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5. Rezeptionsprozesse

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Der Begriff der theologischen Rezeption setzt zunächst voraus, dass Informationen und Inhalte transportiert werden, die rezipiert werden sollen. In diesem Sinn setzte der Rezeptionsprozess hinsichtlich des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Kirche der DDR bereits dann ein, als Inhalte vermittelt wurden, die es aufzunehmen galt, und dies war seit 1962 der Fall. Die wenigen katholischen, kirchlichen Druckmedien der DDR, der St. Benno-Verlag in Leipzig, die Kirchenblätter „Tag des Herrn“ und „St. Hedwigsblatt“ haben seit Ankündigung des Konzils und vor allem während des Konzils ständig darüber berichtet, aber auch das Geschehen kommentiert. Die Konzilsberichte für den „Tag des Herrn“ beispielsweise kamen auf folgende Weise schnell nach Leipzig: Die Redaktionssekretärin rief den Chefredakteur Josef Gülden zu abgemachter Zeit abends in Rom an. Alles wurde telefonisch durchgegeben, „weil es billiger als telegrafische Übermittlung oder durch den Fernschreiber war“114.

Der Begleiter von Erzbischof Bengsch, Prälat Groß, gab im Auftrag des Berliner Ordinariates seit der ersten Konzilssitzung regelmäßig „Informationen zum Konzil“ heraus, die als „Nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch“ eine Besonderheit neben den offiziellen Druckerzeugnissen der DDR darstellten. Die verschiedenen Ordinariate und Generalvikariate konnten diese bestellen und zugeschickt bekommen.115 Seit der 3. Sitzungsperiode war auf Vorschlag von Weihbischof Aufderbeck mit Zustimmung von Erzbischof Bengsch ein Informationsdienst „Vaticanum II, Informationen zum Konzil“ eingerichtet worden.116 Allen Gemeinden war es damit möglich, nachdem man über die Ordinariate und Generalvikariate die Bestellungen aufgegeben hatte, vierzehntägig Informationsmaterial zu erhalten. Der recht umständliche Weg – Papier, Kuverts und Adressen mussten nach Berlin gebracht werden – minderte nicht den Erfolg des Unternehmens.

Aber auch für die breite katholische Öffentlichkeit, die sich nicht nur über die Kirchenblätter informieren konnte oder wollte, gab es durch die sogenannten „Hausbücher“, die jährlich erschienen, Informationen, Kommentare, Hintergrundinformationen und Bildmaterial. Das Hausbuch 1964 trug sogar den Titel „Unser Konzil und aus der Konzilsgeschichte“117. In den folgenden Jahren waren etwa ein Drittel der Beiträge dem Konzil gewidmet, bis sich das Jahrbuch 1967 der unmittelbaren Rezeption der Liturgiekonstitution mit der Gesamtthematik „Liturgische Erneuerung bei uns daheim“118 zuwandte.

Auf die erste theologische Veröffentlichung von Prof. Dr. Otfried Müller von 1963 war bereits an anderer Stelle eingegangen worden. Nach Abschluss der 3. Konzilsperiode fand in Berlin vom 25. Januar 1965-28. Januar 1965 ein Liturgischer Kongress statt, dessen Beiträge im gleichen Jahr publiziert wurden.119 Eine für einen breiten Leserkreis verfasste Auswahl von Texten des II. Vatikanischen Konzils erschien 1966.120 Die erste vollständige, gedruckte Textausgabe wurde 1967 herausgegeben.121

„Mit etwas zeitlicher Verzögerung konnten die meisten liturgischen Bücher im St. Benno Verlag erscheinen oder aus dem Westen eingeführt werden. Auch wenn das Fehlen von Zeitschriften und anderen publizistischen Möglichkeiten beklagt wurde, wurden die vorhandenen Möglichkeiten erstaunlich effektiv genutzt. Vor allem Priester und kirchliche Mitarbeiter hatten Zugang zu wesentlichen Informationen rund um die Liturgiereform.“122

Neben der BOK hat sich um den Rezeptionsprozess vor allem das Philosophisch-Theologische Studium in Erfurt verdient gemacht. Die Teilnehmer des Studiums haben in zahlreichen Veröffentlichungen vor allem aber auch durch zahlreiche Vorträge und Bildungsveranstaltungen Idee und Inhalte des Konzils vermittelt. Nicht zuletzt sind wissenschaftliche Untersuchungen oder Dissertationen in der Folge des Konzils zu nennen, die in Erfurt entstanden oder angeregt wurden: „Die Bedeutung des Hörers für die Verkündigung“123, „Die Diözesan- und Regionalsynoden im deutschen Sprachraum nach dem Zweiten Vatikanum“124, „Der Priesterrat“125, „Kirchliches Ordensverständnis im Wandel“126, eine „Untersuchung zu Funktion und Inhalt der Christologie im 1. Teil der Pastoralkonstitution ‚Gaudium et spes127 und schließlich eine Dissertation „Kirche und sozialistische Welt. Eine Untersuchung zur Frage der Rezeption von ‚Gaudium et spes‘ durch die Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR“128.

