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Gisbert Haefs – Die Zwerge von Zülpich

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Bekanntlich gibt es keine Zwerge, außer in privaten Vorgärten, der Politik und anderen Sperrbezirken. Und eigentlich ist das hier eine traurige Menschengeschichte. Da ich für Traurigkeit aber nicht zuständig bin, fangen wir einfach mit den Zwergen an.

Um die möglichen Missverständnisse gleich zu kräftigen: Es ist hier nicht die Rede von Liliputanern, Kleinwüchsigen, vertikal Geforderten, sondern von Zwergen, Gnomen, Kobolden, Wichteln und Heinzelmännchen. Wenn Sie denen passende Namen geben wollen, schauen Sie in der Edda nach, wie Tolkien; es ist aber müßig, weil es sie, wie gesagt, nicht gibt.

Gundolf ist im Prinzip ein Riese (die gibt’s aber auch nicht), und weil er nicht so heißen will, wie er heißt, nennt er sich Kuno. Vielleicht haben die Eltern ihn Gundolf genannt, weil der Großvater so hieß oder ein netter Onkel.

Bei Kirspenich, nicht weit von Zülpich, gibt es einen Zwerchberg, der wahrscheinlich so heißt, weil er quer steht. Natürlich gibt es andere Worterklärungen, und besonders beliebt ist jene, deren Ergebnis die Schreibweise Zwergberg ist. Was allerdings in der Eifel nichts an der Aussprache ändert.

Gundolf alias Kuno sagt, er sei mit seinem Vater früher oft in der Gegend spazieren gegangen, und vielleicht komme sein Hang zu Zwergen daher. Frühkindliche Prägung, wissen Sie; manche rennen ihr Leben lang hinter Graugänsen her, andere suchen bis zum Abwinken Zwerge.

Aber genug der Erklärungen, die ohnehin alle an den Haaren herbeigezogen sind, die Kuno fehlen. Er ist seit Jahren kahl, und zwar völlig, und glatzköpfige Riesen namens Gundolf, die überall Zwerge vermuten, haben’s im wirklichen Leben schwer. Gundolf leidet darunter; niemand nimmt ihn richtig ernst, weder beruflich noch privat. Beruflich ist das kein Wunder; er ist städtischer Beamter, und wer nimmt die schon ernst? Nicht einmal seine Kollegen achten besonders auf ihn, weil er bei jedem größeren Bauvorhaben, sobald die Erdoberfläche angekratzt werden muss, einen Antrag auf Suche nach unterirdischen Gängen oder Behausungen stellt. Andere mögen eine besondere Wühlmausart schützen wollen oder nach speziellen Grottenolmen des Typs Axolotlus Tolbiacensis suchen. Gundolf Kuno dagegen sucht Zwerge. Inzwischen haben sich die Kollegen daran gewöhnt und lächeln nur noch matt; schlimmstenfalls gönnen sie ihm ein kleines Lachen, kaum umfangreich genug, einen Zwerg einzuwickeln.

Er sucht Zwerge und züchtet Brieftauben, hätte aber gern größere. Möglicherweise will er sie, wenn er mit seinem Hauptanliegen irgendwann Erfolg hat, als Reittiere für die Zwerge abrichten, wiewohl die schwedische Variante bekanntlich Wildgänse vorzieht. Aber lassen wir das ebenfalls beiseite; wer weiß denn schon, wie groß Zwerge werden.

Ob es an den Zwergen oder den Brieftauben liegt, ist nicht recht klar; vielleicht hat es auch mit dem leichten haut goût zu tun, der ihn wie ein mobiler Käfig umgibt, seit er vor Jahren das Duschen weitestgehend einstellte, weil es ihm zu nass ist. Angeblich sind Zwerge ja auch wasserscheu. Egal, woran es liegt, Kuno ist es nie gelungen, sich der Damenwelt aufzudrängen. Keine Ahnung, ob es in Zülpich und Umgebung ohnehin einen Männerüberschuss gibt, aber wahrscheinlich hätte Kuno auch in extremen Mangelgebieten kaum Chancen. Jedenfalls nicht ohne Einweichen, Vorspülen und Schleudern.

