld zur eigentlichen Sünde qualifiziert“, ist nämlich in der „Weigerung des Menschen, auf diese Zusage zu setzen und aus ihr und den durch sie eröffneten Möglichkeiten sich selbst und sein Handeln zu bestimmen“ (Pröpper 2011, 717), zu sehen. Somit ist ethische Schuld nur dann Sünde, wenn sie „von den Möglichkeiten Gottes her“ gedacht wird, „sofern wir im Glauben Anteil an ihnen gewinnen können“ (Pröpper 2011, 720) Diese Unterscheidung setzt aber bereits voraus, wovon Kant ausging: dass die persönliche Schuld nicht übertragbar ist und daher auch von keinem abgenommen werden kann. Jeder Mensch steht ein für die Schuld, für die er selbst verantwortlich ist. Verantwortlich ist er für Schuld, weil er diese Möglichkeit des Handelns frei wählt. Damit geht Kant aber auch davon aus, dass der Mensch seine Schuld wieder begleichen kann – auch wenn dieser Prozess ein harter Prozess ist, bedeutet er doch eine „Umkehr“ in der Gesinnung des Menschen. Damit stellt sich jedoch die Frage, ob für eine Vergebung eigener Schuld, die ein anderer mir gewährt, noch Platz ist! Theologisch jedenfalls ist zweierlei bedeutsam: Schuld ist an die Freiheit des Menschen gebunden und muss von ihm verantwortet werden. Dass auch die Sünde an die Freiheit des Menschen gebunden ist, ist eine Einsicht Kierkegaards, die das Vergebungsgeschehen signifikant prägt. Für Schuld und eben auch Sünde steht somit der Mensch selbst ein und diese wird ihm vom Gegenüber – sei es Mensch, sei es Gott – vergeben. Damit ist für eine theologische Reflexion zugleich der Aufgabenhorizont beschrieben: angesichts der freiheitlichen Tat der Sünde sowie der Schuld gilt es, die Vergebung an eben diese Freiheit zurückbinden. Erscheint diese Zwischenreflexion für die Vergebung von Schuld noch relativ einfach, wird sie doch in Bezug auf Gott skandalös: Wie vergibt denn dann Gott? Darf nämlich jemand an Gottes statt die Sünden vergeben? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt in der Vergebungspraxis Jesu und führte – angesichts des Vorwurfes, an Gottes Stelle zu handeln – zum tödlichen Konflikt. Spätestens hier wird deutlich: Vergebung der Sünden ist eine heikle Angelegenheit! Die Perikope von Mk 2,1-12, in der Jesus dem gelähmten Mann die Sünden vergibt und ihn zugleich heilt, verdeutlicht eindrucksvoll eine Konfliktlinie, die sich sowohl als jesuanische Praxis als auch als gemeindliche Regelform zuziehen wird: Wie ist die Vergebung Gottes zu denken, wenn sie nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch einen Menschen geschieht? Wer bewirkt die Vergebung?

Lebendige Seelsorge 3/2015

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