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Was bleibt?
ОглавлениеAlle diese textilen Heilsutensilien sind kontingent, sind durch die Zufälle und die Willkürakte der Geschichte zu uns gekommen. Sie sind nicht essentiell zur Stützung des christlichen Glaubens in der Welt; das Glauben ginge also auch ohne sie. Und vielleicht erscheint dem einen oder anderen historisch-skeptisch orientierten Menschen diese Art von Frömmigkeit eher hinderlich als förderlich für den eigenen Glauben. Das ist nicht zu bestreiten und darf auch so sein. Aber gibt es nicht ebenso viele legitime, geistgewirkte Zugänge zum Glauben wie es geistvolle gläubige Menschen gibt?
Natürlich kann man sich fragen, ob diese textilen Heiligtümer historisch echt sind. Einige sind uralt, reichen gut belegbar bis in die Zeit Jesu hinein, sie könnten in dem Sinne historisch echt sein und sind es vermutlich doch nicht. Sie können aber, und das ist entscheidend, zum Echtwerden des Glaubens beitragen, zur Echtheit des Glaubens anregen. Sie können uns die unabweisliche Frage nach den ethischen Maßstäben und der existenziellen Entschiedenheit des eigenen Lebens vorlegen. Sie können Wegweiser sein, Wegweiser, die man nicht braucht, wenn man den Weg genau kennt. Aber nicht alle kennen den Weg genau genug.
Etwas, was nur alle sieben Jahre gezeigt wird, ist der ständigen Verfügbarkeit und Sichtbarkeit entzogen. Um es zu sehen, muss man warten und sich innerlich ausrichten können auf den besonderen, vielleicht einmaligen Moment. Dabei wird das, was die Griechen der Antike Chronos nannten, die scheinbar mehr oder weniger gleichförmig und belanglos verstreichende Zeit, zu dem, was dieselben Griechen Kairos nannten, zum günstigen, einmaligen, vielleicht gnadenhaften Moment, in dem sich eine Wende im Glauben und im Leben vollziehen kann.
Die Vereinmaligung des Moments der Sichtbarkeit macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass eigentlich jeder Moment im Chronos als genutzter Moment einen Kairos zu irgendetwas darstellt, zur Umkehr aus dem falschen Trott, zum Neubeginn nach dem desaströsen Ende, zur Versöhnung nach dem bitteren Zerwürfnis, zur Hoffnung nach der tödlich lähmenden Angst. Gerade in dieser Zeit, in meiner Zeit, kann auch durch mich die Unheils- zur Heilszeit gewandelt werden. Gott wandelt auch mich, und er wandelt auch durch mich und meinen kleinen Beitrag unsere heillose Zeit in sein zeitloses Heil.