Insgesamt hat er etwas von jener Sorte Mann, die in schlechten Filmen oder der schlechteren Realität auf Kunstmaler macht, insgeheim an einem Primzahlengesetz herumbastelt oder an öden Wochenenden versucht, aus körpereigenem selbstgemolkenen Plasma die ultimate Vernichtungswaffe zu bauen. Da er das aber nicht an jedem Wochenende tun mag, besucht er manchmal einen anderen Sonderling, der ebenfalls Tauben dressiert, nicht besonders gut riecht und keine Hemmungen hat, sich mit Kuno an ein Schachbrett zu setzen.

Dieser Bekannte – ach was, nennen wir ihn Freund, es gibt ja keine Konkurrenz, die sich beschweren könnte – wohnt in der Nähe von Bürvenich, und jetzt kommen wir zum eigentlichen Anlass dieser Geschichte. Der Freund heißt Karl-Heinz, ich habe ihn zufällig vor Jahren kennengelernt, als er mir eine Beule in den Wagen fuhr, und weil er so schön verrückte Geschichten erzählt, besuche ich ihn manchmal in Bürvenich. Am liebsten, wenn ich Schnupfen habe; dann kann ich ihm zuhören, ohne ihn zu riechen.

Also, Karl-Heinz hat mir das zuerst erzählt, und ich habe es ein bisschen sortiert. Jetzt habe ich Ihnen Kuno vorgestellt, damit Sie wissen, womit Sie es zu tun haben. An einem Samstag vor ein paar Wochen kam Kuno nach Bürvenich, um sich mit Karl-Heinz an den Schachtisch zu setzen. Karl-Heinz hatte aber vergessen, dass sie verabredet waren, oder sein Wochenendeinkauf zog sich länger hin – er weiß es selbst nicht mehr so recht –, also stand Kuno vor der Tür und klingelte, und als er des Klingelns überdrüssig ward, beschloss er, eine halbe Stunde oder so zuzugeben, durch das malerische Bürvenich zu spazieren und es dann noch einmal zu versuchen.

Er spazierte also, und am Ortsende machte er nicht etwa kehrt, sondern spazierte weiter gen Südosten (ungefähr), wo es einen Berg und ein paar nette Gebäude gibt, außerdem einen Bach und etliche Felder. Ganz die Gegend, mag er sich gesagt haben, wo sich an einem gewöhnlichen Samstagnachmittag Zwerge zu Kaffee, Kuchen und Sackhüpfen treffen könnten. Dort gibt es auch den berühmten Felsenkeller, in dem früher einmal eine Brauerei ihr Bier gekühlt hat. Und kalte, feuchte Felsenhöhlen sind bei Zwergen zum Sackhüpfen besonders beliebt. Er beschloss also, an diesem Felsenkeller vorbeizugehen und an der versperrten Tür zu lauschen, ob sich da drin etwas täte, was wie Sackhüpfen einer Zwergenhorde klänge.

Ich glaube, an dieser Stelle muss ich ein paar Dinge erklären. Wir alle wissen, dass es keinen Sinn hat, jemandem, der von etwas überzeugt ist, mit vernünftigen Argumenten zu kommen. Wer meint, die Nazca-Linien seien ein Landeplatz für Außerirdische, den kümmert die Frage nicht, wieso die nicht einfach so landen können, wenn sie im Sternendschungel die Erde zu finden fähig sind. Einen kämpferischen Antiraucher auf seine Sterblichkeit hinzuweisen, hindert ihn nicht daran, mir das Rauchen verbieten zu wollen. Missionarische Atheisten sind genauso unerträglich wie fundamentalistische Gläubige und ebenso wenig imstande, den sanften Agnostiker in Ruhe zu lassen. Und wer an Zwerge glaubt … Na ja.

