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Thomas Philipp: Wonach wir fragen
ОглавлениеThomas Philipp * 1965, studierte Katholische Theologie und Geschichte in Tübingen, Paris und Heidelberg und wurde mit einer Arbeit über das Menschenbild der Psychosomatischen Medizin promoviert. Tätigkeiten als Jugend- und Studierendenseelsorger sowie in der Bildungsarbeit. Seit 2006 leitet er das aki, die Berner Katholische Hochschulseelsorge. Veröffentlichungen zwischen Theologie, Psychotherapie, Spiritualität und Bildung. |
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Wonach wir fragen
Die Atmosphäre, die Sprache, das Menschenbild einer Universität, einer Schule, eines Bildungswesens sind nicht in Stein gehauen. Sie entwickeln sich. In den letzten zwanzig Jahren haben betriebswirtschaftliche Begriffe – Effizienz, Steuerung, Output, Kompetenz – pädagogische und philosophische Leitbegriffe – Reife, Verantwortung, Eigenständigkeit, Selbstfindung – weitgehend verdrängt. Die Konzentration auf das Messen, Kontrollieren und Nachsteuern prägt gleichermaßen die Bologna-Reform, die sogenannten Bildungsstandards, ihre Erhebung durch Multiple-Choice-Tests und die Verkürzung der Schulzeit bis zur Matur in den meisten Schweizer Kantonen und deutschen Bundesländern. Auch zeitlich fällt das Auftreten dieser Maßnahmen – im Folgenden kurz Reformen – weitgehend zusammen.
Ungläubig verfolgte ich das erst rhetorische, dann politische Zerschellen der humanistischen Ideale an, wie es hieß, ökonomischen Notwendigkeiten. Die Versuche, die verantwortliche, neugierige, reifende Freiheit im Mittelpunkt des Bildungswesens zu halten, wirkten hilflos. Auch die europaweiten Proteste von Studierenden im Jahr 2009 erreichten nur Achtungserfolge: das Umschwenken der großen deutschsprachigen Zeitungen und, in Deutschland, die Abschaffung der Studiengebühren.
Welche Sprache?
Im Zentrum der Kritik an den Reformen steht die Herrschaft wirtschaftlichen Denkens. Indes hat das Phänomen noch nicht zu einem klaren Begriff gefunden. Viele Kritiker, wie der Kunstprofessor und Latinist Jochen Krautz (2007, 105 ff.), nennen das Phänomen Neoliberalismus[1]. Sie interpretieren es politisch, von Interessen und Drahtziehern her. In Sprache und Haltung ist diese Deutung im linken Milieu beheimatet. Sie ist von der Bewegung gegen die Globalisierung mitgeprägt, was zu unscharfen Rändern führt und ein Ressentiment einschließt.
In neueren Arbeiten konzentriert Krautz seine Kritik darauf, dass hier die Sprache der Maschine und ihrer Steuerung auf Menschen und ihre Bildung übertragen werde. Das unterlaufe deren Freiheit und Würde. Was man heute Qualitätsmanagement nenne, basiere auf einem technischen, genauer kybernetischen Steuerungsmodell. Bei einer Heizung stelle der Techniker eine gewünschte Temperatur ein (Output-Standard), woraufhin der Kessel (der Unterricht) zu arbeiten beginne. Ein Messfühler (zentrale Prüfungen, PISA) messe die faktische Temperatur und melde das Ergebnis an die Steuerung (Zentralbehörde) zurück, die den Kessel nachsteuere. »Schule erscheint somit als Maschine, die programmiert und von außen gesteuert werden könne. Lehrer sind in diesem System nur noch Techniker, die die Schüler nach Soll-Vorgaben steuern. Das widerspricht dem personalen Menschenbild des Grundgesetzes und unterläuft die Mündigkeit und Selbstverantwortung von Lehrern und Schülern.« Beide handelten nicht mehr selbstverantwortlich, sondern nur noch selbstgesteuert: »Sie richten ihr Handeln an den unhinterfragten Maßgaben des Steuerungssystems aus.« Das Qualitätsmanagement wirke verdeckt, aber massiv normativ. Es unterdrücke die Individualität von Schülerinnen und Schülern wie von Lehrerinnen und Lehrern. Krautz widerspricht: »Weil pädagogisches Handeln keine Technik, sondern eine menschliche Praxis ist, kann sie nicht aus Theorie eindeutig abgeleitet und nicht durch Techniken angeleitet werden.«[2] Darum sei pädagogisch nicht auf Selbststeuerung, sondern auf Gespräch und personale Beziehung zu setzen. Diese Kritik der Reduktion des Menschen zu einem Ding, einem bloßen Objekt, setzt sprachlich an und zielt auf eine ethische Bewertung von den Menschenrechten her. Der Bezug auf das Grundgesetz deutet eine juristische Argumentation an.
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin (2013, 62) kritisiert das Phänomen als bloß instrumentelle Vernunft. Es wolle von »Rationalität nur in Hinblick gegebener Ziele des jeweiligen Akteurs sprechen. Diese Ziele selbst entziehen sich jeder rationalen Beurteilung«. Doch Humanität und Demokratie stünden und fielen damit, dass auch die Ziele der Debatte der vernünftigen Kritik unterlägen. Diese Kritik fasst das Phänomen von seinen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen her. In der Tat: Das Ausgreifen der ökonomischen Interpretation auf alle Lebensbereiche setzt die These Gary S. Beckers (1978, 15) voraus, alles menschliche Verhalten könne »betrachtet werden, als habe man es mit Akteuren zu tun, die ihren Nutzen, bezogen auf ihr Präferenzsystem, maximieren«. So gewinne man einen einheitlichen Bezugsrahmen für die Analyse menschlichen Handelns, wie ihn Marx und andere vergeblich gesucht hätten: eine geschlossene Ideologie!
