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Vorwort Myriam Wijlens

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„In quibus et ex quibus“ ist eine Kurzformel aus der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium, mit der das Zweite Vatikanische Konzil zum Ausdruck gebracht hat, dass die eine und einzige katholische Kirche „in und aus den Ortskirchen“ besteht (LG 23). Wer das Zweite Vatikanische Konzil und all das, was das Konzil ausmacht, studiert, wird tatsächlich feststellen, dass diese Formel nicht nur eine lehramtliche Aussage ist, die das Verhältnis zwischen den Ortskirchen und der Universalkirche beschreibt, sondern gerade bezogen auf Vatikanum II auch zum Ausdruck bringt, was vor, während und nach dem Konzil geschah.

Vorkonziliare Entwicklungen in den Ortskirchen konnten auf dem Konzil – ein Ereignis der Universalkirche – zum Tragen kommen: die bereits in mehreren Ländern de facto existierenden Bischofskonferenzen, die in der „Logistik“ des Konzils bereits eine entscheidende Rolle spielen würden; die in mehreren Ortskirchen zuvor schon bestehenden Erfahrungen mit einer Reform der Liturgie – hier ist vor allem an Deutschland zu denken; die Impulse, die durch das Laienapostolat z.B. in Frankreich und Deutschland hervorgebracht wurden; ebenso die im Kontext des Zweiten Weltkrieges gemachte Erfahrung, dass alle Christen aufgrund ihrer Taufe primär in Christus verbunden sind und die bestehenden Trennungen deshalb überwunden werden müssen. All diese Erfahrungen, die auf der Ebene der Ortskirche gesammelt worden waren, konnten insbesondere deswegen zu entscheidenden Impulsen für die Entwicklungen im Konzil werden, weil sie mit einer theologischen Forschung vor allem hinsichtlich der Bibelwissenschaften und der Kirchenväter sowie mit einem Bewusstsein für die Geschichtlichkeit von Lehraussagen einhergingen. Nicht zu unterschätzen sind hier die Beiträge der großen klerikalen Orden – z.B. der Benediktiner, Jesuiten und Dominikaner –, die schon seit Jahrzehnten die Forschung ihrer Mitglieder förderten. Durch die Herausgabe von theologischen Fachzeitschriften, in denen die Ergebnisse nicht nur publiziert, sondern auch länder- und sprachübergreifend veröffentlicht wurden, ermöglichten die Orden einen Transfer und somit eine erste Rezeption der Forschungsresultate. Die Ergebnisse des Konzils können somit nicht ohne die Erfahrungen und theologischen Vorarbeiten in den Ortskirchen gewürdigt werden.

Es waren jedoch nicht nur die ortskirchlichen Vorläufe, sondern auch die während des Konzils getroffenen Entscheidungen, die einen vor allem auf persönlichen Kontaktmöglichkeiten basierenden Austausch der Konzilsväter begünstigten: die Sitzordnung der Bischöfe erfolgte z.B. nicht nach Sprachgruppen oder Nationalität, sondern nach Weihe-Anciennität. Es konnte also geschehen, dass ein Bischof aus Europa zwischen einem aus Afrika und einem aus Asien saß, und sich dadurch neue Lernmomente ergaben, die die rein kognitive Ebene überstiegen. Ein weiterer Baustein, der zur Vernetzung der Konzilsteilnehmer führte, waren die an den Nachmittagen von Theologen gehaltenen und von Bischöfen besuchten Vorträge. Hinzu kam, dass viele der Bischöfe aus Afrika, Asien und Südamerika gebürtige Europäer waren, die einfach Kontakte mit Mitbrüdern aus ihren Heimatländern knüpfen konnten. Ferner entstanden durch das bereits bestehende Netzwerk der Ordensinstitute Berührungspunkte. Bischöfe, die als Angehörige eines Ordensinstituts in den verschiedenen Teilen der Welt zu Vorstehern von Ortskirchen berufen waren, trafen sich untereinander, um Erfahrungen und Eindrücke zu tradieren. Diese vielfachen Austauschmöglichkeiten führten zu einer Wechselwirkung zwischen den Ortskirchen unter sich mit der Folge, dass es zu einer gesamtkirchlichen Rezeption dessen, was in den Ortskirchen vorbereitet worden war, kam. Dadurch erhielt das Konzil eine neue Gewichtung.

Nach dem Konzil galt es die Ergebnisse des Konzils in den jeweiligen Ortskirchen zu rezipieren. Dies musste unter besonderer Berücksichtigung der örtlichen Umstände und Gegebenheiten geschehen: so z.B. in der Liturgie, in Entscheidungsfindungsprozessen, in den Bistümern und Pfarreien, in der Ökumene, im Umgang mit der Gesellschaft.

Fünfzig Jahre nach dem Konzil stellt sich nun die Frage, wie diese wechselseitige Rezeption im Osten Deutschlands gerade wegen des besonderen politischen Kontextes verlaufen ist: Durch wen und wie wurde sie vermittelt? Wurde sie überhaupt und wird sie gegenwärtig noch gefördert? Welche Faktoren führten dazu, dass bestimmte Aspekte nicht oder noch nicht rezipiert werden konnten? Wie sah die Teilnahme der Kirche Mitteldeutschlands am Konzil aus und wie beeinflusst das Konzil die Kirche in dieser Region bis heute? Wer das feststellen will, muss sich über die Methode Gedanken machen, dieser Fragestellung nachzugehen, und muss dafür Kriterien festlegen. Ist die deskriptive Analyse mehr oder weniger abgeschlossen, gilt es in die systematisch-theologische Phase einzutreten, indem nun Konzepte wie Glaubenssinn (sensus fidelium) und Dialog in der Wechselwirkung zwischen Orts- und Universalkirche reflektiert werden.

