Читать книгу Geist und Leben 2/2015 - Группа авторов - Страница 8
Verdecken – Aufdecken – Entdecken
ОглавлениеAuch in einem Museum werden Teile des Bestandes, manchmal sogar besonders wertvolle Teile nur selten gezeigt und oft in wechselnden Konstellationen in anderen Museen präsentiert. Was man immer sehen kann oder zumindest sehen könnte, verliert leicht, selbst wenn es höchst bedeutsam ist, den Nimbus des Besonderen. Das Verhüllen und Enthüllen lässt uns anders, lässt uns erwartungsvoller, aufmerksamer hinschauen, – das ist der bei Männern wie Frauen gleichermaßen nachweisbare Striptease-Effekt.
Vor Jahren wurde vom Künstler Christo der Reichstag in Berlin verhüllt. Millionen Menschen haben sich das als einzigartig empfundene Spektakel angeschaut. Anschließend wurden – auch zur Refinanzierung des Ganzen – Tuchstücke aus dieser Verhüllungsaktion wie profane Reliquien verkauft. Was war das Besondere an diesem Tuch? Es war, wie tausend andere auch, in einer Weberei in Emsdetten im Münsterland hergestellt worden, war also vom Material her nichts Außerordentliches oder Besonderes. Die Verhüllung verbarg das Gewohnte, den Reichstag, den man Abend für Abend auf dem Fernsehschirm sehen konnte und kann. Und es stellten sich gerade mit der Verhüllung Fragen ein: Was wäre, wenn es das Bauwerk nicht gäbe, wenn es 1933 den Reichstagsbrand nicht gegeben hätte und die sich daran anschließenden Ermächtigungsgesetze der Nationalsozialist(inn)en? Was wäre, wenn es heute diesen Ort der demokratisch-politischen Willensbildung, diesen Ort des Parlamentarismus nicht gäbe?
In der Beilage Christ und Welt der Wochenzeitung Die Zeit gibt es eine Kolumne namens Der Atheist, der was vermisst … Da ersehnt jemand etwas, der nicht glaubt (oder das zumindest behauptet oder glauben machen möchte), da vermisst jemand eine Wirklichkeit, die sich anscheinend nur der/dem Glaubenden erschließt, wie z.B. eine Entwicklung zum Besseren, eine letzte ausgleichende Gerechtigkeit, eine umfassende Vergebung, eine letzte Sinndeutung, ein hoffnungsvolles Ziel der Geschichte. Gerade das, was fehlt, ist aber auf besondere Weise da. Etwas ist anwesend im Modus des Vermissens bzw. des Ersehnens.
Lässt man die schnell in den Vordergrund geschobene Frage beiseite, ob diese Heiligtümer wirklich, also im Sinne von historisch belegbar, die Textilien Jesu, Marias, Johannes des Täufers waren oder nicht, ist so viel sicher: Diese Textilien sind Erinnerungsstücke, textile Hinweise auf etwas, wovon die Christ(inn)en behaupten, dass es auch in diesem historischen Sinne der Fall sei. Ein Textil verweist auf den Vorläufer und dem nach biblischem Befund entfernten Verwandten Jesu, auf Johannes den Täufer. Eines verweist auf Maria, seine Mutter. Fünf dieser Textilien verweisen auf Christus selbst. Letztlich verbindet sich das Zeichenhafte der Textilien also nicht mit den Textilien selbst, sondern mit den Personen, denen sie historisch zu Recht oder zu Unrecht zugeordnet werden; sie haben Verweischarakter auf Personen und deren Haltungen und Handlungen.