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Gerald Bosch – Naturverwunderliches – Eine etwas andere Biologie
ОглавлениеDie nachfolgenden, nicht ganz ernst zu nehmenden Beschreibungen wurden durch häufige frühkindliche Beobachtungen eines seinerzeit sehr bekannten und sehr narrativen deutschen Fernsehzoologen (†) inspiriert. Meine Doku beginnt mit (Pseudo-) Säugern und führt über weitere fiktive Wirbeltiere und Wirbellose zu Scheinpflanzen und Fantasypilzen. Enjoy!
1 Der majestätische Baulöwe (Leo dywidax) ist unumstrittener Beherrscher der offenen Liegenschaften, doch jagt er mitunter auch in den angrenzenden Zementwüsten und Asphaltsteppen, vereinzelt sogar in abgelegenen Straßenschluchten. Entgegen landläufigen Gerüchten ernährt er sich nicht von Erdnüssen, sondern ist und bleibt ein blutrünstiges Raubtier. Gegen Einbruch der Dämmerung, wenn die Mitglieder von Bauausschüssen nach langatmigen Komiteesitzungen und Ortsbegehungen ermattet nach Hause ziehen, geht er auf die Pirsch. Schnell und lautlos werden kleine, effektiv verzinste Rudel gebildet, die nun ein geeignetes Objekt, etwa ein geschwächtes Bauherren-Gnu (Unibos lucrativus), auf einer offenen Gemarkung zielsicher einkreisen und schlussendlich dem Boden gleichmachen. In der Wahl seiner Beute ist der Baulöwe recht anspruchslos, zumeist werden große Herdentiere bevorzugt – flinke, in der Regel langweilige Schreberparzellen (Domaena quadratica), verwilderte Amtsschimmel (Equus paragraphissimus) oder auch einzelne, behäbige Grundbuchbüffel (Bison cataster). Aber selbst Bewohner der unteren Einkommensschichten, wie Kleiner Krauter (Simplicius tucholskii), Bausparschwein (Porcus leonbergi) oder die verwandte Arme Sau (Sus lamentabilis), sind für ihn durchaus schmackhafte Häppchen, die er keineswegs verschmäht. Zielsicher durchquert er jede Lücke im Paragrafendschungel, wobei provisorische Schutzwälle wie Bauverordnungen, Flächennutzungspläne oder einstweilige Verfügungen keine ernst zu nehmenden Hindernisse darstellen. Hat er erst einmal den Angstschweiß seiner prospektiven Beute gerochen, dann ist es um diese geschehen. Natürliche Feinde besitzt die Großkatze kaum. Mitunter fallen junge, unerfahrene Exemplare dem Pleitegeier (Gyps concursus) zum Opfer, ansonsten sind es vor allem alte, vom Erfolg geblendete Männchen, die von eifrigen Steuerpanthern (Fiscus inspector) erlegt werden, wenn sie z. B. nach einem großen Beutezug durstig zu den Quellen steuern.
2 Der Wischmops (Canis domesticus var. vileda), regional – vor allem im Norden seines Verbreitungsgebietes – auch Feudel genannt, ist ein anspruchsloser Hausgenosse des Menschen und absolut standorttreu. Leider wird das friedliebende Kerlchen oftmals mit dem aggressiven Menschenmops (Canis massendemos) verwechselt. Von diesem unterscheidet ihn nicht nur sein schlichtes, graues, leicht verfilzendes Haarkleid, sondern auch seine Vorliebe für Wasser. (C. massendemos hingegen hasst beispielsweise Wasserwerfer wie die Pest.) In freier Wildbahn nimmt er gerne kurze Bäder in Putzeimern; zu langes Verweilen führt zur Ausdünstung eines unangenehmen Revierdufts. Ansonsten hält er sich oft wochenlang in Trockenstarre in wasserlosen Lebensräumen auf. Diese Hunderasse wurde speziell zur Jagd auf die nervtötende Wollmaus (Mus sublectulus var. vorwerkii) gezüchtet.