Es ist die erste Untersuchung zur Frage der Rezeption von Gaudium et spes in der DDR, die sich aber auch mit dem Rezeptionsprozess des gesamten Vatikanums in der katholischen Kirche in der DDR beschäftigt. Der Verfasser, Rolf Schumacher, hat hinsichtlich der Thematik eindeutig herausgearbeitet: Beim Prozess Pastoralsynode, dem Rezeptionsprozess für das II. Vatikanische Konzil in der Kirche der DDR, handelt es sich insgesamt um eine überzeugende Rezeption von Gaudium et spes unter den gegebenen Bedingungen der DDR. Natürlich gab es Themen, wie die Soziallehre, bei denen man von einer bewussten Nichtrezeption sprechen kann. Doch dafür war die Synode geradezu vom II. Vatikanum legitimiert worden, indem die Ortskirchen dazu aufgerufen waren, die Lehre des Konzils an die jeweilige Situation und Denkweise anzupassen.129

Dass das II. Vatikanische Konzil in der katholischen Kirche der DDR rezipiert wurde, steht außer Frage. Besonders hinsichtlich der Ökumene130 könnten ausführlich und differenziert in einer eigenen Untersuchung die vielfältigen, positiven nachkonziliaren Aktivitäten dargestellt werden. Ob es nicht hinsichtlich bestimmter Konzilsaussagen eine beabsichtigte Nichtrezeption bestimmter Inhalte gegeben habe, ist oft gefragt worden. Die Frage ist mit Ja zu beantworten, weil gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen einer Rezeption entgegenstanden. Ein Hinweis auf die kirchlich-politische Situation in anderen Ländern und die ebenfalls unterschiedliche Rezeption sowie die Tatsache, dass die Rezeption des Konzils in vielen Teilen in der Katholischen Kirche überhaupt noch aussteht, kann dieses scheinbar „nur“ spezifische DDR-Phänomen relativieren.

Die Pastoralsynode der DDR selbst, die von 1973 bis 1975 in Dresden stattfand, und ihre Dokumente131 wurden kaum rezipiert und sind beinahe in Vergessenheit geraten. Von Synodenmüdigkeit wurde schon während der letzten Sitzungen gesprochen, auch wenn eine Kommunikation zwischen Synode und Gemeinden stattfand.132 Zwar zeigen neuere Forschungen, dass unterhalb der kirchenamtlichen Ebene, oftmals versteckt und anonym, Synodeninhalte rezipiert wurden, an der Gesamteinschätzung ändert dies nichts.133

Festzuhalten bleibt, dass es ein Versäumnis der BOK war, ihrerseits die Rezeption nicht voranzutreiben. Vielleicht aber liegt der Grund für die unbewusst intendierte Passivität der BOK auch an der doppelten Diasporasituation, die, wenn schon nicht zur Ängstlichkeit, so doch manchmal zu übergroßer Vorsicht bewog. Für eine solche Mentalität aber boten die optimistischen Texte der Synode wenig Rückhalt.

Eine Zusammenfassung wird zunächst die drei Ausgangsfragen beantworten müssen. Der Staat hatte eine Teilnahme der ostdeutschen Ordinarien am Konzil gestattet. Reisegenehmigungen wurden erteilt, wenn auch der Versuch gemacht wurde, Einfluss, zu nehmen. Informationen über das Konzil und seine Inhalte wurden zu keiner Zeit verhindert. Rezeptionsprozesse kamen zustande, wenn auch unter den besonderen Bedingungen einer Kirche in einem „totalitären“ Staat. Besondere Bedeutung erlangte das Zweite Vatikanische Konzil, an dessen Vorbereitung und Sitzungen Bischöfe und Theologen aus der DDR beteiligt waren aber auch durch andere Momente.134 Auf dem Konzil geknüpfte Kontakte der Bischöfe der DDR zu anderen Konzilsteilnehmern wurden über Jahre, u.a. durch Gäste der Weltkirche bei den Diözesanwallfahrten, gepflegt. Sie förderten ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Weltkirche. Die Konzilstexte selbst fanden ein z.T. euphorisches Echo, das vor allem in der Diözesansynode des Bistums Meißen und den dort verabschiedeten Dokumenten zum Ausdruck kam. Hinweise auf die Zugehörigkeit und Verbindung zur Weltkirche bei Auseinandersetzungen mit dem Staat waren nunmehr durch das Lebensgefühl der DDR-Katholiken gedeckt und wurden der Öffentlichkeit z.B. durch von Wallfahrten verschickte Grußtelegramme an den Papst dokumentiert. Berufungen von Bischöfen und Theologen aus der DDR in internationale und päpstliche Gremien verhinderten seit dem Konzil eine menschliche, kirchliche oder wissenschaftliche Isolation.

Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche

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