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Rainer Schorm – Essen und wohin so etwas führen kann …

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Essen? Die Stadt?

Nein, keineswegs. Eher Düsseldorf. Das liegt, wie der geneigte Leser weiß, etwas über dreißig Kilometer südwestlich davon. Dort siedelt die Jubilarin. Aber darum geht es eindeutig nicht, obwohl auch in Düsseldorf Essen zu finden ist … erzählt man.

Gemeint ist demzufolge die Kulinarik in all ihren Formen – auch den gruseligen.

Dass Monika Niehaus Essen liebt, wird dadurch verständlich … ein bisschen zumindest. Ihr eignet eine intime Nähe zum Grotesken. Aber auch völlig normales Essen findet ihre begeisterte Zustimmung und warum auch nicht?

Das häufig ins Essen führende Kochen bekommt gleichzeitig eine deutlich höhere Wertigkeit und es erklärt, neben der einen oder anderen literarisch-kulinarischen Schweinerei, eben auch ein Tätigkeitsfeld, in dem sie sich hervortat.

Bücher über Essen, oder besser: den falschen Umgang damit sind ein wichtiger Bestandteil des niehausschen Œuvres.

Die provokanten Titel lauten etwa: »Wer gesund lebt, ist selber schuld: Was uns Gesundheitsapostel verschweigen.«1 oder »Wer gesund isst, stirbt früher: Tatsachen und Trugschlüsse über unser Essen.«2

Der mitschwingende Sarkasmus sollte jedem zu denken geben, denn wie so häufig und keineswegs von selbst gehören die Dinge, die man eben weiß, in die Kategorie Irrtum. Was mit angeblich gesundem Essen angerichtet wird, ist gerade deshalb brisant, weil so unglaublich viele vorgeblich aufgeklärte Menschen eben diese Irrtümer geradezu liebevoll pflegen. Man weiß es eben – und da sind wir genau dort, wo's weh tut.

Aufklärung ist das Stichwort. Das kantsche »Sapere aude!« ergibt lediglich dann Sinn, wenn der Denkende sich bezüglich der Fakten, die er zum Denken benutzt, vergewissert. Ansonsten dreht sich auch das Denken sehr schnell im Kreis. Auswüchse dieses Problems kann der geneigte Leser dieser Tage auf vielen Feldern studieren. Ob Klima, ob Corona, ob Energie …

Es ist erschreckend, wer heutzutage Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nimmt. Der bessere Begriff wäre »Geiselhaft«.

Die Jubilarin hingegen weiß sehr wohl, was Wissenschaft tatsächlich bedeutet: ein ewiger Prozess der Falsifizierung. Skepsis tut not, soll »die Wissenschaft« (welche eigentlich?) nicht zur Zementierung neuer Dogmen dienen.

Das gilt für die oben genannten Bücher wie auch für »Food-Design: Panschen erlaubt: Wie unsere Nahrung ihre Unschuld verliert« und »Wer hat das Rind zur Sau gemacht?: Wie Lebensmittelskandale erfunden und benutzt werden.«3 Sie sind aufklärerisch im besten Sinne des Wortes. Monika Niehaus hat hier in Zusammenarbeit u. a. mit Udo Pollmer der Wahrheit eine Chance gegeben. Oder gar »Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen«.4 Sogar Menschen, die sich für Nahrungsmittel interessieren, werden hier den einen oder anderen Augenöffner finden.

Dass die Bücher sich überdies amüsant lesen, ist ein weiterer Pluspunkt. Da die üblichen Aussagen zum Thema sich gerne moralinsauer geben und die Diskussion dominieren, ist der Weg zum Sarkasmus wahrscheinlich sogar zwingend. Sozusagen als würzende Zutat.

