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4 Pragmatik, Didaktik und Schulunterricht

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Das Vorlesen in didaktischen Zusammenhängen muss gesondert untersucht werden. Schon im Kindergarten wird vorgelesen, aber hier steht die Vorleserin oft einer Gruppe von Kindern gegenüber und es gibt möglicherweise Probleme bei der nötigen Aufmerksamkeit und entsprechend bei der Feinanpassung. Mit dem Erwerb der Fähigkeit zum Lesen und Schreiben verliert das Vorlesen im Verlauf der Grundschulzeit nach und nach an Bedeutung, da die Kinder zunehmend in der Lage sind, sich literarische und sachbezogene Texte selbst zu erschließen. Dennoch gibt es auch hier das Format des Vorlesens, sei es, dass der Lehrer oder die Lehrerin vorlesen, oder dass die Kinder selbst als Vorleser(innen) agieren müssen. Das Vorlesen ist für Anfänger(innen) eine schwierige, riskante Leistung, denn die Zuhörer(innen) können direkt die Fähigkeit zum Lesen kontrollieren und bewerten und haben auch unmittelbaren Zugang zu begleitenden Affekten.

Insgesamt bleibt das Vorlesen gerade in der Grundschulzeit ein wichtiges Unterrichtsformat, insbesondere als Ausgangsbasis für das (weiterführende) literarische Lernen der Kinder (vgl. Kruse 2007, Spinner 2004, 2006). Insofern ist aus pädagogischer Sicht die Frage interessant, ob ein derartig etabliertes Format des Literaturunterrichts nicht auch für die Ziele des Sprachunterrichts (insbesondere des sprachlichen Lernens sowie der Entwicklung von Sprachbewusstheit) genutzt werden kann. Für den Zusammenhang von Pragmatikerwerb und Kinderliteratur ist wiederum die Frage interessant, inwieweit schulische Vorlesegespräche zum Erwerb pragmatischer Kompetenzen beitragen können.

Für den Erstleseunterricht und das literarische Lernen bieten sich in der Grundschulzeit sog. herausfordernde Bilderbücher (‚challenging picturebooks‘) besonders an. Dies können textlose oder texthaltige Bilderbücher sein. In vielen Studien hat man nachweisen können, dass dieser Bilderbuchtyp eine Kommunikation über Geschichten und literarische Inhalte besonders ermöglicht (Dammann-Thedens 2011, Arizpe 2014, Evans 2015). Bei Text-Bild-Kombinationen ist darüber hinaus die Bildebene in die Interpretation einzubeziehen, was für die meisten Kinder (und viele Erwachsene) eine anspruchsvolle Aufgabe sein kann (vgl. Papen 2019 zu ’visual literacy‘).

Kinderliterarische Texte eignen sich auch sehr gut als Ausgangsbasis für einen Literatur und Sprachreflexion (hier insbesondere in Bezug auf pragmatische Phänomene) verbindenden Deutschunterricht, eben weil sie entsprechende Phänomene (verstärkt) enthalten, über deren Effekt/Konsequenzen für die Literarizität eines Textes, aber auch in Bezug auf die Wahrnehmung von Figuren reflektiert werden kann. Ob und wie das tatsächlich funktioniert, wäre zu untersuchen.

In der Unterrichtskommunikation spielt das Verhältnis von interner und externer Pragmatik ebenfalls eine Rolle.1 Man kann sagen, dass Elemente der Vorlesesituation hier in systematisierter Weise auftreten, zum Beispiel durch das Stellen von Lehrerfragen und die Erwartung bzw. das Geben von Schülerantworten, das korrigierende, evaluierende, weiterführende Feedback der Lehrpersonen. In gewisser Weise kann man argumentieren, dass Kinder, die Erfahrungen mit Vorlesesituationen gesammelt haben, besser vorbereitet auf die besonderen Anforderungen von Unterrichtskommunikation sind, als Kinder, die solche Erfahrungen nicht oder nur in begrenztem Umfang gemacht haben. Denn die Frage-Antwort-Sequenzen in der Vorlesesituation bzw. im Unterricht unterscheiden sich in ihren pragmatischen Bedingungen von denen der alltäglichen Kommunikation. So ist eine der Gelingensbedingungen für Fragen als Sprechakte in der alltäglichen Kommunikation im Unterrichtskontext meist gar nicht erfüllt: In den meisten Fällen, in denen Lehrer Schülern Fragen stellen, tun sie dies nicht aus einem Informationsdefizit heraus, welches sie ausgleichen wollen. Im Gegenteil, der Lehrer weiß eigentlich die Antwort auf seine Frage schon. Auch der aus der alltäglichen Kommunikation vielleicht schon bekannte Sprecherwechselapparat muss für die Bedingungen der Unterrichtskommunikation angepasst werden: Hier ergibt sich der Sprecherwechsel nicht anhand der Identifikation von übergaberelevanten Stellen im Gespräch, sondern in den meisten Fällen wird das Rederecht durch die Lehrperson erteilt. Das literarische Subgenre des Schulromans bietet hier besonders reizvolle Möglichkeiten der „Spiegelung“ und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen.

Ein hoher Anteil von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund stellt den Deutschunterricht vor besondere Anforderungen. Insbesondere zweisprachige Bilderbücher und Kinderbücher reagieren darauf. Auch für den Fremdsprachenunterricht bieten sich solche Werke an. Solche pragmatischen Informationen, die auf soziokulturelle Vorstellungen Bezug nehmen, erweisen sich als besonders geeignet für den entsprechenden Schulunterricht.

Pragmatikerwerb und Kinderliteratur

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