3 Beim Daxhund (Canis domesticus var. dividendus) wiederum handelt es sich um eine alte Jagdhundrasse, die früher vor allem zur Hatz auf Bullen und Bären eingesetzt wurde, heute jedoch eher als sportlicher Szenehund in Mode gekommen ist und sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Zu den besonderen Eigenschaften des Daxhundes zählen in jungen Jahren seine enorme Zuwachsrate und Agilität, speziell in den Gemarkungen des E-Commerce; allerdings ist er bereits dann schon – wie auch mit zunehmendem Alter – nicht vor plötzlichem Verfall gefeit, der ohne erkennbare Ursachen aus heiterem Himmel eintreten kann. Dieser von gewieften Analysten auch als »Talfahrt« bezeichnete Zustand lässt die Beliebtheit des kleinen Kerlchens so abrupt sinken, dass er unbarmherzig von seinen Besitzern verstoßen wird. Im Umland der Frankfurter Börse, das als ursprüngliches Zuchtgebiet dieser Rasse gilt, wird das betroffene Tier mit den altüberlieferten Worten »Sofort verkaufen!« in die Verbannung – oder »abgestoßen«, so der Fachterminus – geschickt; diese Formel muss der Tradition entsprechend via Mobiltelefon ausgesprochen werden. Ungeachtet seiner hohen Sprungkraft im Tagesgeschäft kann man sich C. dividendus aufgrund seiner Tendenz zu Kursverlusten daher kaum als beständigen, treuen Hausgenossen vorstellen, der sein Herrchen bis ins hohe Alter stützt und ernährt. (Zu diesem Behufe besser geeignete Rassen sind Golden Pension Retriever oder Mixed Fund Mastiff, die von Natur aus einfach eine größere Sicherheit bieten.) Global wurde der Daxhund immer wieder weitergezüchtet – so entstanden in Europa der Baissett und der Hausseky Dog, in den USA der Dow-Jones-Terrier und in Japan der Nikkainese.
4 Der Osterházy (Lepus dacapo) ist der einzige Vertreter der Hasenartigen (Lagomorpha), der sich bevorzugt im Orchestergraben aufhält. Stets erkennbar ist dieser Hase an einem weißen, schalartigen Halsstreifen, der sich auch über den Rücken zieht, sowie an einer ausgeprägten, schwarzen Hautfalte, die ihm wie ein Cape in den Nacken fällt. Neben seiner ausgeprägten Vorliebe für Champagner wird aber auch leichte Kost wie rote Rosen oder Tulpen (bevorzugt aus Amsterdam) von diesem Mümmelmann nicht verschmäht. Sein Nachtlager baut der Osterházy aus verlorenen Akkorden, alten Notenblättern und unvollendeten Symphonien. Aber ach, wie die meisten Langohren besitzt auch L. dacapo viele natürliche Feinde, darunter vor allem den Freischütz (Andrewia lloydweberi), doch auch Vogelhändler (Adamo pseudonobilis), Milchmänner (Anatevka galicia) und Bettelstudenten (Academicus milloeckeri) stellen ihm nach. Einen Vorteil hat die Evolution ihm jedoch in die Wiege gelegt: Dank seiner langen Ohren nimmt er schon frühzeitig gefährliche Zwischentöne wahr, sodass er sich vor einem hereinbrechenden Crescendo oder Andante furioso ziemlich allegro in Sicherheit bringen kann (s. a. Falscher Hase, Lepus fricadellus).
5 Der Halsabschneider (Lanius guillotinus), ein unscheinbarer Singvogel mit schmutzig grauem Gefieder (»Nadelstreifen«), gleicht in seiner Biologie dem Neuntöter (Lanius collurio) oder Rotrückenwürger, der seine noch lebende Beute – teilweise sogar größere Kleintiere – an langen Dornen im Gebüsch aufspießt. Ursprünglich bis Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit verbreitet, saß der Halsabschneider nicht wie andere Raubvögel auf einer hohen Warte, sondern lauerte gut getarnt in dunklen Mauerecken oder