Dehnt man den Bezugsrahmen ein wenig aus, so könnte man Gifte aller Art durchaus als »Zutat« verstehen – in Ergänzung der gerade eben erwähnten Drogen. »Wie man Männer in Schweine verwandelt und wie man sich vor solch üblen Tricks schützt: Rauschpflanzen und Gifte in antiken Mythen und Sagen«5 verlässt die Umgebung der Gegenwart und bezieht einen zeitlichen Kulturrahmen mit ein, der die ganze Breite des Phänomens beschreibt. Ein weiter Horizont schadet nicht. Es sei denn, man leidet unter intellektueller Agoraphobie. Dieser Angststörung liegt übrigens die Furcht vor Kontrollverlust zugrunde. Insofern wäre wissenschaftliches Denken immer eine Gefahr: Wer mag es schon, wenn die Fakten das eigene Weltbild infrage stellen?

Schlagen wir die Kurve zu den Giften, dann ist die Wissenschaft (sic) für jedes Dogma toxisch.

Das schreibt ein »alter, weißer Mann«, dessen Männlichkeit heutzutage von einigen Schwerstverwirrten grundsätzlich als toxisch angesehen wird.

Apropos »toxisch« …

Wer erinnert sich noch an den Lebensmittelskandal, bei dem … nein, nicht Rind, Schwein oder Huhn, die üblichen Verdächtigen eben … die Zucchini der Übeltäter war? Ignorieren wir an dieser Stelle bakteriell allzu aktive Sprossen.

Das Blütengemüse kann giftige Bitterstoffe (Cucurbitacine) enthalten. Diese sind sehr giftig und rufen bereits in kleinen Mengen Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu lebensbedrohlichen Darmschäden hervor. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an einige bizarre Erlebnisse mit Zeitgenossen, die primär vegetarisch oder gar vegan unterwegs waren und sind. Bemerkungen wie »aber das ist doch Gemüse / gesund!« waren eher Regel als Ausnahme. Eigene Warnungen, wie z. B. dass Kochen diese Bitterstoffe nicht zerstört, wurden nicht geglaubt.

Hier wird Nichtwissen, das sich aufs Essen bezieht, gefährlich. Die Gleichung: pflanzlich = gesund hält sich beinahe so hartnäckig, wie die oben genannten Cucurbitacine. Unangenehm ist, dass diese sich keineswegs nur in Zucchini finden, sondern auch anderen Gemüsen: Gurken (Cucumis), Kürbisgewächsen (Cucurbitaceae, s. o.) und einigen Kreuzblütlern (Brassicaceae, Kohlarten). Die Mär vom »gesunden Gemüse« bekommt da doch die eine oder andere Mikrofraktur.

Es geht eben nichts über ein einfaches Weltbild.

Die Geschichte vom tödlichen Bärlauch ist aktueller. Man sollte das leckere Gewächs nämlich von anderen, sehr viel weniger harmlosen Pflanzen ähnlichen Aussehens, unterscheiden können: zum Beispiel von der Herbstzeitlosen oder Maiglöckchen, die stattdessen verspeist wurden. Zumindest für eine Person war der Genuss im schlimmsten Sinne final.

Auch in einer Zeit, in der ein Großteil der Nahrung aus dem Supermarkt kommt, wäre Wissen also angesagt. Zumal Dinge, die noch vor Kurzem jedes Kind wusste, dem Vergessen anheimfallen. Und der in seiner Selbstgewissheit omnipotente Städter geht hinaus in die Natur, um ihr nahe sein zu können. Harmonie gilt dieser Klientel als Essenz der Natur schlechthin.

Tatsächlich ist Mutter Natur hingegen ein Miststück, das im Laufe der Erdgeschichte den Großteil aller Arten wieder ausgerottet hat. Ob es nun zweiundneunzig oder achtundneunzig Prozent waren, spielt nicht einmal ansatzweise eine Rolle. Eine Giftmischerin ist sie, zudem eine fähige.

Das sollte man wissen.

… ein weiterer Grund, die oben genannten Bücher zu lesen, denn Lesen bildet. Wissen kann man nie genug.

Guten Appetit! Wir treffen uns auf einen Drink in Donnas Kaschemme. Ob giftig oder nicht.

Prost.

DIE AUTORIN AM RANDE DES UNIVERSUMS

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