Der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich (2013, 34) spricht von Ökonomismus als einer Weltanschauung, »die sich hinter dem Jargon wertfreier Sachrationalität versteckt, dabei aber die ökonomische Rationalität (Effizienz) zum obersten Wertgesichtspunkt verabsolutiert und einer nahezu grenzenlosen Ökonomisierung unserer Lebensformen, der Gesellschaft und der Politik das Wort redet«. Deutlicher als in der politischen und erkenntniskritischen Bewertung erscheint hier ein Denkstil, eine Lebenshaltung, ein Zeitgeist, der seine Macht dem zeitgenössischen Umgang mit dem Bedürfnis nach Orientierung und Hingabe verdankt.
Diese Versuche, das Phänomen zu begreifen, treffen wichtige Aspekte. Das Phänomen ist vielschichtig, es tritt in der Tat als politische Strategie von Institutionen wie der OECD auf. Die Verwechslung von etwas und jemand ist offenkundig, die instrumentalisierende Denkform leicht nachweisbar. Und ja, es gibt den Ökonomismus als haltgebende, orientierende Ideologie. Indes lassen sich die drei Beschreibungen nicht auf eine unter ihnen zurückführen, sodass offen ist, was denn der Kern des Phänomens sei, von dem her sich die Vielzahl der Erscheinungsformen als Ganzes begreifen ließe. Das heißt, dass wir die Reformen noch gar nicht verstanden haben und also nicht wissen, was hier eigentlich geschieht. Wir können nicht sagen, ob die Reformen gut sind oder nicht. Wir finden keinen gemeinsamen Horizont, von dem her wir uns über die Bewertung der Reformen verständigen könnten. Darum können wir auch unsere ethische und demokratische Verantwortung nicht übernehmen.
Offenbar geht es in der Debatte um Methoden und Ziele unserer Bildungsanstrengungen auch um weltanschauliche Fragen. Nicht nur um pragmatische Ziele, sondern auch um den Ansatz, von dem her das Menschsein und Menschwerden im Westen des 21. Jahrhunderts zu interpretieren sei und an welchen Idealen es sich orientieren solle. Offenbar konkurrieren hier nicht nur sachliche Positionen, sondern auch Blickrichtungen, Weisen, den Menschen und seine Reifung anzuschauen. Es geht – es gibt heute eine Scheu, darüber zu sprechen – auch um die Antwort dieser Zeit auf die Frage, welchen Sinn sie dem Dasein und Sichentwickeln des Menschen geben will. Es ist zu einfach, hier auf den allgegenwärtigen Pluralismus zu verweisen: Auf die Frage nach dem Menschen und dem Sinn seines Daseins gebe es heute keine einheitliche Antwort mehr! Denn auch in der puralistischen Gesellschaft impliziert jede Bildungsanstrengung eine normative Vorstellung vom Menschen und damit auch vom Sinn des menschlichen Daseins. Auch dann, wenn man nicht über sie spricht oder nicht über sie sprechen möchte. Es muss zwingend ein Ideal geben, das zur Anstrengung motiviert – sonst würde sich niemand für Bildung anstrengen. Der Einzelne nicht, und auch der Staat nicht.
In der Frage nach der impliziten Vorstellung, wie der Mensch sein solle, geht es um nicht weniger als um die Frage, wie wir unter den Bedingungen unserer Epoche die Menschlichkeit bewahren können. Das ist nicht wenig. Die Frage nach den Zielen unsere Bildungsanstrengungen ist ein sorgfältiges Zuhören, Nachdenken und Sichengagieren wert. Der vorliegende Band lädt zur Auseinandersetzung ein; er möchte sie provozieren und inspirieren.
Die Tagung
Wider die Ökonomisierung der Bildung: 2011 stieß ich auf den brillanten Aufsatz Eberhard von Kuenheims. Er formuliert einen klassischen Schluss: (1) Bologna sei der Versuch, die Freiheit zu bürokratisieren. (2) Die Freiheit lasse sich aber nicht bürokratisieren. Woraus folge (3): Bologna sei auch ökonomisch ein unsinniges Unterfangen. Ich stutzte: Fanden denn die Reformen nicht namens der Wirtschaft, der volkswirtschaftlichen Nützlichkeit der Ausbildung statt? War es nicht überhaupt eine wirtschaftliche Sprache, die sich hier vor die Sprache der bildenden Beziehung schob?
