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3 Fallstudien
ОглавлениеIm Folgenden betrachten wir einige Fälle von herausfordernden Bilderbüchern (engl. challenging picturebooks). Wie schon gesagt, versteht Evans (2015b: 5–6) unter ‚challenging picturebooks‘ solche Bilderbücher, die als „strange, unusual, controversial, disturbing, challenging, shocking, troubling, curious, demanding or philosophical“ beschrieben oder klassifiziert werden können. Diese Aufzählung von Adjektiven bezieht sich sowohl auf den Inhalt als auch die ästhetische Gestaltung der Bilderbücher. Allerdings gehen sie stark mit Wertungen einher, die mit Vorstellungen darüber, was unter einem ‚normalen‘ Bilderbuch zu verstehen ist, verbunden sind. Diese Bewertungsprozesse werden jedoch nicht reflektiert. Auch eine exakte Definition des Begriffs ‚challenging picturebook‘ wird nicht gegeben, so dass es unklar ist, wie man erkennen kann, ob ein bestimmtes Bilderbuch unter diese Kategorie fällt. Dies ist natürlich ein unbefriedigender Zustand.
Wir möchten hier vorschlagen, dass herausfordernde Bilderbücher solche Bilderbücher sind, die Normalvorstellungen verletzen und daher markiert sind. Emotionale Reaktionen der Leserin oder des Lesers wie Verstörung, Schock, Verwirrung usw. können ein Effekt ihrer Markiertheit sein, müssen es aber nicht, da sie von dem jeweiligen kognitiven Zustand des Betrachters abhängen. Es ist sicherlich sinnvoll, die Kategorie Bilderbuch als eine prototypische Kategorie zu betrachten, die eine „logic of graded centrality“ (Herman 2008: 438) aufweist. Herausfordernde Bilderbücher weichen in einigen Hinsichten vom Prototyp ab. So sind klassische Bilderbücher wie Der Struwwelpeter (1845) von Heinrich Hoffmann in diesem Sinne sicherlich herausfordernde Bilderbücher,1 aber es ist auch möglich, wie Perry Nodelman (2015) treffsicher bemerkt, viele marktgängige Bilderbuch-Bestseller als herausfordernd zu betrachten, wenn man ihre zum Teil überraschenden Abweichungen von einem Prototypen in den Blick nimmt. Daraus folgt, dass das Phänomen der Markiertheit oder der Abweichung nicht notwendig an die Kategorie des herausfordernden Bilderbuches gebunden ist. Wie das Beispiel von Hoffmanns Struwwelpeter darüber hinaus zeigt, ist die Wahrnehmung von Markiertheit durchaus kontext- und zeitgebunden: Was zu einer bestimmten Zeit als markiert oder abweichend empfunden wurde, kann zu einer späteren Zeit als ‚normal‘ bzw. nicht-markiert eingestuft werden. Auch wenn es interessant wäre, die historische Dimension zu untersuchen, geht es uns primär um den Nachweis, dass es Phänomene der Markiertheit im Bilderbuch tatsächlich gibt. Da wir Bilderbücher als eine Folge von Text-Bild-Kombinationen2 verstehen, gehen wir im Folgenden auf Bilderbücher ein, die Markiertheit auf der Ebene des Texts, des Bilds, und der Text-Bild-Kombination aufweisen. Aus Platzgründen können wir nur eine exemplarische Darstellung leisten, auch wenn eine systematische Untersuchung durchaus wünschenswert wäre.