Hauseingängen, um sich im Schutze der Dämmerung auf seine Beute zu stürzen. Bevorzugte Opfer waren Lebewesen, die genervt, gestresst, geschwächt oder anderweitig in Not geraten waren. Aufgrund starker Verfolgung durch die jeweiligen Rechtssysteme schrumpfte der ursprüngliche Bestand beträchtlich. Vom unmittelbaren Aussterben bedroht, gelang es dem Halsabschneider jedoch, durch einen bravourösen Zug (man kann nahezu von einem Paradebeispiel für die Anpassungsfähigkeit der Natur sprechen) zum echten Kulturfolger zu mutieren, der seine Ernährungs- und Lebensweise völlig umgestellt hat. Anstelle von Blut lebt er heute von Zinsen (z. B. aus Wett- und Spielschulden), deren Niveau ähnlich wie beim Kredithai (Targocarcharias multidebitorius syn. Catarhinus monetarius progressivus) jenseits von Gut und Böse liegen. Andere Nahrungsquellen sind Mieteinnahmen, Personalkredite oder Aktienfonds. Das Nest des Halsabschneiders enthält zahlreichen Haken, an denen er seine Kontrakte aufhängt. In einem nicht nur für Ornithologen interessanten Beispiel von Mimikry imitiert der Halsabschneider smarte Vermögensberater oder adrette Sachbearbeiter von Kreditinstituten, wobei er sich geschickt durch ein charakteristisches Nadelstreifengefieder und sein angeborenes einschmeichelndes Verhalten tarnt. Aber auch Kleininserate zu Direktkrediten, die über kostenlos verteilte Wochenendblättchen in Umlauf gelangen, helfen dem gefiederten Monster immer wieder, neue ahnungslose Opfer zu finden und in den finanziellen Ruin zu treiben. Auf Anfragen der Schufa beim Vogelschutzbund NaBU wurde bei dessen letzter Jahreshauptversammlung in Erwägung gezogen, angesichts der mittlerweile drastischen Bestandszunahme eine Abschussquote (im dreistelligen Bereich) zu befürworten.
6 Der giftspritzende Talkmaster (Vipera annewilla) aus der Familie der Viperidae (Vipern und Ottern) ähnelt von Biologie und Verhalten dem Australischen Buschmeister oder Bushmaster (Lachesis muta). Die stets nach dem letzten Schrei beschuppte Schlange stammt ursprünglich aus Nordamerika und wurde bei uns über die Niederlande eingebürgert; sie bevorzugt kleine, quadratische Wohnhöhlen, deren Vorderseiten verglast sind. Nach Betätigung der Fernbedienung werden Talkmaster zu jeder Tageszeit putzmunter und plappern, was das Zeug hält. Als Nahrung dienen ausschließlich sogenannte Einschaltquoten; sobald diese einen bestimmten Level unterschreiten, geht die Schlange unweigerlich ein – ein großes Problem besonders bei Exemplaren, die unter Knebelverträgen in Gefangenschaft gehalten werden. Mithilfe eines Langzeitgifts, dem Quototoxin, werden die Opfer scharenweise gelähmt; dessen chemische Analyse ergab einen hohen Anteil Schwafelsäure (47,4 %), Gamma-Egozentrin (21,8 %), Beta-1,4-Bloedsin (14,89 %), Hissssstamin (0,66 %) sowie zahlreiche, nicht näher untersuchte Laberstoffe und Weichmacher (darunter u. a. polymere Frustrane, etliche Knalldehyde und Telegen-Derivate) – kurzum, ein recht spritziger Cocktail. Talkmaster kann man gefahrlos anfassen, weil das Gift nur über die Netzhaut in den menschlichen Körper eindringt; dort führt es jedoch nach mehrstündigem Kontakt zu Stumpfsinn, Willenlosigkeit und Hirnerweichung, auch bekannt als MIS (Maybrit-Illner-Syndrom). Der Artenschutz von Talkmastern fällt übrigens – wie auch beim Ergrauten Star (Megadiva heestersi) – in den Zuständigkeitsbereich der GEZ und wird durch eine bundesweite Gebührenordnung finanziert.