Der jungen Elite wird widerspruchsloser Gehorsam eingetrichtert! Bald darauf fand ich zwei Interviews mit Thomas Sattelberger. Hochschulabsolventen seien heute zwar jung, aber nur auf Anpassung getrimmt, in keiner Weise darauf vorbereitet, kritisch und eigenständig Verantwortung zu übernehmen, politisch naiv und ethisch ungebildet, also zum Treffen weitreichender Entscheidungen ungeeignet. »An den meisten Business-Schools wird wenig Sinnvolles gelehrt. Die gefönten Kens und Barbies im Business-Outfit werden nur auf ökonomische Effizienz getrimmt, nicht zu Innovationen animiert. Die Manager in spe denken einzig in der Kategorie Höher, schneller, weiter. Business-Schools und Wirtschaftsfakultäten sind signifikant verantwortlich für missratene Führung im Management.« Die globalen Unternehmensberatungen seien »militärische Drillanstalten. Dort gelten ähnlich rigide Prinzipien wie bei den Marines: Up or out! Das sind Bootcamps. Wer nicht performt, fliegt raus. Da wird nichts kritisch hinterfragt« (2013). Die Deutschen seien so staatsgläubig wie selten zuvor. Die junge Generation suche nach Kontinuität und Sicherheit und sehe nicht, dass dieser Weg der gefährlichste sei. Dahinter stehe die Stabilität Deutschlands in den letzten zehn Jahren – und das Ausbildungssystem, das kaum mehr Raum lasse, Dinge auszuprobieren. Es sei absolut nicht klug gewesen, dass die Wirtschaft jahrelang die Verkürzung der Schul- und Studienzeiten gefordert habe. Der Spaß am Risiko, am Ausprobieren und an Neuem sei dem ganzen Land abhandengekommen (2014). Offenbar waren bereits die Zielvorstellungen von rein wirtschaftlich sinnvoller Bildung nicht nur umstritten, sondern auch durchaus unklar.
Größer, höher, schneller: Dann kam Dieselgate. Es fehlte an keiner Kompetenz. Das betrügerische System funktionierte, millionenfach. Es sollte Jahre dauern, bis jemand dahinterkam. Diese Fachleute hatten alles richtig gemacht. Die treibende Kraft war der blinde Ehrgeiz des VW-Vorstands unter Martin Winterkorn, bis 2017 Toyota zu überrunden und der größte Autobauer der Welt zu werden. Dafür wurde massiv Druck aufgesetzt. Motorenentwickler traten an Elektronikspezialisten von Bosch heran. Diese wollten erst nicht, wiesen auf das ethische Problem hin. Die Leute von VW übernahmen die Verantwortung. Das Gewissen hat sich also durchaus gemeldet, im Kleinen wurde eine ethische Debatte geführt – und brach unter dem Druck von oben zusammen. Das hat unmittelbar mit dem Fehlen einer tragfähigen ethischen Bildung zu tun, die in solchen Fällen das Gewissen so unterstützt, dass der Mensch Mut und Kraft findet, zu ihm zu stehen. Der großflächige Betrug wird VW allein in den USA 20 Milliarden $ an Bußen kosten; hinzu kommt der gewaltige Ansehens- und Vertrauensverlust. Winterkorn stürzte. Auch Bosch sieht sich in den USA mit kaum kalkulierbaren Klagen konfrontiert. Hätte man ein oder zwei zierliche Promillchen dieser Summen in eine ernsthafte ethische Bildung der künftigen Kader investiert: Die Rendite wäre, schon nur ökonomisch betrachtet, brillant gewesen. Dass unsere Universitäten die seriöse ethische Bildung der künftigen Ökonomen und Ingenieurinnen zugunsten unmittelbar verwertbarer Kompetenzen vernachlässigen, systematisch vernachlässigen, beschädigt unsere Wirtschaft. Wer derart die Bildung spaltet, spaltet den werdenden Menschen. Wer den Menschen spaltet, beschädigt das Ganze, das heißt auch sich selbst.
So entstand die Idee, führende Verantwortliche aus Wirtschaft, Pädagogik, Wissenschaft, Spiritualität und Politik zu einer Tagung einzuladen, um die Ziele unserer Bildungsanstrengungen näher zu beleuchten. Sie fand am 15. und 16. April 2016 an der Universität Bern statt.
Die Verantwortlichen aus der Wirtschaft waren sich einig: Eine am kurzfristigen Output, an wirtschaftlichen Erfolgsrechnungen orientierte Bildung dient der Wirtschaft durchaus nicht, sondern schadet ihr massiv. Niemand vertrat die Mainstream-Begründung, die Reformen seien zur Förderung des Wirtschaftswachstums zwingend notwendig. So konnte man erwarten, dass am nächsten Tagungstag auch die politisch Verantwortlichen die Reformen grundsätzlich hinterfragen würden.
Weit gefehlt! Die Reformen seien europaweit etabliert, die Schweiz könne nicht ausscheren, die Probleme ließen sich, soweit sie überhaupt von Bedeutung seien, durch Anpassungen innerhalb des Systems lösen, etwa durch größere Module. Erstaunlich! Wieder und wieder hatte man uns gesagt, die Reformen seien ökonomisch unumgänglich. Aber als die Wirtschaftsvertreter diese These zurückwiesen, gab es auf einmal andere, jetzt politisch und administrativ zwingende Argumente. Offenbar sind die Reformen doch nicht in dem Sinn ökonomistisch motiviert, dass eine zusammenhängende Ideologie die Interessen der Wirtschaft verträte.
Aber was ist dann das wirkliche Motiv? Was geht hier eigentlich vor? Welche Kräfte wirken hier? Welche Motivationen? Wie lassen sie sich so verstehen, dass ein schlüssiger Zusammenhang entsteht? Und wie sollen wir uns zu ihnen stellen? Diese Frage gebe ich den Leserinnen und Lesern mit. Am Ende des Buches schlage ich eine Antwort vor.
