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Neuer Lösungsvorschlag: Die Beiträge dieses Buches

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Um dem von Kardinal Kasper angedeuteten vertikalen Schisma zu entgehen, aber auch der Situation der Betroffenen gerecht zu werden, muss sich die Praxis der Kirche gegenüber den wiederverheirateten Geschiedenen ändern. Die Vorschläge dazu sind in diesem Buch entfaltet. Die Beiträge reichen von den bitteren und bewegenden Erfahrungen von Betroffenen über die Praxis von Seelsorgern und die Einschätzung einer Psychotherapeutin bis hin zu den aktuellen Reflexionen aus verschiedenen theologischen Disziplinen.

Die Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin Roswitha Dockendorff geht aus der Perspektive ihrer Disziplin dem Phänomen des Scheiterns auf den Grund. Denn als solches wird das Ende einer Ehe von vielen erlebt. Scheitern ist endgültiger als bloßes Misslingen. Es gleicht sprichwörtlich einem Schiffbruch: Das Schiff selbst zerschellt, die Betroffenen geraten in existenzielle Bedrängnis, müssen sich meist völlig vom ursprünglichen Weg und Ziel entfernen – machen aber auch bedeutsame persönliche Erfahrungen. Diese Erfahrungen, so Dockendorff, können sich destruktiv oder konstruktiv für das weitere Leben auswirken – Letzteres insbesondere dann, wenn es gelingt, sich der eigenen Zerrissenheit zu stellen, umzudenken und „umzufühlen“ (Verena Kast). Die kirchliche Praxis nehme jedoch die emotionalen Prägungen und seelischen Verwundungen der Partner – und damit einen großen Teil der innerseelischen Realitäten, die zum Scheitern einer Ehe beitragen können – gar nicht wahr. So komme zum persönlichen Scheitern in einer Ehe noch der Schmerz hinzu, sich von der eigenen Kirche im Stich gelassen zu fühlen und vom Empfang der anderen Sakramente ausgeschlossen zu werden. Auch könne die religiöse Gesinnung und Praxis den Betroffenen häufig nicht helfen, die auf einer anderen, nämlich der unbewussten Ebene liegenden psychischen Prägungen und die daraus erwachsenden Konflikte zu bearbeiten. Erst in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Scheitern verberge sich eine Chance, zu mehr Sensibilität für sich und andere zu finden und in der eigenen Persönlichkeit zu reifen. Nicht zuletzt liege in diesem Reifungsprozess zu größerer Lebensfülle auch die Möglichkeit, näher zu Gott zu finden.

Der Münchner Neutestamentler Gerd Häfner fragt nach der ursprünglichen Fassung des Jesuswortes von Ehescheidung und Wiederheirat, das er in Mt 5,32 am ehesten bewahrt sieht. In seiner exegetischen Analyse arbeitet er heraus, dass Jesus in der Tradition der Evangelisten zwar die Ehescheidung verwirft, mit dem überlieferten Satz allerdings keine Regelung formuliert, die die Gemeinschaft seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger in allen denkbaren Fällen rechtlich verpflichten wolle. Es wird vielmehr klar, welche Bedeutung Jesu Worten zur Ehescheidung im Kontext seiner Reich-Gottes-Botschaft zukommt. So kann die Ehe – analog zum Sabbat – als eine vom Schöpfer gestiftete Einrichtung zum Wohl des Menschen verstanden werden. In diesem theologischen Horizont wird es schließlich möglich, in der Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen Wege zu suchen, die der ganzen Vielfalt des Lebens auch heute gerecht werden können. Das Scheidungsverbot Jesu sollte also menschenfreundlich interpretiert werden. Man soll es nicht aushöhlen, wie es etwa die Kirche mit dem jesuanischen Eidverbot handhabt.