Diese Fragen wurden auf einer Tagung, welche an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt am 7. und 8. Dezember 2012 unter dem Titel „In quibus et ex quibus: Die Wechselwirkung zwischen Ortsund Universalkirche 50 Jahre nach Vatikanum II im Osten Deutschlands“ durchgeführt wurde, diskutiert. Die Beiträge in dem vorliegenden Band, welcher aufgrund der Tagung entstanden ist, sind somit zutiefst von einer methodischen Reflexion über Rezeptionsforschung und -vorgänge in der Ortskirche geprägt. Sie sind in drei Gruppen zu unterscheiden: Nach einem sehr persönlich gefärbten Beitrag des emeritierten Bischofs von Erfurt, Dr. Joachim Wanke, in dem er sich erinnert, wie ihm das Konzil als Seminarist nahegebracht wurde, wie er danach als Seelsorger und junger Priester an der Rezeption beteiligt war und wie er als Ortsbischof die Rezeption förderte, beschreibt der Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek vor allem die Teilnahme der Kirche im Osten Deutschlands auf dem Konzil. Der kanadische Konzilsforscher Gilles Routhier reflektiert in einem methodisch geprägten Aufsatz, wie die Rezeption des Konzils in den Ortskirchen überhaupt erforscht werden kann. Sein Beitrag bildet deswegen eine Brücke zu den darauffolgenden Studien des Erfurter Kirchenhistorikers Sebastian Holzbrecher, des Erfurter Liturgiewissenschaftlers Benedikt Kranemann und des Paderborner Kanonisten Rüdiger Althaus, die vor allem das, was konkret im Bereich der Wechselwirkung zwischen den Ortskirchen und der Universalkirche in der Region geschah, in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen stellen.

Sebastian Holzbrecher etwa beschreibt die Rezeption des II. Vatikanums in dem besonderen gesellschaftlichen und kirchlichen Umfeld der DDR und nimmt dabei konkret den sogenannten ‚Aktionskreis Halle‘, eine innerkirchliche Reformgruppe von Gläubigen in der DDR, in den Blick. Benedikt Kranemann konzentriert sich auf den Beitrag der Kirche im Osten Deutschlands für die Liturgiereform auf dem Konzil sowie auf die nach dem Konzil erfolgte Rezeption in dieser Region. Rüdiger Althaus reflektiert vor dem Hintergrund der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie Entwicklungen in den Ortskirchen aus dem deutschsprachigem Raum über das Gewohnheits- und Partikularrecht in das Universalrecht aufgenommen wurden und wie die Ortskirchen umgekehrt das Universalrecht rezipieren bzw. dies wegen regionalen Besonderheiten ihrer Kirche nicht tun, ja sogar unter Berufung auf ihre Situation sich dazu nicht im Stande sehen.

Das Buch schließt mit drei Beiträgen, die die Wechselwirkung zwischen Orts- und Universalkirche vor allem aus systematisch-theologischer Sicht betrachten. Der in der Schweiz lehrende systematische Theologe Michael Quisinsky analysiert, was das konziliare ‚aggiornamento‘ mit Blick auf Zeit und Ort für die Ortskirchen, die in der heutigen Zeit theologisch betrachtet immer weniger als nur territorial zu verstehen sind, bedeutet. Der australische Fundamentaltheologe Ormond Rush konzentriert sich auf den Glaubenssinn (sensus fidelium) und fragt, wie dieser in der Wechselwirkung zwischen Ortsund Universalkirche zu verstehen ist. Der Bochumer Fundamentaltheologe Hermann Josef Pottmeyer schließt das Buch mit einer Reflektion über das Dialogverständnis im Konzil und die Implikationen für die heutige Zeit. Zentral in seinen Ausführungen ist die Ansicht, dass die Kirche für den Kontakt mit der Außenwelt den Begriff Dialog als ein „sich auf Augenhöhe begegnen“ und ein „Wahren wirklicher Gegenseitigkeit“ verstehen würde. Im innerkirchlichen Bereich würde der Dialogbegriff jedoch eher als Gespräch (colloquium) begriffen, da man sich schwer tue die oben genannte Gegenseitigkeit zu respektieren. Pottmeyer zeigt auf, warum es in der nachkonziliaren Zeit deswegen zu Schwierigkeiten in dem wechselseitigen Austausch zwischen Orts- und Universalkirche gekommen ist und weiterhin kommt.

Die Herausgabe des vorliegenden Buches wäre ohne die Hilfe meines wissenschaftlichen Mitarbeiters Michael Karger nicht möglich gewesen. Für sein unermüdliches Engagement bei der Organisation der Tagung und vor allem bei der Druckvorbereitung sei ihm ausdrücklich gedankt. Frau Doris Wagner gilt ein Wort des Dankes für die Übersetzung der Beiträge von Gilles Routhier aus dem französischen und von Ormond Rush aus dem Englischen in die deutsche Sprache.

Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche

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