Dabei ist eine Grenze anzuzeigen. Bildung und Wirtschaft sind in der Schweiz, in Deutschland und Österreich überaus eng verzahnt durch die berufliche Bildung. Die Pflege und das Ansehen von Lehre und Meisterbrief, zahlreiche kluge Weiterbildungsmöglichkeiten, Fachabitur und Fachhochschulen führen zu einer großen Zahl praxisnah ausgebildeter, hervorragender und motivierter Fachkräfte und damit zu tiefen Arbeitslosenquoten. Die berufliche Bildung bietet heute vergleichbare Aufstiegschancen wie Matur und Studium. Diese Zweifarbigkeit des Bildungswesens ist eine Erfolgsgeschichte, um welche die ganze Welt die deutschsprachigen Länder beneidet. Um berufliche Bildung geht es diesem Buch nur indirekt. Es fragt, welcher Art gebildete Menschen die Wirtschaft braucht – auf der Schiene von Matur und Studium. Hier haben die Reformen weitaus energischer angesetzt als in der beruflichen Bildung, und nur von dieser Schiene versteht der Herausgeber etwas.
Dieser Band versammelt die von den Autorinnen und Autoren überarbeiteten Referate der Tagung. Patrik Schellenbauer (Avenir Suisse), die Nationalrätinnen Regula Rytz (Grüne) und Kathy Riklin (CVP) konnten ihre Beiträge aus zeitlichen Gründen nicht in schriftliche Form bringen. Dasselbe gilt für Thomas Sattelberger, Annette Winkler und Hans Ambühl; mit ihnen konnten wir stattdessen ein Interview führen. Die Beiträge der studentischen Autorinnen und Autoren sind unter dem Eindruck der Tagung im Nachhinein entstanden. – An der Tagung fiel den beiden bildungspolitisch Verantwortlichen, Hans Ambühl und Josef Widmer, eine zusammenführende Wertung zu. Damit sie diese auch für das Buch wahrnehmen konnten, stand ihnen bei der Abfassung ein Teil der Beiträge bereits zur Verfügung. Letzteres gilt auch für die studentischen Autorinnen und Autoren und für Carl Bossard.
Wirtschaftliche Blicke
Wie die Tagung setzt der Band mit wirtschaftlichen Beiträgen ein. In wünschenswerter Klarheit spricht Thomas Sattelberger das Unbehagen aus: »In der Wirtschaft wissen heute viele, dass Kreation angesagt ist, wir aber noch in Strukturen leben, die Effizienz optimieren. Das Zeitalter der industriellen Massenproduktion und der industrialisierten Bildung neigt sich dem Ende entgegen. Heute muss das Bildungswesen deutlich weniger Wissen reproduzieren und schnell viel mehr Räume für Kreation öffnen. Wir können es uns nicht leisten, für die teilweise Rückabwicklung der Bologna-Reform so lang zu brauchen wie für ihre Einführung … Wir brauchen keine apolitischen Absolventen, die nur auf Job und Sicherheit schauen, ohne den Kontext, in dem sie arbeiten, reflektieren zu können. Wir haben eine Generation von Anpassern produziert.« Wenn Sattelberger Recht hat, geht eine Bildungspolitik im Ansatz fehl, die PISA, Bologna und die verkürzte Matur bloß modifizieren, nicht im Grundsatz korrigieren will.
Annette Winkler, die charismatische und erfolgreiche Chefin von smart, spricht über die (Un-)Fähigkeit zum Widerspruch in großen Hierarchien. Für eine Führungskraft sei es gar nicht so einfach zu erfahren, was ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich dächten. Auf deren Seite setze konstruktiver Widerspruch ein ganzes Bündel von Fähigkeiten voraus: mitzudenken, das große Ziel vor Augen zu haben und nicht nur den eigenen Silo. Überhaupt einen eigenen Standpunkt zu haben; und ihn so zu artikulieren, dass er nicht als Angriff erlebt werde.
Nüchtern berichtet Michael Heim von Erfahrungen mit Bologna-Absolventinnen und -Absolventen in der unternehmerischen Praxis. Er kommt zu klaren Wertungen. Der Bachelor führe auch bei blendenden Noten nicht zu ausreichendem Methodenwissen, sodass kein selbstständiges ingenieurmäßiges Arbeiten möglich, der Betreuungsaufwand hoch sei. Die persönliche Reife – kritische Selbststeuerung, Umgang mit Hindernissen, reflektierte Wertebasis – scheine oft nicht ausreichend gegeben. Die Bewerber seien zu stark auf ihren persönlichen Aufstieg fokussiert. Neben dem Erwerb von Kompetenzen müsse darum die Entwicklung der Persönlichkeit treten. Sie erfordere Zeit, Vorbilder, soziale Interaktion und Konfrontation mit Diversität.
Ulrich Looser nimmt aus Sicht von economiesuisse Stellung. Das Bildungssystem dürfe nicht auf kurzfristige Nachfrage des Arbeitsmarkts reagieren, sondern habe grundlegende Fähigkeiten mit auf den Weg zu geben, sodass die jungen Leute ihr Leben in die eigene Hand nehmen können. Unternehmen benötigten nicht genormte Arbeitskräfte, sondern vielseitige, kritisch denkende und kreative Persönlichkeiten. Um diese hervorzubringen, müsse das Bildungssystem vor allem die Neugier fördern.