Der Dortmunder Dogmatiker Thomas Ruster arbeitet in seiner rechts- und dogmengeschichtlichen Untersuchung ein Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche heraus: die Ehe als Sakrament. Genau dies sei der kostbare Schatz, der heute angesichts differenzierter Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens und vor dem Hintergrund veränderter (kirchen-)rechtlicher Normen zum Leuchten gebracht werden könne. Dafür bedürfe es jedoch eines zentralen Schrittes: der Entkoppelung der sakramentalen Ehe von der Ehe als Vertragsgemeinschaft einerseits und von der normativen Vorstellung der Naturehe andererseits. In diesem markanten Schritt liegt nach Ruster die unerlässliche Voraussetzung dafür, in der festgefahrenen Frage nach dem Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen Lösungen zu finden. Auf diese Weise werde nämlich ein Zweifaches möglich: Zum einen könne es in der Kirche gültige Ehen geben, die kein Sakrament sind. Zum anderen könne die Kirche ihre Lehrhoheit über nichtsakramentale Formen des Zusammenlebens von Mann und Frau aufgeben. Sie müsse diese nicht mehr an der Norm des Naturrechts messen und könne die vielen neuen Formen von Partnerschaft einfach das sein lassen, was sie sind: tastende, teils unausgegorene, teils schon bewährte Versuche, die Institution der Ehe den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen.

Otto Hermann Pesch, der eine katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung vorgelegt hat – seine 25-jährige Lehrtätigkeit an der Evangelischen Fakultät der Universität Hamburg prädestiniert ihn gerade dazu –, plädiert ebenfalls für die Unscheidbarkeit der Ehe, allerdings nur dann, wenn die Ehe wirklich eine Ehe ist. Die Unscheidbarkeit kann freilich kein rechtlicher Grundsatz sein, der erzwingbar ist. Insofern spricht Pesch sich für die Praxis der Ostkirche aus, die von der katholischen Kirche nie verurteilt wurde. Bei einer heillosen Zerrüttung der Ehe sollte ein Neuanfang in der Kirche möglich sein. Die Ostkirche beweist, dass dies möglich ist unter ausdrücklicher Anerkennung der Ehe als Sakrament.

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff macht aus theologisch-ethischer Perspektive die Notwendigkeit eines veränderten Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen deutlich. Kritisch beurteilt er in diesem Zusammenhang drei Punkte, die er für die große Distanz zwischen der gegenwärtigen kirchenrechtlichen Regelung und der Lebenserfahrung einer großen Zahl der betroffenen Männer und Frauen verantwortlich macht. So sei erstens der kanonistische Ehebegriff selbst problematisch, dessen einseitige Fixierung auf den sexuellen Vollzug der Ehe ein Relikt ihrer durch das Konzil überwundenen, vertragsrechtlichen Sichtweise darstelle. Als ein zweites Problem identifiziert Schockenhoff das unzureichende Sakramentenverständnis, das der Identifikation von Ehevertrag und Sakrament zugrundeliegt. Eine dritte Schwäche der Argumentation, nach der wiederverheiratete Geschiedene wegen des objektiven Widerspruchs, in dem sie zur kirchlichen Lebensordnung stehen, von den Sakramenten ausgeschlossen werden müssen, sieht er in der reduzierten Rolle des Gewissens. Dessen Funktion beschränke sich nämlich letztlich darauf, die Verletzung der vertraglichen Pflichten anzuerkennen, die sich aus dem fortbestehenden Rechtsverhältnis der ersten Ehe ergeben. Genau hier setzt Schockenhoff an, wenn er sich für eine Anerkennung der unhintergehbaren Kompetenz des Gewissens als letzter Beurteilungsinstanz ausspricht. Schließlich lasse das einfache Faktum einer nochmaligen Heirat keinen generellen Rückschluss auf das Vorliegen schwerer Schuld zu. Denn diese besitze neben dem objektiven Tatbestand eines Vergehens oder Fehlverhaltens immer auch einen subjektiven Aspekt, der nicht von außen zu beurteilen ist. In diesem Zusammenhang könne die gegenwärtige kirchenrechtliche Regelung jedoch der vom Lehramt in Familiaris consortio selbst erhobenen Forderung nicht gerecht werden, verschiedene Situationen gut zu unterscheiden und differenziert zu beurteilen.