Aber in der Eifel gibt es eben viele Dinge, die man so oder so sehen kann. Als ich Kuno endlich kennenlernte, hat er mir alles, was ich von Karl-Heinz schon gehört hatte, noch einmal ein bisschen anders erzählt: der Zwerg- oder Zwerchberg (vulgo Zwerschbersch) bei Kirspenich, die alten Minen bei Killewittchen, angelegt von den ebenfalls Killewittchen genannten Bergbauzwergen, die alten Sagen von kleinwüchsigen Bergleuten und von den zwergenhaften Nibelungen, die bekanntlich am Nibel- oder Niffel- oder Neffelbach gewohnt haben, der an Orten wie Elvenich (ha, Elfen!) und Wichterich (ha, Wichtel!) vorbeifließt. Als ich ihn fragte, ob er denn schon mal einen Kobold oder Leprechaun oder Gnom oder derlei gesehen habe, sagte er ganz vernünftig: »Nee, ich suche und hoffe. Aber Sie, Mann, haben Sie schon mal den Nordpol gesehen? Nein? Sie glauben aber trotzdem daran, dass es ihn gibt, oder? Und dass er Ihre Kompassnadel anzieht. Also!«

Also ging Kuno spazieren, und auf dem Weg zum Felsenkeller überlegte er, nicht zum ersten Mal, ob er sich vielleicht doch anders nennen sollte. Nicht Kuno (er weiß sowieso nicht, wie er darauf gekommen ist), sondern irgendwie gundolfisch. Dolf, zum Beispiel, oder Olf, was ja nahe bei Alf ist, und das ist ja nicht nur Außerirdische LebensForm, sondern auch der Elf oder Alb, und der Anfang von Alberich, und überhaupt.

Dann kam er zum Felsenkeller, und statt innezuhalten, um zu lauschen, hielt er inne, um sich verblüffen zu lassen. Das Schloss, das die Tür zum Keller gewöhnlich versperrte, lag nämlich aufgebrochen im Unkraut auf der Schwelle, und die Tür war zwar fast zu, aber eben doch nur angelehnt.

Und Kuno zögerte nicht lange, sondern ging hinein. Er sagt, er hätte sich nicht gewundert, wenn auch noch das Licht eingeschaltet gewesen wäre, aber es war aus. Er lauschte eine Weile, und da er keinerlei Geräusche hörte, weder von sackhüpfenden Zwergen noch von anderen unziemlichen Vorgängen, raffte er sich schließlich dazu auf, das Licht anzuknipsen und sich in die Kavernen vorzuwagen.

Zuerst hat er sich wohl nur umgesehen. Immerhin war er zum ersten Mal dort. Der Keller gehörte ja früher einer Brauerei, und oben auf dem Berg, wo die Villa des Brauereibesitzers steht, befindet sich jetzt ein Heilpädagogisches Eingliederungszentrum der Lebenshilfe e.V. In der Verwaltung, in der alten Villa, bewahrt man den Schlüssel zum Keller auf und begleicht die untergründige Stromrechnung, und außer wenn jemand dort nach dem Rechten sieht oder ein Besucher sich angemeldet hat, ist die Tür verschlossen und versperrt.

Er sagt, er sei zu dem hohen Schacht gegangen, durch den man früher von oben Eis zur Bierkühlung hinabgeworfen hat. Und dort habe er dann etwas gesehen, aus den Augenwinkeln, wie man so sagt, oder etwas gespürt. Wörtlich sagte er: »Es war, als ob mich ein Zwerg gezupft hätte.«

Er folgte dem Zupfen – es war ein Zupfen mit Richtung – in die Nebenkaverne, und dort fand er die Leiche. Es war die eines kleinen Mannes. Um den Hals hatte er einen Strick. Nicht so einen wie im Western, Sie kennen das ja sicher, mit kompliziert umwickeltem Gleitknoten. Gleitknoten schon, aber keine Umwicklung. Der Knoten saß seitlich am Hals, ein bisschen mehr nach hinten als in der Mitte, und der Strick lag auf dem Boden. Ein kleinwüchsiger Erhängter, der nicht hing.

Tja, da hatte er seinen Zwerg gefunden, jedenfalls so was Ähnliches, und der war nicht nur Zwerg, sondern auch tot, und er war zwar erhängt, lag aber auf dem Boden. Ein im kalten, feuchten Felsenkeller zu ebener Erde erhängter Zwerg. Niemand kann es Kuno verdenken, dass er den Keller schnell verlassen hat; und zwar ist er gerannt, hat die Tür irgendwie halb zugezogen oder -geschoben, und dann ist er weitergerannt nach Bürvenich. Wenn er gewusst hätte, dass die Verwaltung der Lebenshilfe oben auf dem Berg zuständig ist, wäre er vielleicht bergauf gerannt und hätte sie in Sachen Todeshilfe konsultiert, aber er wusste es damals noch nicht. Also rennt er nach Bürvenich und klingelt bei Karl-Heinz, klingelt Sturm, und Karl-Heinz ist inzwischen vom Samstagseinkauf zurück (seit die Geschäfte nicht mehr alle um zwei Uhr schließen, kann man sich ja auf nichts mehr verlassen), und Karl-Heinz öffnet und stützt ihn ein bisschen, weil er keucht und taumelt.