7 Die gewaltige Riesenbo-äh (Pytton bochum), auch unter den Namen Gemeine Revierschlange oder Großer Püttwurm bekannt, hat sich vortrefflich an das Leben im Großstadtdschungel adaptiert. Als Lebensräume nutzt dieses Riesenreptil ausschließlich rußreiche, versmogte Reviere, wo es vorzugsweise dunkle Förderschächte besiedelt; mitunter trifft man dieses Kriechtier aber auch in kleinen, ergrauten Reihenhäuschen (den sogenannten »Kumpelhäusken«) an. Einer Riesenbo-äh sollte man niemals von der Seite kommen, da sie den vermeintlichen Angreifer sofort unter bösartigen Zischlauten (»Gezz iss shluuusss«) attackiert. Die Nahrungsaufnahme der streng vegetarisch lebenden Schlangen erfolgt nie unter Tage, sondern stets oberirdisch. Zwar hat man in jüngster Zeit auch einzelne Exemplare gesichtet, die sich über Essensabfälle, wie Pommes frites, Pils und Currywurst, hermachten, normalerweise ernährt sich P. bochum jedoch ausschließlich vom Kohlepfennigkraut (Obulus carbonicus), einer Zivilisationspflanze aus der Familie Verwaltungskräuter (Politicaceae; vormals: Administrales). Hier steht P. bochum in direkten Nahrungskonkurrenz zum nahe verwandten Riesenrheinwurm (Pytton gartzweileri), auch Tagesbo-äh genannt, einer weiter südwestlich lebenden, meist reinbraun, oft aber auch rot-grün gezeichneten Riesenschlange. Aufgrund des hohen Nahrungsbedarfs der Tiere, der nur unzureichend aus der öffentlichen Hand gedeckt werden kann, und dem gleichzeitigen drastischen Rückgang von O. carbonicus müssen wir mit dem baldigen Aussterben dieser Riesenschlangen rechnen. Erschwerend kommt in solch einer fatalen Situation noch hinzu, dass das standorttreue Tier aufgrund seiner ausgeprägten Revierverbundenheit selbst dann, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht, lieber im Kohleschacht ersäuft, als ihn freiwillig verlässt.
8 Die Gruppe der Amphibien ist besonders stark von Klimawandel und Umweltverschmutzung betroffen, da sich nur wenige Vertreter erfolgreich an die anthropogenen Veränderungen ihrer Lebensräume adaptieren konnten. Darüber hinaus kennt das Gros der Bevölkerung nur wenige oder überhaupt keine dieser schlüpfrigen Überlebenskünstler – entweder, weil die Tiere nur zu manchen Jahreszeiten auftauchen, wie beispielsweise der Knallfrosch (Rana sylvester), der immer in den letzten Dezemberwochen unüberhörbar in Erscheinung tritt, oder aber wie die Falsche Wechselkröte (Bufo nonindossabilis) in völliger Abgeschiedenheit leben. (B. nonindossabilis hält sich knapp oberhalb der Deckungsgrenze von Bankkonten auf und wird nur dann vom Laien wahrgenommen, wenn sie gerade mit lautem Knall geplatzt ist.) Andere amphibische Kulturfolger wie Lustmolch (Triturus nymphomanes) und Salamikröte (Bufo beefi) sind nur Personen mit bestimmten beziehungsweise ausgefallenen Geschmacksrichtungen bekannt. Umso erfreulicher ist, dass der Wetterfrosch (Rana kachelman), ein Vertreter der Anuren (Froschlurche), nicht nur als treuer Hausgenosse akzeptiert wurde, sondern auch nutzbringend zur Schönwetterprognose im Alltag eingesetzt werden kann. Allerdings hat die vermehrte Verwendung von KI-Software in der TV-Meteorologie in den letzten Jahren dazu geführt, dass dieses kleine grüne Kerlchen immer seltener zur Wettervorhersage in Nachrichtensendungen gebraucht wird.
9 Viele Menschen ekeln sich vor Spinnen, aber nicht vor dieser – die ebenso zeit- wie geschmacklose Wäschespinne (Arachne lenor) ist aus dem Leben vieler Hausfrauen einfach nicht wegzudenken. Sicherlich mag es daran liegen, dass sie weder gruselerregende Härchen besitzt, noch zottige Spinnweben hinterlässt und sich obendrein auch nicht unverhofft von der Zimmerdecke herabfallen lässt. Ihren langen, oft schlicht weiß lackierten Metallbeinen kann man sogar eine gewisse Ästhetik nicht absprechen. In Sachen Pflege, Wartung und Bedienung verschlingt sie mehr Zeit als ihre moderne Konkurrenz, der Spinn-Dryer (Turbosecator dyson), ein ursprünglich aus Nordamerika stammender, von Werbefuzzis und Austauschstudenten eingeschleppter Arachniden-Exot. Dafür punktet A. lenor in den Bereichen Nachhaltigkeit und Energieverbrauch – einmal für wenig Geld angeschafft, überlebt sie mehrere Spinn-Dryer-Generationen, die in der Regel nach zwei bis drei Jahre ihre elektronische Seele aushauchen. Gerade bei jungen Vertretern der Friday-For-Future-Generation feiert die Wäschespinne daher ein durchaus verdientes Comeback.