Studentische Blicke
Um auch die Jugend zu Wort kommen zu lassen, versammelt der zweite Teil die Beiträge von sieben Studierenden, die unter dem Eindruck der Tagung auf ihr Studium schauen und seine Struktur bewerten. Sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Tobias Fissler (Mathematik) hat mit dem reformierten Studium ganz überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Die regelmäßigen Prüfungen unterstützten ihn in der Aneignung des Stoffs und milderten die Angst vor großen Prüfungsblöcken. Die Struktur habe das Wachsen seiner Freiheit unterstützt: Eine Grundsatzdebatte über Bologna sei nicht zielführend. Für Sandro Christensen (Medizin) erlaubt die Reform eine Spezialisierung des Studiums; diese bereite angemessen auf differenziertere gesellschaftliche Anforderungen vor. Das Medizinstudium sei seit jeher verschult: zu Recht, weil jeder Arzt ein großes objektives Wissen beherrschen müsse. Bildung sei wesentlich Selbstreflexion; das Studieren könne zu ihr führen, müsse es aber nicht. Selbstreflexion brauche Zeit und Distanz zum Alltag; ob Bologna diese in angemessener Weise zulasse, sei eine offene Frage. Mara Häusler (VWL) betont die persönliche Entwicklung, die Raum für Um- und Irrwege brauche. Eigenständige Köpfe, die gute Entscheidungen träfen, reiften in der Begegnung mit Vorbildern. Vor allem bräuchten sie Hilfen, das eigene Denken und Arbeiten als sinnvoll wahrzunehmen. Mit diesen Fragen habe Bologna wenig zu tun, da die Reform sich auf äußere Ziele des Studierens – Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz und Mobilität – beziehe.
Mathematische, medizinische und ökonomische Fragen pflegen weniger existenziell zu sein. In diesen Fächern dominieren seit jeher umfangreiche Wissensprüfungen. Es ist nicht schlimm, wenn das Interessanteste erst in ein paar Semestern kommt. In der Geisteswissenschaft ist das anders. Der Raum ihres Fragens ist breiter und vor allem subjektiver bestimmt. Sie lebt von der Auseinandersetzung mit Werten, auch den eigenen, mit Fakten und ihrer Interpretation. Darum braucht es den ausdrücklichen Einbezug des Subjekts, um das Studium sinnvoll zu strukturieren. Kein Wunder also, dass sich, wie schon bei den Protesten 2009/10, überwiegend die Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften kritisch zu den Reformen stellen.
Überforderung, Einsamkeit und Traurigkeit seien die wesentlichsten Erfahrungen seines Studiums gewesen. Sie hätten ihn, so Gabriel Zimmerer (Sozialanthropologie, Klassische Philologie), tiefer mit der Welt verbunden, Begegnung und tiefe Freude entstehen lassen. Der Wert dieses dreifachen Kontrollverlusts sei unter Bologna in Vergessenheit geraten. Die Bildung junger Menschen bedürfe des Loslassens, nicht der Bändigung oder Formung nach äußeren Vorgaben. Aus dem Beitrag Adriana Hofers (Germanistik, Anglistik) spricht eine leise Traurigkeit: weil die Anpassung an die Vorgaben des Systems das Lernen von den Nöten und Kraftquellen einer existenziellen Auseinandersetzung trenne. So, dass Bologna, trotz zahlreicher Wahlmöglichkeiten, entfremdend wirke. Studieren unter Bologna sei wie Radfahren mit Stützrädern. Es erfordere kaum Mut, Selbstvertrauen und Eigenverantwortung. Es sei nicht riskant, aber man komme auch nicht weit. In Adriana Hofer begegnet der Leser resp. die Leserin einer jungen Frau, die mehr möchte als nur Germanistik studieren – sie möchte Germanistin und Pädagogin werden. Sie ist bereit, sich in Begegnungen verwandeln zu lassen. Wir spüren ihre Enttäuschung, dass die Universität an diesem wertvollen Potenzial und seiner Bildung kühles Desinteresse zeigt. Selina Abächerli (Sozialanthropologie, Klassische Philologie) versteht Wissenschaft als Kunst, kluge Fragen zu stellen. Sie erlaubt einen Blick in die Zweifel und Krisen, die mit ihrer studierenden Auseinandersetzung einhergehen. Sie bedauert, dass die Wissenschaft solche anspruchsvollen inneren Prozesse lieber beschweige als thematisiere. Wie könne die Universität diesen Lebensnerv kultivieren, wenn sie nicht von ihm spreche? Bologna setze die Studierenden zwar unter dauernden Druck, ohne jedoch bedingungslose Hingabe zu verlangen, oft nicht einmal eine klare Entscheidung. Hier nimmt eine wache Studentin wahr, dass das Studiensystem sie zwar beständig beschäftigt, ihr aber viel weniger zutraut, als in ihr steckt. Jonathan Gardy (Katholische Theologie) berichtet aus einem vollständig modularisierten Studium. Seine These: Solche Studienpläne entmündigten junge Erwachsene, denen das durchaus gelegen kommen könne. Aber Studienordnungen müssten Mut zur Lücke beweisen. Nur so merkten Studierende, dass ihnen zugetraut werde, ihre Bildung in die eigene Hand zu nehmen. Für Bildungspolitik und Professorenschaft bedeute das Kontrollverzicht, für die Studierenden Kontrollverlust. Billiger sei ein von Freiheit und Verantwortung geprägtes Leben und Arbeiten nicht zu haben.