Dann haben sie die Polizei angerufen, und hier endet eigentlich die Geschichte, soweit sie Kuno alias Olf und Karl-Heinz betrifft. Jedenfalls beinahe. Die Polizei ist gekommen, Kuno musste eine Aussage machen und wiederholen und nochmals wiederholen, die Leiche wurde fortgebracht – nicht gleich, sondern erst, nachdem die Zülpicher Polizei die Kollegen in Bonn alarmiert hatte, die für gröbere Dinge zuständig sind, und es kam ein Hauptkommissar samt Geleit aus Bonn, und dann ging alles den üblichen Weg.

Kuno und Karl-Heinz haben an diesem Nachmittag und Abend das Schachbrett nicht angefasst. Sie haben – als das mit der Aussage erledigt war – über den Fund und den Keller und die Leiche unterhalb der Lebenshilfe debattiert, und darüber, dass Zwerge eigentlich in Höhlen sackhüpfen, nicht tot herumliegen sollten, und darüber, dass man nicht waagerecht erhängt sein kann. Und natürlich haben sie gründlich getrunken. Bei Anglern macht so etwas den Fund, den Fisch, immer größer; bei Kuno ließ der Alkohol den kleinwüchsigen Toten schrumpfen, bis er wirklich Zwerg war.

Natürlich konnte Kuno nicht mehr fahren, deshalb hat er bei Karl-Heinz auf dem Sofa übernachtet. Am nächsten Morgen haben sie, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, einen langen Spaziergang über die Felder gemacht, bis nach Langendorf, und weil sie schon mal da waren, haben sie beschlossen, bis zur Chlodwig-Stele zu gehen, sie gewissermaßen als Halbzeit- oder Wendemarke zu umrunden und dann heimzukehren.

Nun ist es aber mit dieser Stele so ähnlich wie mit Kunos Zwergen. Nicht ganz, aber fast, denn es gibt diese Stele, der Kunstprofessor Rückriem hat sie aus galicischem Granit gefertigt, und man hat sie dort aufgestellt, wo angeblich anno 496 der Frankenfürst Chlodwig die Alemannen schlug. Er war ein anständiger Heide, aber in der Bedrängnis soll er seiner burgundischen Gemahlin, einer Christin, gesagt haben, wenn ihr Gott ihm den Sieg gäbe, wolle er sich taufen lassen. Er siegte, und mit seiner Taufe begann das christliche Frankreich, weshalb es in Paris Straße und Brücke de Tolbiac gibt, und das ist natürlich Tolbiacum, Zülpich. Wo die Alemannen aber nie gewesen sind. Die Schlacht hat möglicherweise in der Nähe von Toul stattgefunden, nicht bei Langendorf bei Zülpich, also, die Schlacht hat es nicht gegeben, nicht hier, aber die Stele gibt es.

Und an dieser Stele hing an diesem Sonntagmorgen ein Zwerg. Aufgeknüpft, mit einer ganz ähnlichen Schlinge wie bei dem Kleinwüchsigen im Felsenkeller. Es war ein richtiger Zwerg, ein Gartenzwerg, und er hing wirklich da. Und zwar so, dass man ihn vom Weg nicht gleich sehen konnte; man musste die Stele umrunden.

Kuno und Karl-Heinz taten dies; danach gingen sie zurück zur Wohnung von Karl-Heinz, riefen abermals die Polizei an und tranken weiter. Gründlich.

