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WAR DIE HÄUFIGE BEICHTPRAXIS EIN „RUNNING WILD“ DER GLÄUBIGEN? THEOLOGIEGESCHICHTLICHE EINORDNUNG EINES KURZFRISTIGEN PHÄNOMENS
ОглавлениеDie Geschichte der sakramentalen Vergebung ist lesbar als eine Geschichte, die sich mit eben dieser Frage der Vollmacht zur Sündenvergebung auseinandersetzt. Hier aber zeigt sich zugleich, dass theologiegeschichtlich die Erkenntnis langsam verblasste, dass die Vergebung der Sünden einzig und allein Tat Gottes ist, auch dort, wo ritualisierte Formen institutioneller Art an die Stelle der unmittelbaren Handlung Gottes traten. Die Festlegung der heute gängigen Absolutionsformel im Jahr 1439 (im Armenierdekret, DH 1323) lässt dieses Wissen zugunsten des Nachdenkens über die differenzierte Wirksamkeit des Sakraments auf die Sündenvergebung in den Hintergrund treten. Nachdem so die sakramentale Sündenvergebung in der Materie – Sünde, Reue und Bekenntnis – des Sünders und der Form der Absolution durch den Priester gedacht wird, können diese beiden Elemente weiter definiert werden. Damit war der Weg geöffnet für eine doppelte sakramententheologische Entwicklung: zum einen konnte ein stärker rechtliches Verständnis der Buße entstehen. Dieses stand in Korrelation zu einem Sündenverständnis, das die Sünde als Tatsünde verstand und dem ein Katalog der Vergebungsformen korrespondierte. Zum anderen wurde die eigentliche Vergebungsfrage selbst ausgeblendet zugunsten theologischer Spekulationen der formalen Wirksamkeit von Sakramenten. Beides sollte erst zu jener Situation führen, die als beschriebene Krise des Bußsakraments gezeichnet wird. Dabei erscheint diese Krise zunächst einmal nicht weniger als eine Krise einer bestimmten kirchlichen Verfassung zu sein. Diese entwickelte sich infolge des Konzils von Trient zunächst zu einer gegenreformatorischen und kontroverstheologischen Ausprägung ihrer Praxis (vgl. Dallen 1986, 180-183). Gerade aber die Zeit der Aufklärung führte zu einer kurzzeitigen theologischen Reformbewegung (vgl. Dallen 1986, 183f.), in der die eigentlichen theologischen Fragen des Bußsakraments wieder verhandelt wurden. So stellte die Aufklärung einerseits die Möglichkeit dar, das Methodenrepertoire der theologischen Wissenschaft deutlich auszuweiten. So konnte es „zu einer methodisch-didaktischen Erneuerung des Verständnisses von Theologie, die biblisch-heilsgeschichtlich begründet, breit historisch fundiert und radikal pragmatisch ausgerichtet sein sollte“ (Vorgrimler 1978, 192) kommen. Andererseits provozierte die Engführung des Glaubens auf die Moral wiederum, die Sakramente nunmehr als pädagogische und moral-erziehende Maßnahmen zu reduzieren.
Obwohl die sich im 19. Jahrhundert entwickelnde neuscholastische Theologie über ein breites historisches Wissen zur Entwicklung des Bußsakraments verfügte, reflektierte sie jedoch nicht die darin sich ausdrückenden Denkform-Transformationen oder wandte die Erkenntnisse zu einer Veränderung sakramententheologischer Reflexion an, sondern versuchte, die vorfindliche Praxis in Traditionsbeweisen zu begründen. Eine wirklich historisch orientierte Reformulierung des Bußsakraments scheiterte (vgl. Dallen 1986, 184, mit dem Verweis auf die Enzyklika „Mirari Vos arbitramur“ (15.8.1832) von Gregor XVI., DH 2730-2732). Im Gegenteil: diese sich im späten 19. Jahrhundert bis zum frühen 20. Jahrhundert darstellende kirchliche und theologische Situation stellte für die sakramentale Praxis eine völlig neue Situation dar! Die geläufige Praxis des Kommunionempfangs sollte deutlich erhöht werden. Diese Veränderung in der Praxis der Eucharistiefeier führte zu einer regelrechten Kettenreaktion, die gravierende Auswirkungen auf das Sakrament der Buße hatte. Da der Kommunionempfang nämlich nur möglich ohne Todsünde sei, dieser Zustand aber nur sicher nach der Beichte sei, wurde diese als Absolution der Sünden vor jedem Kommunionempfang erbeten. Damit ergab sich die paradoxe Situation, dass das Sakrament der Beichte häufiger als im Konzil von Trient vorgeschrieben empfangen wurde. In den römischen Dekreten wurde dies durchaus bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts begrüßt (so Leo XIII. (DH 3360-3364): Mirae caritatis vom 28.5.1902; Pius X. (DH 3375-3383): Sacra Tridentina Synodus vom 20.12.1905; (DH 3530-3536): Quam singulari vom 8.8.1910). Die mit der häufigen Kommunion verbundene Beichtpflicht führte schließlich zu jener Situation, die sich dann als Ausgang der Krise der Beichte, wie sie von den 1970ern an benannt wird, darstellt (vgl. Scheule 2002, 75-77)! Damit ist die historisch einmalige Beichthäufigkeit im 20. Jahrhundert „kein isoliertes running wild der Frömmigkeitspraxis […], sondern [stand] durchaus in einem Zusammenhang mit Theologie und Lehramt“ (Scheule 2002, 78).