Philosophisch-pädagogische Blicke
Helmut Geiselhart geht vom Ende der Grands Récits aus, vom Verlust der zusammenhängenden Bildes unserer Welt; vom Verlust einer zusammenhängenden Sprache, die Sehnsucht und Politik, innen und außen, Leiden und Erfüllung sinnvoll aufeinander beziehen könnte. Es gebe kein sprachliches Bild menschlichen Daseins als Ganzen mehr. Das habe tiefgreifende, noch kaum reflektierte Folgen. Die erste nachideologische Generation – X, Y, Z – stehe dem unmittelbaren Erleben offener gegenüber als alle Generationen zuvor, sei damit auch schutz- und wehrloser gegenüber Ansprüchen des Systems. Sie tauchten einfach ein in ein Jetzt. Bar der Möglichkeit, wie die 68er eine Gegenideologie, ein kritisches Bewusstsein gegen die gegebenen Verhältnisse zu stellen. Geiselharts Analyse kann erklären, warum diese Generation den Älteren mitunter seltsam angepasst vorkommt.
Für Klaus Mertes macht das Mehr als Messbare den Kern des Bildungsprozesses aus. Aber warum verschwindet dieses Mehr im politischen Diskurs über Bildung? Seine These: Die Sprache der Zentralinstitutionen überrolle die untere und mittlere Ebene derart, dass die Sprache der bildenden Begegnung verstumme. Mertes fordert Subsidiarität: Die Ebene der Bildungsplanung müsse anerkennen, dass Bildung auf der Mikroebene stattfinde; die Zentrale habe der persönlichen Bildungs- und Beziehungsarbeit zu dienen und sich vor ihrer Erfahrung zu rechtfertigen. Die Begründungspflicht für Eingriffe liege bei der je höheren Ebene.
Carl Bossard konfrontiert die Anziehungskraft der Casting-Shows mit dem Verschwinden der Lehrperson im pädagogischen und bildungspolitischen Mainstream. Die Jugend suche die lebendige Beziehung zum Vorbild, während Pädagogik und Bildungspolitik das selbstgesteuerte Lernen propagierten. Sodass die Lehrperson mehr organisiere und auf Fragen hin berate denn als Gegenüber da sei. So gerate das Entscheidende in den Schatten: die Beziehung, in der sich Resonanz ereigne und die eine Auseinandersetzung aushalte.
Der Herausgeber entwickelt aus Kants kategorischem Imperativ den Grundriss einer Bildungsethik, die das Werden des Menschen vor Instrumentalisierung, vor Verzweckung schützt – durch andere und auch durch sich selbst.
Was sehen Verantwortliche des Schweizer Bildungssystems?
Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich und Präsident der swissuniversities, und Anna Däppen-Fellmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stab des Generalsekretariats der Universität Zürich, entwickeln die Aufgabe der Universität aus ihrem mittelalterlichen Ursprung. Sie habe neben der sprachlichen und naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung, den sieben artes liberales, immer schon der Berufsbildung von Juristen, Priestern und Ärzten gedient. Bologna passe das Studium der Realität der Massenuniversität an. Die Reform habe sich in ihren beiden Grundelementen – Zweiteilung des Studiums, europaweit vergleichbare Punkte – bewährt: Sie fördere die Mobilität, belebe den Wettbewerb, strukturiere das Studium besser und gebe früher Rückmeldung über die erzielten Leistungen. Einzuräumen sei, dass die kleinteiligen Prüfungen zur Verzettelung und zum Verlust des großen Zusammenhangs führen könnten. Die Lösung liege in einer besseren Vernetzung der Module. Das lasse sich durch Anpassung des Systems bewerkstelligen, ein grundsätzliches Überdenken der Reform sei nicht angezeigt.
Aus der Sicht des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI umreißt Josef Widmer das Verhältnis von Wirtschaft und Bildung aus systemischer Sicht und präsentiert Schwerpunkte und Ziele der nationalen Bildungspolitik. Der politische Text macht deutlich, wie die Steuerung des Bildungssystems sehr viele verschiedene Interessen vermittelt. Das Bildungssystem sei ein Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung, nicht umgekehrt: Bildungspolitische Entscheide seien in der Schweiz aufgrund des demokratischen und partizipativen Prozesses breit abgestützt. Das lasse auf der Systemebene erst gar keinen fundamentalen Änderungs- oder Handlungsbedarf entstehen. Wo dennoch Steuerung angemahnt werde, sei sie evidenzbasiert zu begründen.
Eine besondere Chance bietet das Interview mit Hans Ambühl, der die Bildungspolitik der Kantone als Generalsekretär koordiniert. Er stellt sich der Kritik, erklärt, verteidigt Positionen – und anerkennt Schwierigkeiten und wunde Punkte. Er führt den Dialog der Tagung weiter, vertieft ihn, präzisiert die Positionen. Der Tonfall zeigt Anerkennung und Wertschätzung.