Olf, der sich nicht mehr Kuno nennen mag, bastelt seither an wahnsinnigen Theorien über meuchelnde und gemeuchelte Zwerge. Ich glaube, er versucht seit Wochen, einen sensationellen Artikel mit dem Titel »Die Meuchelzwerge von Zülpich« in irgendeiner Zeitung unterzubringen, aber bisher hat sich niemand so richtig für die Zwergenmetzelei interessieren mögen. Ein Jammer übrigens; nach dem, was Olf-Kuno und Karl-Heinz mir erzählt haben, muss es in diesem Text wüst hergehen. Es wimmelt dort wohl von Zwergensärgen, Wichtelhenkern und dergleichen mehr, und da beide Stricke – im Keller und an der Stele – aus Hanf waren, gibt es auch Hanfhänflinge, Schlingenschlingel und ein Heinzelpendel, nicht zu reden von Koboldkillern und dem geplanten Gnomengenozid.

Gestern habe ich mit Olf-Kuno telefoniert und vorgeschlagen, er solle doch in den alten Minen bei Eschweiler beziehungsweise bei Killewittchen nachsehen, ob sich dort vielleicht ein Killewittchenkiller herumgetrieben habe.

»Was meinen Sie denn, was ich seit Tagen mache?« sagte Olf; dabei stöhnte er. »Ich hab schon ganz platte Füße. Und zwei Hosen durch, vom Rutschen auf den Knien durch niedrige Gänge. Und sieben Batterien leer, ach was, acht!«

»Und?«, sagte ich. »Schon was gefunden?«

»Nix. Was aber schon verdächtig ist, oder?«

»Wie meinen Sie das?«

Er zögerte einen Moment. »Na ja«, sagte er dann. »Da muss doch was passiert sein, und wenn nix zu finden ist, heißt das wahrscheinlich, dass jemand alle Spuren beseitigt hat.«

Mir fiel ein alter Witz ein – ein Archäologe findet Draht, was beweist, dass es dort vor Jahrhunderten schon Telefon gab; ein anderer findet keinen Draht, was beweist, dass die Ahnen schon drahtlosen Funkverkehr hatten –, aber ich habe mir gesagt, dass Kuno vermutlich nicht in der Stimmung für so etwas wäre. Statt ihm also schlechte Witze zu erzählen, habe ich noch schlechtere Vorschläge in ernstem Tonfall gemacht.

»Haben Sie schon mal an Zwergenverzehr gedacht?« sagte ich.

»Hä?«

»Na ja, Kobold-Kannibalismus. Gastrognomie, wenn Sie so wollen.«

»Wie meinen Sie das denn?«

»Also, vielleicht sind da ja überall Zwerge von ihren Artgenossen umgebracht worden, und hinterher haben die die Leichen gegessen, um keine Spuren zu hinterlassen. Und um satt zu werden.«

»Von Zwergen wird man nicht satt«, sagte er; es klang wie ein Tadel, aber zugleich ein wenig düster.

»Nicht einmal Zwerge?«

»Auch die nicht, nee.«

»Sind Sie sicher?«, sagte ich. »Wäre aber doch interessant. Stellen Sie sich die Rezepte vor.«

»Was für Rezepte?«

»Heinzelmännchen à la plancha. Zarte Windelwichtel auf Kressebett. Gnomengnocchi. So was.«

Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: »Kann es sein, dass Sie mich verarschen wollen?«

»Ich Sie? Ah bah, wie kommen Sie denn darauf? Nein, will ich wirklich nicht. Ich würde aber gern Ihren Artikel lesen.«

»Nix da. Da müssen Sie warten, bis er veröffentlicht ist.«

Mir fiel noch eine andere Frage ein – spät, wie ich zugeben muss, aber immerhin rechtzeitig, ehe er auflegen konnte. »Warum wollen Sie eigentlich über ›Zwerge und Zülpich‹ oder so schreiben? Ich meine, der Felsenkeller gehört zu Bürvenich, die Stele zu Langendorf, und wenn’s in Killewittchen was gibt, das ist dann eher Eschweiler …«

»Ja, und der Zwergberg ist bei Kirspenich, und das gehört zu Münstereifel. Aber haben Sie sich das mal auf der Karte angesehen?«

»Nee, muss ich zu meiner Schmach gestehen. Warum?«

»Tun Sie das mal. Dann werden Sie sehen, dass all die Stellen so was wie ‘nen Kreis ergeben, und Zülpich liegt im Zentrum.«

Ich dachte an die Konzentrik der Zülpicher Zwerge – Zülpich, Zentrale der Zwergenzehrung. »Wenn Zülpich von den Amerikanern nicht so plattgemacht worden wäre«, sagte ich, »könnte man da ja vielleicht noch einen kleinen Zwergenturm finden. Oder Zwergenkeller. Ein Gnomenverlies. So was.«

Er schwieg, und irgendwie kam es mir wie ein abwehrendes Schweigen vor.

