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5 Kompetenzorientierung im Lehrplan 21
ОглавлениеDie Orientierung an Kompetenzen im Lehrplan 21 scheint nach Oelkers (2014) ähnlich wie bei Terhart (2007) zunächst nichts Neues zu sein. «Lehrpläne haben schon immer Fähigkeiten und Fertigkeiten mit Wissen und Können verknüpft und dabei Bereitschaften und Haltungen zum Lernen abverlangt, ohne auf den Begriff ‹Kompetenz› angewiesen zu sein» (Oelkers 2014, 5). Als Innovation sieht Oelkers jedoch den Gedanken von Weinert, dass Kompetenzen durch Lernen erweiter- und veränderbar sind. Der Lehrplan 21 berücksichtigt diese Veränderbarkeit von Kompetenzen und beschreibt deren Aufbau im Verlauf der Schulstufe in drei Zyklen. Zyklus 1 umfasst die beiden Kindergartenjahre bis zur 1./2. Klasse, Zyklus 2 die Mittelstufe von der 3. bis 6. Klasse und Zyklus 3 die Oberstufe (Sek I) von der 7. bis 9. Klasse. Die Fachinhalte werden in Kompetenzbereiche aufgeteilt. Abbildung 1 gibt einen Einblick in den Prozess des Erwerbs von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Bereich Schreiben, und dies im Handlungs- und Themenspektrum von Schreibprodukten. Vorab wird die Kompetenz beschrieben. Diese gibt an, was die Schülerinnen und Schüler im gegebenen Kompetenzbereich und Thema am Ende der obligatorischen Schulzeit wissen und können müssen.
In Form von Kompetenzstufen wird die Kompetenz auf die einzelnen Schulstufen bzw. Zyklen heruntergebrochen, was zeigt, was die Schülerinnen und Schüler auf ihrer Zielstufe bzw. im Zyklus wissen und können müssen. Dieses Herunterbrechen ist nötig, denn nach Klieme (2004, 11) kann nur «von Kompetenzen […] gesprochen werden, wenn man grundlegende Zieldimensionen innerhalb eines Faches benennt, in denen systematisch, über Jahre hinweg Fähigkeiten aufgebaut werden». Im Lehrplan unterscheiden sich die Kompetenzstufen «durch die Zunahme von Fakten-, Konzept- und Prozesswissen oder auch durch die höhere Komplexität der Anwendungssituation oder den Grad der Selbstständigkeit» (Lehrplan 21: Überblick → Kompetenzstufen[20]). Der Kompetenzaufbau berücksichtigt die Reihenfolge des Kompetenzerwerbs, wodurch höhere Stufen auf den Grundlagen niedrigerer Stufen aufbauen, da nach Weinert (2014, 24) «die meisten kognitiven Leistungsziele […] durch kumulatives, aufeinander aufbauendes und miteinander verbundenes Lernen erreicht» werden. Um dies sicherzustellen, bietet der Lehrplan Querverweise zu anderen Kompetenzbereichen im gleichen Fach und verweist auf Ansatzpunkte für einen fächerübergreifenden Unterricht, indem Verbindungen zu anderen Fachbereichen aufgezeigt werden.
Pro Zyklus werden Grundansprüche definiert, die spätestens am Ende des jeweiligen Zyklus erreicht werden sollten. Diese Grundansprüche werden infolge individueller Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler zu verschiedenen Zeitpunkten erreicht und sind nicht als Endziel zu verstehen. Sind einmal die Grundansprüche erreicht, sollen Lehrpersonen und Unterrichtsinhalte die Lernenden anregen, ihre Kompetenzen zu erweitern, um die nächste Kompetenzstufe zu erreichen. Falls Schülerinnen und Schüler die Grundansprüche nicht erreichen können, bestehen Möglichkeiten einer Zielanpassung. Grundsätzlich haben jedoch «die Schule als Institution und die Lehrpersonen […] den Auftrag, die Erreichung der Grundansprüche im Unterricht zu ermöglichen» (Lehrplan 21: Überblick → Verbindlichkeiten → Grundansprüche des Zyklus). Die Grundansprüche richten sich nach den nationalen Bildungsstandards. «Diese beschreiben, welche Grundkompetenzen die Schülerinnen und Schüler in Schulsprache, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften bis am Ende des 4., 8. und 11. Schuljahres erwerben sollen» (www.edk.ch → Nationale Bildungsziele; das erste Kindergartenjahr gilt als erstes Schuljahr. Zusätzlich wurden die Zyklen 2 und 3 mit einem Orientierungspunkt versehen; den Lehrpersonen dient dieser als «Planungs- und Organisationhilfe» (Lehrplan 21: Überblick → Verbindlichkeiten → Orientierungspunkte), weil er angibt, welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler am Ende der 4. bzw. in der Mitte der 8. Klasse verbindlich erworben haben müssen.
Ein gravierendes Problem von Lehrplänen ist nach Oelkers (2014, 9), dass «die reale Entwicklung des Lernstandes, […] nicht den Zyklen des Lehrplans folgt». Es gibt Schülerinnen und Schüler, welche den erwarteten Lernstand übertreffen, andere, die ihn noch nicht erreichen. Forschungsprojekte und Lernstandserhebungen bestätigen dies. Sie zeigen beispielsweise, dass «beim Schuleintritt knapp vier Fünftel der Kinder […] den Mathematik-Lernstoff der ersten Klasse bereits teilweise bewältigen. Ein weiteres Fünftel […] bewegt sich am ersten Schultag bereits im Lernstoff der zweiten Klasse» (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2005, 5). Im Fach Deutsch beherrscht beim Schuleintritt bereits ein Drittel der Kinder die Lesekompetenzen der ersten Klasse.
Unterstützung in umgekehrter Richtung bekommen die Aussagen von Oelkers durch die Forschungsresultate von Moser, Buff, Angelone und Hollenweger (2011, 48). Bei einer Lernstandserhebung am Ende der 6. Klasse zeigte sich, «dass knapp ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler die Anforderungen des Lehrplans in den geprüften Bereichen nur teilweise erfüllt». Dies hat sich seit der letzten Untersuchung im Jahre 1998 nicht verändert. Weiter vermerken die Autoren eine über die Zeit grösser werdende Leistungsschere auf der Mittelstufe. Im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern Ende der 3. Klasse gibt es Ende der 6. Klasse mehr Kinder, welche die Ziele des Lehrplans nicht erreichen können, ganz nach dem als «Matthäus-Effekt» bekannten Prinzip. Weinert bestätigt dies und empfiehlt Egalisierungsbemühungen im Unterricht deshalb nur für den Kompetenzerwerb bis zum Niveau von Grundkompetenzen. So können durch Unterrichtsdifferenzierung, beispielsweise im Tempo, vor allem aber durch unterschiedlich anspruchsvolle Lernaufgaben oder eine Lernaufgabe, die unterschiedlich umfassend und tief bearbeitet werden kann, alle Schülerinnen und Schüler trotz unterschiedlichen Lernfähigkeiten mindestens das grundlegende Kompetenzniveau erreichen; «unter vergleichbaren schulischen Lernbedingungen ist es nicht möglich, die individuellen Lern- und Leistungsunterschiede generell aufzuheben» (ebd., 85).
Mit der Ausrichtung auf Kompetenzen wird der Unterricht zum kompetenzorientierten Unterricht.[21]