Ein Bottom-up-Projekt wie dieses Buch beginnt als Outlaw. Umso dankbarer ist es für die Anerkennung der Verantwortlichen. Die Geschichte der Christen war immer dann besonders fruchtbar, wenn Macht und Prophet miteinander sprachen und aufeinander hörten. Innozenz III., auf dem Höhepunkt der weltlichen Macht der Päpste, sprach mit Franz von Assisi, hielt seine radikale Kritik an der reichen Kirche aus, gab ihm Raum. Er anerkannte die Bettelorden. Das Neue durfte im Alten wachsen und führte die abendländische Kirche zu ihrer höchsten Blüte. Nicht ohne sich mit dem linken Flügel der Franziskaner zähe Probleme einzuhandeln, nicht ohne furchtbare Schatten wie die Katharerkreuzzüge – aber man war im Gespräch, und man war glaubwürdig für die Jugend. Mit Luther hingegen sprach niemand. Schon seinen ersten Brief beantwortete sein Bischof nicht. Stattdessen strengte er sofort einen Ketzerprozess an: weil er sich gegenüber den Fuggern, die den Ablasshandel organisierten, in wirtschaftliche Abhängigkeit begeben hatte. Er war ökonomisch nicht frei.
Reibungen
Fokussiert ein Fotograf ein Detail, tritt es scharf hervor; der Hintergrund verschwimmt. Will er aber das Ganze im Blick halten, bleiben interessante Details klein, gehen unter. Jeder Fokus hat Grenzen. Jede Sprache nimmt manche Verhältnisse deutlich wahr, andere bleiben unscharf oder finden sich ausgeblendet. Einer Sprache ihre Begrenztheit als solche zum Vorwurf zu machen, wäre wenig durchdacht. Allen Sprachen stellt sich die Aufgabe, neben der sorgfältigen Pflege des eigenen Fokus auch auf die der anderen zu hören, die eigene Position auch von außen wahrzunehmen und sich von ihr in Frage stellen zu lassen. Auch wenn das etwas unbequem ist und Arbeit verspricht. Am Dialog über Interessen- und Sprachgrenzen hinweg führt, zumal in komplexem Gelände, kein Weg vorbei. Treten wir also in die verschiedenen Sichtweisen ein, begegnen wir Spannungen zwischen den Interessen und den Sprachen der Beteiligten! Das sorgfältige Hören auf die Differenzen ist der erste Schritt zu ihrer Versöhnung.
Die wichtigste Reibung liegt in der Unmöglichkeit, den sich bildenden Menschen und die Tätigkeit der Bildungsinstitution ganz oder auch nur überwiegend in ökonomischer Sprache zu beschreiben. Dieser Versuch liegt, in den meisten Leitbildern und in allen Strategien der Deutschschweizer Universitäten vor. Diese Verkürzung und Vereinnahmung des werdenden Menschen ist mit Aufklärung, Demokratie und Liberalität unvereinbar.
Eine zweite Spannung ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der Begegnung sich bildender Menschen an der Basis und steuernder Großinstitutionen, die verschiedene Sprachen sprechen müssen. Nach Klaus Mertes überrollt die Sprache der Zentralinstitutionen diejenige der bildenden Begegnung. Dieser Analyse scheint zu entsprechen, dass Josef Widmer sich auf eine systemische Sprache beschränkt, und Michael Hengartner von institutionellen Notwendigkeiten – der Führung einer Massenuniversität, der Integration Europas – her argumentiert.
Ein dritter Punkt betrifft die Offenheit der ökonomischen Sprache für die Logik anderer Sprachen. Die wirtschaftliche Sprache kann Worte aus anderen Sprachen übernehmen und ins Zentrum stellen, etwa den »guten Lehrer« bei Ulrich Looser, die »Persönlichkeitsentwicklung« oder den »Widerspruchsgeist« bei Mara Häusler. Aber damit tritt sie noch nicht in das betreffende Phänomen und seine innere Logik ein. In der betriebswirtschaftlichen Sprache, die das zugreifende Handeln und Kontrollieren fokussiert, bleibt die Eigendynamik des geforderten Phänomens verdeckt: ihr Ereignischarakter und der Kontrollverlust, den man zulassen muss, damit die gewünschte Bildung – eintritt? Eben nicht. Nur: eintreten kann. Den guten Lehrer kann kein System effizient herstellen. Und niemand kann die Reife seiner Persönlichkeit gezielt ansteuern. Am Tor dieser Prozesse steht eine Erfahrung der Ohnmacht, eine Öffnung, ein Loslassen. Man kann nur die Bedingungen verbessern, Räume öffnen für Auseinandersetzung, Selbstzweifel, für Lebensphasen ohne sichtbaren Erfolg – möglicherweise ineffizient, horribile dictu, aber tatsächlich: Ohne Hören des Fremden auch in sich selbst, ohne Infragestellen eigener Werte, ohne Konflikt ereignet sich die bildende Beziehung nicht. In die Logik des guten Lehrers tritt die pädagogische Sprache Carl Bossards ein. Leserin und Leser spüren, wie sie sich nicht bruchlos in den Gedankengang Loosers einfügt: denn hier steht die Gegenseitigkeit der Beziehung, nicht mehr die gezielte Intervention eines organisierenden Ichs im Zentrum. Wie die geforderten guten Lehrer zu der Begeisterung kommen, derer sie zwingend bedürfen, um sie vermitteln zu können – ob stark verschulte und verplante Studiengänge mit wenig Raum und Förderung für Distanz und Selbstreflexion diese Fähigkeiten fördern: Darüber kann die ökonomische Sprache nichts sagen, davon versteht sie nichts. Sie handelt vom sinnvollen Umgang mit äußeren Ressourcen, mit Dingen. Der Mensch aber, der Jemand, das Wesen der Gegenseitigkeit steht in einer ganz anderen Logik. Aber – sind nicht Marktbeziehungen genau solche Gegenseitigkeiten? Dieser Einwand würde noch einmal zeigen, wie eine tragfähige Lehrer-Schüler-Beziehung dem ökonomischen Blick entgeht. Sie lebt genau nicht vom berechenbaren Nutzen, sondern vom Vertrauen.
