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Seelsorge mit konziliarem Rückenwind Persönliche Erinnerungen aus der Diasporapastoral Mitteldeutschlands 1 Joachim Wanke

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Es ist eine aus der Kirchengeschichte vielfach bewährte Erkenntnis: Konzilien können erst in einem größeren zeitlichen Abstand in ihren jeweiligen Auswirkungen gewürdigt werden. Es hängt von vielen Faktoren ab, ob Konzilien mit ihren lehrmäßigen Entscheidungen und sonstigen Verlautbarungen in der Breite der Kirche aufgegriffen oder eher vernachlässigt werden. Zudem sind gerade die großen Konzilien der Neuzeit, das Tridentinum und das I. Vatikanum ohne einen Blick auf die Herausforderungen der jeweiligen Zeit, auf die sie zu antworten suchten, nicht zu verstehen.

Sind 50 Jahre schon eine hinreichende Zeitspanne, um das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) in seiner Bedeutung gebührend zu würdigen? Dass dieses Konzil, von Papst Johannes XXIII. überraschend einberufen2, zu den Höhepunkten der Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert zählt, und zwar weit über die Grenzen der römisch-katholischen Kirche hinaus, ist unbestritten. Allein schon die Tatsache, dass ein solches Konzil mit so weitreichenden und mutigen Aussagen zum Glauben und kirchlichen Leben möglich war, ist in sich als ein staunenswertes Werk des Heiligen Geistes zu bezeichnen. Wie schwierig sich etwa eine Konzilsabsicht in die Tat umsetzen lässt, zeigt das langwierige Bemühen der orthodoxen Schwesterkirche um ein panorthodoxes Konzil, bei dem derzeit noch kein Ende abzusehen ist.

Meine Konzilserinnerungen und meine Würdigung des Konzils setzen biographisch an. Sie sind daher notwendig subjektiv und in ihrem Erkenntniswert begrenzt. Doch zeigt sich mir im Rückblick auf das II. Vatikanum und seine Auswirkungen in der Kirchen- und Pastoralgeschichte des mitteldeutschen Raumes, wie tiefgreifend dieses Konzil mich und viele andere geformt hat, die das Leben der Kirche im Raum zwischen Werra und Neiße mitgestaltet haben.

Am 8. Dezember 1965 fand das II. Vatikanum seinen Abschluss. Ich befand mich im letzten Jahr der Ausbildung vor der Priesterweihe. Der Spiritual und spätere Regens des Priesterseminars Neuzelle, Erich Puzik, hat uns Diakone intensiv mit den schon vorliegenden Konzilstexten vertraut gemacht. Ich weiß, dass er uns auf das damals gerade erschienene Buch von Johann Baptist Metz, Christliche Anthropozentrik3, aufmerksam machte, das wir als hermeneutische Hilfe für die durch das Konzil eingeleiteten Horizontverschiebungen in der Theologie empfanden. Der Erfurter Dogmatiker Otfried Müller4 kam eigens zu Vorlesungen nach Neuzelle, um in die dogmatische Konstitution über die Kirche einzuführen und andere Grundentscheidungen des Konzils, etwa im Bereich der Ökumene oder zur Religionsfreiheit zu erläutern. Die Hinführung zum liturgischen Dienst war schon von der Liturgiekonstitution des Konzils geprägt, der ja bald die ersten konkreten Ausführungsbestimmungen folgten. Die Priesterweihe 1966 im Erfurter Dom durch Bischof Hugo Aufderbeck erfolgte schon nach dem neuen Ritus als Konzelebration mit dem Bischof.

Im Raum der DDR konnten wir relativ schnell und unkompliziert das Konzilsgeschehen verfolgen und die entstehenden Texte nachlesen. Ab der 2. Sitzungsperiode (1963) durften die DDR-Ordinarien am Konzil persönlich teilnehmen. Otfried Müller hat schon bald eine erste kommentierte Sammlung der Beschlüsse des II. Vatikanums im Leipziger Benno-Verlag vorlegen können. Eine der Rahner-Vorgrimler-Ausgabe vergleichbare vollständige Edition der Konzilstexte erfolgte ebenfalls im St. Benno-Verlag im Jahr 19855, auch eine Auswahl an wichtigen Konzilsaussagen für die Gemeindearbeit, herausgegeben von Hans-Andreas Egenolf.6 Dazu kamen bald Aufsätze im Theologischen Jahrbuch Leipzig (eine Art Ersatz für eine fehlende theologische Zeitschrift, meistens mit Nachdrucken aus dem deutschen Sprachraum)7, ferner im sog. Theologischen Bulletin (kirchlicher Samisdatdruck)8 und in den pastoralen Aufsatzbänden, die Bischof Hugo Aufderbeck in den 70er Jahren herausgab.9 Dort wurden viele praktische Fragen der Konzilsrezeption angesprochen. Schließlich boten auch die Seelsorgeämter der östlichen Jurisdiktionsbezirke schnell Hilfen zur Weiterbildung an, um den Klerus und interessierte Laien mit dem Konzil und seiner Bedeutung vertraut zu machen. Man kann sagen: Klerus und Gemeinden hatten reichlich Möglichkeit, sich mit dem Konzil auseinanderzusetzen. Dazu trugen natürlich auch die von Bischof Otto Spülbeck (von 1958-1970 Diözesanbischof des Bistums Dresden-Meißen) angefangene und nicht vollendete Meißener Diözesansynode und die Dresdner Pastoralsynode aller Jurisdiktionsgebiete in der damaligen DDR (1973-1975) bei. Dort zeigten sich auch erste Kontroversen bei der Interpretation der Konzilstexte, etwa von Gaudium et spes, was natürlich teilweise auch dem gesellschaftlichen Kontext des kirchlichen Lebens in der DDR geschuldet war.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, den konziliaren Anstößen und Gedankenimpulsen in meinem Dienst als Priester und Bischof im Detail nachzugehen. Ich hatte das Glück, mit dem gerade abgeschlossenen Konzil, das allgemein als Öffnung der Kirche und Freisetzung zu neuen Wegen in der Seelsorge empfunden wurde, meinen priesterlich-seelsorglichen Dienst zu beginnen. Eigentlich bis heute ist das Denken des Konzils, seine Neuansätze im Kirchenbild, in der Liturgie, in der Ökumene und in seiner Sicht des Verhältnisses des Christentums zu den anderen Religionen für mich die Folie meines theologischen und pastoralen Nachdenkens und Handelns.

Die wechselseitige Rezeption zwischen Ortskirche und Universalkirche

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