Geradezu im Stil einer Streitschrift räumt der Münsteraner Kirchenrechtslehrer Thomas Schüller mit Vorurteilen und Schuldzuweisungen an seine Disziplin auf und mahnt den Dialog über die elementaren theologischen Fragen im Kontext von Ehe, Scheidung und Wiederheirat an. Vieles sei eben kein Problem des Kirchenrechts, das als „geronnene Dogmatik“ nur den lehramtlichen Status quo repräsentiere. Schließlich bringe der neue Kodex das neue, personale Eheverständnis aus Gaudium et spes bereits in seinem Eingangskanon präzise auf den Punkt. Freilich komme aber neben anderen theologischen Disziplinen auch dem Kirchenrecht die Aufgabe zu, dem Lehramt zu Einsichten in die eigene Tradition zu verhelfen. Vor diesem Hintergrund identifiziert Schüller Fragwürdigkeiten der gegenwärtigen Rechtslage. Insbesondere geht er auf die Wirkmächtigkeit der naturrechtlich verkürzten Identifikation von christlicher Ehe mit vertraglich zugesichertem Geschlechtsverkehr ein sowie auf die Inkongruenzen in der Annullierungs- und Auflösungspraxis bestehender Ehen, die sich im Laufe der Rechtsgeschichte entwickelt haben. Abschließend präsentiert er zwei mögliche Lösungsansätze, die dazu beitragen könnten, die kirchliche Lehre und die Lebenssituation der Betroffenen wieder in Einklang zu bringen. Zum einen könnte der zuständige Pfarrer als Rechtsanwender in Abwägung der theologischen und rechtlichen Güter nach einer Gewissensprüfung der Gläubigen eine zweite Ehe als sittliche Größe im Namen der Kirche akzeptieren oder zumindest dulden – und damit den Zugang zu den Sakramenten öffnen. Zum anderen würde sich, wie Markus Güttler herausgearbeitet hat, durch einen Dispens nach dem moralischen „Tod“ der ersten Ehe eine Perspektive für das Eingehen einer zweiten Ehe eröffnen. Was allerdings die Frage nach der Kommunionspendung an wiederverheiratete Geschiedene angeht, betont Schüller mit Verweis auf Klaus Lüdicke, dass dies gerade kein Zeichen von Barmherzigkeit sei – sondern nicht weniger als die ordentliche Erfüllung des kirchlichen Dienstes.

Franz Weber, Pfarrer und emeritierter Innsbrucker Pastoraltheologe, plädiert in seinem Beitrag für eine Pastoral der Wahrnehmung, Anerkennung und Begleitung von wiederverheirateten Geschiedenen, die er dezidiert gegen die Praxis der Exklusion von betroffenen Männern und Frauen stellt. Schließlich sei es eine Grundhaltung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Menschen in ihrer je eigenen Lebenssituation wahrzunehmen und ihnen gerade in der Erfahrung des Scheiterns nahe zu sein. Wenn aber eine Ehe scheitert, würden sich viele Betroffene als von den zentralen Lebensvollzügen ausgeschlossen und von der Kirche abgeschrieben erfahren. Sie nehmen zur Bewältigung ihrer Lebenssituation professionelle Hilfe außerhalb einer Kirche in Anspruch. Die Glaubwürdigkeit von Kirche geht dadurch sowohl bei den Betroffenen wie in der Öffentlichkeit weiter verloren. Seelsorgerinnen und Seelsorger, die sich einer anderen Praxis verpflichten – propter homines, also um der Menschen willen –, fühlen sich im Stich gelassen. Weber will sich nicht damit abfinden, dass der Wunsch nach Seelsorge als – wie ein Betroffener sagt – „die letzte Instanz zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit“ zu oft unerfüllt bleibt. Daher plädiert er dafür, die Sehnsüchte nach Vergebung und Versöhnung, nach einem wieder gelingenden Leben, nach dem Segen Gottes für die neue Partnerschaft und nach einer neuen Beheimatung in der Kirche nicht länger als Orte der Sünde zu brandmarken, sondern als Orte von Gnade und heilender Gottesbegegnung zu würdigen. Nicht nur aus Gründen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit dürfe man die wiederverheirateten Geschiedenen nicht aus der Kirche und den Gemeinden ausziehen lassen, sondern auch weil sie theologisch und spirituell etwas sehr Wesentliches über die Schöpfungswirklichkeit Mensch, über Fragmentarität und Scheitern und über die tiefe Sehnsucht nach Heil und Heiligung zu sagen haben.

Kardinal Woelki von Berlin hat unlängst Papst Benedikt XVI. verteidigt, der dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der geschieden und wieder verheiratet ist, die Kommunion gereicht hat. Der Papst habe nur so gehandelt, wie jeder Seelsorger handeln würde, der niemanden abweisen wolle. Und der Kardinal weiter: Menschen könnten oft in ihrer zweiten Beziehung das verwirklichen, woran sie in ihrer Ehe gescheitert sind. Es ist zu hoffen, dass diese Auffassung eines Kardinals bald allgemeine kirchliche Praxis wird. Es wäre ein Segen für alle.

Scheidung - Wiederheirat - von der Kirche verstoßen?

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