10 Die Lakritzschnecke (Helix haribo) zählt zu den wenigen Schneckenarten, die sich beim Menschen besonderer Beliebtheit erfreuen. Als eindeutiges Landtier (in Wasser quillt sie zu einer schwarzen, formlosen Masse auf) döst sie oft tagelang träge in hohen gläsernen Wohnhöhlen, die im Halbdunkel von Trinkhallen und Zeitungskiosken stehen. Diesen Lebensraum teilt sich H. haribo mit anderen Schnuckeltieren, wie z. B. Sauren Dropserln (Dropsophila bonbon), Mäusespeckwürmern (Camella marshmallowensis) und Gewöhnlichen Brauserlingen (Fizziphora simplex) – eine heterogene, von Biologen auch als Kiosksphäre bezeichnete Lebensgemeinschaft. Zum Schutz ihres weichen Körpers umgibt sich die Lakritzschnecke beim Verlassen der Wohnhöhle mit einem durchsichtigen, viereckigen tütenförmigen Sack, den sie mit anderen Schnecken gemeinsam nutzt. Dieser »Schneckensack« ist an den Enden so fest verschweißt, dass er selbst unter Anwendung hoher Zug- und Reißkräfte sogar an den dafür vorgesehenen Sollbruchstellen nicht aufplatzt. Lakritzschnecken sondern ein dickflüssiges, klebriges, schwarzes Sekret ab, das nicht nur sehr viel Zucker (85 % Glukose) enthält, sondern auch das euphorisch wirkende Salmiacin, welches in Forscherkreisen sogar als Suchtstoff (»Weiche Droge«) diskutiert wird.
11 Beim heimischen Kurschatten (Solanum badenbadense) aus der Familie der Nachtschattengewächse (s. a. Treulose Tomate, Solanum perfidum) gibt es weibliche und männliche Pflanzen, von denen letztere besonders interessant sind: Mit ihren prächtig herausgeputzten cremeweißen Blüten (sogenannten »Langbindern«), mattblau-metallic glänzenden Blätter und durchtrainierten, muskulös verzwirbelten Stielen ziehen sie die Aufmerksamkeit anderer Kurpflanzen auf sich. Ähnlich wie das Gemeine Erbschleichkraut (Gigolo pseudamorosus) schmarotzt nämlich auch der Kurschatten als Halbparasit auf anderen Pflanzen. Sein Lebensraum sind die Parks von Heilbädern und Kuranlagen – als Zimmerform findet man ihn aber auch in Vier-Sterne-Hotels, Spielcasinos, Theaterfoyers sowie auf Kreuzfahrtlinern. Charakteristisch sind seine prominenten Außenranken, mit denen die meist weiblichen Wirtspflanzen umgarnt und eingewickelt werden – bevorzugte Spezies sind Reiche Witwe (Multidollaris relicta) und Altstar (Diva obsoleta). Laut einer Hypothese erzeugen die Wirtspflanzen durch Aneinanderreiben der Blätter niederfrequente Klickgeräusche, die wie herabfallende Münzen klingen und S. badenbadense beim Aufspüren seiner Opfer helfen.
12 Ein häufiger Vertreter der heimischen gewässernahen Flora ist das gar nicht so seltene Mauerblümchen (Archaeovirgo desperata), zu dessen charakteristischen Merkmalen ein unscheinbares blassrosa Blütenkleid, ein gedrungener, glanzloser Stängel sowie derbhäutige, grobporige Blätter zählen, die von einem feinen, leicht fettigen Schuppenfilm überzogen sind. Zusammen mit üppig wucherndem Seifenopernkraut (Soaponaria teenimanes), halb erblühten Backfisch-Röschen (Venusilla praeflorescens) und kurzstängeligen Halbsträuchern wie der Tauben Nuss (Corylus merknix) bildet A. desperata einen dichten Ufervegetationsgürtel, der einer vielschichtigen Hydrofauna als gut geschütztes Balz- und Laichrevier dient. Einer der häufigsten Besucher dieses ökologischen Paradieses ist der Tolle Hecht (Esox blendax), der sich bevorzugt von Kleinkrebsen und Wasserinsekten, wie Schaumschläger (Pseudomacho spumantifer), Dünnbrettbohrer (Perforator tabulinarius) oder Zockerbock (Programmatifex nerdoides), ernährt. Dieser gefräßige, abgezockte Raubfisch schnappt sich gerne auch mal einen verirrten, aus der städtischen Kanalisation entwichenen fetten Bachklokrebs (Gammarus sanitarius) und macht selbst vor den flauschigen Küken der Lahmen Ente (Anas blayphus) nicht Halt. Weil Tolle Hechte aber auch viel Mist hinterlassen, haben Mauerblümchen & Co. ein reichliches Nahrungsergänzungsspektrum, welches im Spätsommer und Frühherbst die teilweise schon abgestorbenen Pflanzen zu einem erneuten, intensiven Blütenaustrieb veranlasst, in Fachkreisen auch »Zweiter Frühling« genannt.