Eine weitere Frage entzündet sich an der Modularisierung der Studiengänge. Michael Hengartner fordert größere, zusammenhängende Unterrichtseinheiten und ihre stärkere gegenseitige Vernetzung. Jonathan Gardy dagegen beschreibt sein großräumig modularisiertes Studium als Entmündigung. Für Erlösung hat man sich genau im vierten Semester zu interessieren, für die Reformation erst im Master. Hier wird aneinander vorbeigesprochen. Der eine spricht von sachlichen Erfordernissen; der andere von Selbstaktivität, von Freiheit, aus der Sicht von Gesellschaft und Institution also von einem Kontrollverlust. Hengartner spricht von institutionellen Sachzwängen, Gardy von Macht.
Fragen gibt es also genug! Nun bilde sich der geneigte Leser, die geneigte Leserin selbst – eine eigene Meinung!
Dank
Vielen, sehr vielen ist der Herausgeber in Dankbarkeit und Freundschaft verbunden. Allen voran Marielle Hofer, damals im Master Psychologie, die sich mit Feuereifer und unermüdlicher Arbeitsfreude für die Tagung begeisterte. In den zwei Jahren der Vorbereitung war ihr keine Arbeit zu viel, kein Aufwand zu hoch. Ohne Marielle wäre die Tagung nicht zustande gekommen. Niklaus Brantschen SJ, Leiter des Lassalle-Instituts, förderte das Projekt klug und zugewandt, auch mit kritischen Fragen und Einfordern der nächsten Schritte. Prof. Andreas Hack, Direktor des Instituts für Organisation und Personal IOP der Universität Bern, gab dem Vorhaben einen akademischen Ort und finanzierte die Projektassistenz. Auch die Trägerschaft des aki, der Katholischen Hochschulseelsorge in Bern, gab grünes Licht. So konnten wir das ehrgeizige Projekt namens einer Kirche durchführen, der die Lebensbedingungen ihres Milieus nicht gleichgültig sind. Im Zusammenwirken der drei Träger, ihres Knowhows und ihrer Netzwerke wurde Schritt für Schritt ein weit ausgreifender Dialog möglich. Erwin Koller, Begründer und langjähriger Moderator der Sternstunden des Schweizer Fernsehens, gab ihm auf der Tagung mit Engagement, Empathie und Witz eine ansprechende Gestalt.
Zuverlässig, stets ansprechbereit und wach mitdenkend verwaltete Katharina Schürpf vom Lassalle-Institut die Anmeldungen und Finanzen. Eleanora Erne, Cello, und Benjamin Kieser, Klavier, haben uns wunderbar inspirierte Zwischenräume geschenkt. Die Mitarbeitenden des ZFV Caterings und Urs Rothmayr haben uns mit Berner Spezialitäten freundlich bewirtet. Die Fotos von Basil Schweri und Lea Schlunegger verleihen den Atmosphären der Tagung sensibel Ausdruck. Eberhard von Kuenheim, Sandro Christensen, Mara Häusler, Adriana Hofer und Selina Abächerli haben Foti zur Verfügung gestellt. Franzisca Frania besorgte die Transkription der drei Interviews. Die Geschwister-Mäder-Stiftung, Zürich, hat die Tagung mit einem namhaften Beitrag erst möglich gemacht. Gabriele und Andreas Beuchert im badischen Mosbach haben mit einer großzügigen Spende zur Drucklegung dieses Bandes beigetragen.
Zahlreiche Studierende ganz verschiedener Fächer haben sich für unsere Tagung engagiert: neben unseren studentischen Autorinnen und Autoren haben André Lourenço (Philosophie), Anja Hufschmid (BWL), Alina Guggenbühl (PH Primarstufe), Bernhard Cerff (Medizin), Florian Möri (Jus), Janine Trachsel (BWL), Marcel Zwyssig (Psychologie), Max Portmann (BWL), Michelle Wyler (Religionswissenschaft), Myrtha Mathis (Biologie), Robin Sheppard (BWL), Samira Frei (Geschichte) und Sebastian Casas (VWL) je an ihrem Ort das Gelingen der Tagung ermöglicht.
Weitere nahmen teil, dachten und diskutierten mit. Die wache, tätige Beteiligung der etwa 50 Studierenden fiel auf. Während an der Universität viele Dozierende über wenig aktive Mitarbeit klagen, meldeten sich die jungen Leute, sobald sich die Möglichkeit dazu bot, eifrig und konzentriert zu Wort. Es macht lebendig, sich mit den Zielen des eigenen Bildungsweges, des eigenen Werdens auseinanderzusetzen. Vitale Fragen setzen in der Auseinandersetzung Kräfte des Engagements und der Kreativität frei, von deren Existenz der Lernende oft gar nicht wusste. Wer leidenschaftlich fragt, in existenziell betreffenden Fragen, stößt auf neue Kraftquellen. Allen, die solches Fließen zugelassen und so unser Fragen, Hören und Sprechen mitgetragen haben, gilt mein herzlicher Dank!