»Sind Sie noch dran?«

»Ja.«

»Hören Sie, warum wollen Sie mir denn Ihren Artikel nicht zeigen, ehe er gedruckt ist? Vielleicht kann ich Ihnen bei der Veröffentlichung helfen.«

»Nee, nee, nix da.« Er klang jetzt ganz energisch. »Sie sind doch schon dabei, mir Ideen zu klauen, die ich noch gar nicht gehabt habe. Ich bin lieber vorsichtig.«

Ich war gerade dabei, über das Klauen ungezeugter Ideen nachzudenken, als er hinzusetzte: »Und abgesehen von allem anderen – haben Sie mal über die Kunstfertigkeit von Zwergen nachgedacht?«

»Goldschmuck?«, sagte ich. »Feinste Kettenpanzer? Schwerter für Siegfried und Wagner? Oder was meinen Sie?«

»Waagerecht am Boden erhängen. Das meine ich. Warten Sie’s ab, Mann; Sie werden staunen, wenn Sie’s lesen!«

Damit legte er auf. Und seitdem warte ich auf die gewaltigen Enthüllungen über grimme Gnomen und ihre Kunst, einander waagerecht zu erhängen. Es wird bestimmt großartig und verblüffend zu lesen sein.

Die Wahrheit ist wie immer viel blöder, und die Geschichte dessen, was sich zugetragen hat, ist eigentlich viel zu traurig, als dass man sie so erzählen könnte. Da ich aber schon mal damit angefangen habe und Kunos Zwerge nicht für mich behalten konnte …

Also: Der Mann, der im Felsenkeller gefunden wurde, war gar nicht so klein; aber wie ich schon sagte, machen Zwergenfreaks es ähnlich wie Angler, nur anders herum. Der Tote stammte aus einem Dorf bei Zülpich, war früh verwitwet und nach Aussagen von Bekannten einigermaßen verbittert. Sein einziges Kind, ein Sohn, um den er sich rührend gekümmert hatte, war geistig behindert und seit Jahren in der Heilpädagogik der Lebenshilfe über dem Felsenkeller gefördert worden. Er machte gute Fortschritte, und dann starb er. Der Vater hatte damit seinen Lebensinhalt verloren. Der Sohn liebte Gartenzwerge, und den Lieblingszwerg hat der Vater an die Stele gehängt, zu der er mit dem Sohn oft spaziert war. Dann hat er das Schloss an der Tür des Felsenkellers aufgebrochen und tagelang – immer abends, unbeobachtet – aus der heimischen Tiefkühltruhe große Eisklumpen hingebracht, die sich in dem ehemaligen Eiskeller gut hielten. Neben einem Abschiedsbrief an die Behörden fand man auf seinem Schreibtisch einen Stapel von Büchern: über die Kunst des Erhängens, die Schwierigkeiten, den Knoten so anzubringen, dass beim Fall ins Leere das Genick bricht und der Kandidat nicht langsam erstickt, sondern schnell stirbt, Memoiren alter Henker, Berechnungen dazu, wie tief man bei welchem Körpergewicht fallen muss, um das Genick zu brechen, also, wie viel Spiel der Strick braucht. Er hat Strick und Knoten bereitet, einen starken Haken über dem Durchgang zur Nebenkaverne in die Wand geschlagen, auf dem am Boden liegenden Ende des Stricks eine Pyramide aus Eisklötzen errichtet, ist hinaufgeklettert, hat den Strick über den Haken geführt und sich unterhalb des Orts, an dem sein Sohn gestorben war, erhängt. Nach und nach schmolz das Eis, und der von der Kälte konservierte Leichnam und der Strick fielen zu Boden.

Scheußlich, traurig, tragisch. Und trotzdem wüsste ich gern, was für eine Theorie über waagerechtes Erhängen unter Zwergen Kuno ausgeheckt hat. Aber bis jetzt ist der Artikel nicht erschienen.

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