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Wo sind „wir“ anders? Ein Grenzdiskurs
ОглавлениеGanz praktisch treibt die ersten Christ(inn)en eine Konsum-Frage um:8 Die Stadt feiert auf den Straßen mit einer festlichen Prozession, anschließend werden die geopferten Rinder gebraten. Seltener kostenloser Fleischgenuss lockt: zugreifen oder ablehnen, verzichten und auffallen? Die Geschäftsfreunde laden ein, die Kolleg(inn)en treffen sich, die Delikatesse des Abends ist ein Braten – Fleisch aus einer heidnischen Opferzeremonie: vor allen Farbe bekennen, auf keinen Fall mit „den Götzen“ in Kontakt treten? Oder den ganzen Götzenkult für Humbug halten, im Stillen dem Schöpfer danken und zugreifen? Ist Götzenopferfleisch mit dem Christsein vereinbar?
Ein rigoroses „Nein“ kommt von den sog. Sendschreiben an die Gemeinden in Pergamon und Thyatira, Kleinasien (Offb 2,12–17.18–29; vgl. auch die Ablehnung der „Nikolaiten“ in Ephesus in Offb 2,6). Sie polemisieren gegen die falsche Lehre eines „Balaam“ bzw. der „Nikolaiten“ (2,6.14.15) und einer Prophetin „Izeabel“ (2,20).9 Die ist fix auf den Punkt gebracht: „Götzenopferfleisch essen“ und „huren“ (2,14.20)10. Ohne jegliche Interessen an deren theologischen Gründen werden die Träger(innen) dieser Position demontiert, der Kompromiss mit dem Mainstream abgelehnt.
Warum so rigoros? Die Sendschreiben ziehen eine akute Bedrohungskulisse auf. Ephesus hat Unbestimmtes „getragen wegen meines Namens“ (2,3); Mitgliedern der „bettelarmen“ und damit ohnehin marginalisierten Gemeinde in Smyrna (2,9) steht „Leid“, konkret ein Gefängnisaufenthalt und damit de facto ein Konflikt mit politischen Institutionen bevor (2,10) – mit möglicher Todesfolge (2,10f.). Die Gemeinde in Pergamon blickt schließlich auf die Tötung des „treuen Zeugen“ Antipas zurück (2,13). Die „Überwinder“-Sprüche am Ende jedes Sendschreibens sprechen die Sprache des Kampfes – Kräftemessen, Entmachtungsversuche, Verletzung. Auch wenn die Verursacher der Repressalien nicht beim Namen genannt werden, so stehen die Zeichen auf Abgrenzung von einer als feindselig empfundenen Umgebung. Überall, wo die Sendschreiben gelesen werden, stützt die Inszenierung eines Kaiser- und Götterkults das Imperium, die Stadtgemeinschaft, den Mainstream, die aktuellen Machthaber – für die Sendschreiben mit ihrer Erfahrung von Bedrängnis und Martyrium eine mythologisch eingedunkelte („Satan“) Machtsphäre. Sich mit ihr zu kompromittieren hieße in den Augen der Sendschreiben, sie zu verharmlosen, sich um ein Stück Fleisch an sie zu „verkaufen“ – v.a. aber, an der Grundfeste des Monotheismus zu rütteln.
Auch andere Protagonisten des Urchristentums lehnen den Genuss von Opferfleisch ab, stimmen also in der Sache überein – kommunizieren dies aber in ganz anderem Stil: Die Apostelgeschichte inszeniert eine entsprechende Auflage an Heid(inn)en als Weisung „von oben“, von einem Jerusalemer Leitungsgremium, die per Brief dekretiert wird (Apg 15,28f.). Den anspruchsvollsten Weg wählt sicher Paulus: Im (brieflichen) Dialog (vgl. 1 Kor 8–10)11 stellt er sich den Gegenargumenten – und versucht, zu überzeugen. Nicht zuletzt wirft er die Rücksicht auf die Anfechtungen des „schwachen“ Bruders in die Waagschale (1 Kor 8,1–13).