13 Der Gemeine Chlorbleichling (Purgatorius domestos) ist ein eher unauffälliger, heute selten gewordener Pilz, oft vergesellschaftet mit anderen Putzschrankbewohnern aus der taxonomischen Sammelgruppe der Ikearegales, z. B. Kleinem Drahtschwammerl (Abrazas borsticus), Scheuermilchstern (Ata vulgaris) oder Grünem Spülicht (Pril liquidus). Extrem lichtscheu bevorzugt er feucht-warme dunkle Standorte (Badezimmerspinde oder Küchenunterschränke), wo er zusammen mit Weichem Wollmoos (Vernellus pseudolenor) und Perligem Saubermann (Persilius megaperlis) angetroffen wird. Früher ein gern gesehener Hausgast symbolisiert der Gemeine Chlorbleichling seit alters her die Reinlichkeit und den Duft des ärztlichen Wartezimmers. So galt er bei den Ureinwohnern Nordamerikas als Lieblingspflanze von Sagro Tan, dem Gott der Keimfreiheit. Die Indianer zerstampften reife Pilze (höchstwahrscheinlich den Amerikanischen Chlorbleichling, P. danclorix), ließen den Brei gären und versprühten den Saft in alle Ecken ihrer Häuser, um böse Geister zu vertreiben. (Relikte dieses sogenannten Sagro-Tan-Kultes werden übrigens auch heute noch in vielen Teilen der USA beobachtet.) Nach seiner Einbürgerung in Europa war der Chlorbleichling trotz seines leicht stechenden, mitunter tränenden Geruchs ziemlich beliebt, da er Schmierstoff-, Tee-, Obst- und andere hartnäckige Flecken im Handumdrehen vertilgte. Als man aber herausfand, dass er den einheimischen Gemeinen Essigreiniger (Acetophilus froschii) mit seinen ätzenden Chlorgasen fast völlig verdrängt hat, wurde er – im Rahmen einer bundesweiten Renaturisierungskampagne zur Rettung des Gemeinen Essigreinigers – gnadenlos aus vielen Putzschränken verbannt.
14 Last but not least soll an dieser Stelle ein wohlschmeckender, größtenteils unbekannter heimischer Speisepilz vorgestellt werden. Den erstmals 1912 in Cannstadt bei Stuttgart gefundenen Rittersportling (Laccaria quadratica-practica-bona) kann jedes Kind leicht an seinem viereckigen, in vielen Farben schillernden Schirm sowie am knickfähigen, wiederverschließbaren Lamellensegel (Velum) erkennen. Das Velum umhüllt eine quadratisch angeordnete Ansammlung kakaofarbener Sporen, die mal nach Minze und Marzipan, mal nach Erdbeere und Orange, aber immer intensiv nach Schokolade schmecken. Aber warum ist dieses mykologische Kleinod in Deutschland eigentlich so gut wie kaum bekannt? Ein Hauptgrund könnte sein, dass die exakten Koordinaten der wenigen Standorte als wohlgehütetes Familiengeheimnis nur von Generation zu Generation weitergegeben werden. Somit gibt es so gut wie keinerlei Grundlagenforschung über diese Spezies, insbesondere deren symbiotisches Baumwurzel-Pilzgeflecht (Mykorrhiza), von Experten als Chocorrhiza bezeichnet. Spekuliert wird über eine Symbiose mit Nusszeder (Hanuta simplex) oder Borkenmilchbaum (Vaccalila [syn. Milkoidea] trapezoides). In den Folgejahren verliefen sämtliche Versuche, den Pilz unter Kunstlicht in Tunneln (ähnlich wie Zuchtchampignons) zu ziehen beziehungsweise aus seiner angestammten schwäbischen Heimat nach Norden, Süden, Osten, Westen oder gar ins Ausland zu bringen, kläglich im ariden, nicht-württembergischen Sande.