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1.4.7Zeit und Beziehung: Die Bedeutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 19
ОглавлениеPeter Fraenkel
Zeit ist eine verbindende Dimension aller Systeme, deren Funktionieren u. a. auch auf der zeitlichen Koordination ihrer Elemente bzw. Mitglieder beruht (Boscolo u. Bertrando 1994; Fraenkel 1996, 2011a). Dennoch wird dem Aspekt »Zeit« relativ wenig Aufmerksamkeit bei der Arbeit mit Paaren und Familien gegeben.20 Unterschiede von Zeitgefühl, Tempo, Tagesrhythmen oder Pünktlichkeit der Partner, die ursprünglich durchaus attraktiv gewesen sein können, prägen Auseinandersetzungen über Geld, Sexualität, Freizeitgestaltung, Kindererziehung und Haushalt und können in polarisierende Konflikte münden. Solche prinzipiellen Unvereinbarkeiten herauszuarbeiten schafft einen guten Zugang zum Verständnis einiger grundlegender Paarkonflikte. Ich schlage dafür ein vierstufiges Vorgehen vor (Fraenkel 2011a):
(1) Herausarbeiten der grundlegenden konflikthaften Unterschiede im Umgang mit Zeit.
(2) Wertschätzung dieser Unterschiede als eventuell nützliche, einander ergänzende Beiträge zum Zusammenleben des Paares.
(3) Überwindung allzu extremer Unterschiede.
(4) Erprobung neuer Muster.
Über Schwierigkeiten mit speziellen »Zeitstilen« hinaus ergeben sich zeitbezogene Herausforderungen für Paare im Hinblick auf übergeordnete Systeme, die es z. B. erschweren, Arbeits- und Familienzeit auszugleichen. Andere Anforderungen können sich aus der Versorgung und Beschulung der Kinder ergeben, aus der Behandlung und Pflege chronisch Kranker oder der Einbeziehung sozialer Dienste (Fraenkel u. Capstick 2012).
Zeit ist Kernelement eines integrativen Zugangs zur systemischen Therapie, die vor dem Hintergrund der sich überlappenden Zeitrahmen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft versucht, gegenwärtige Interaktionsmuster zu verstehen oder zu verändern, die Ursprünge der Konfliktmuster vor dem Hintergrund vergangener, womöglich traumatischer Erfahrungen in der Herkunftsfamilie und -kultur hinsichtlich der aktuellen Beziehung zum Partner zu ergründen und schließlich mit den Partnern zu einem klareren Bild ihrer gemeinsamen Zukunft zu gelangen (Fraenkel u. Pinsof 2001; Fraenkel 2011b).