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Alexander Röder – Duell der Schlemmersekten

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In einem abgelegenen Gasthaus am Rande einer Pyrenäenschlucht kam es in einer stürmischen Nacht zum Kampf zweier kulinarischer Geheimgesellschaften, um Deutungshoheit, Ehre und nachhallenden Ruhm. Passend zu diesem umwälzenden Ereignis brodelten die Wolken über den schroffen Gipfeln und der Donner rollte blitzgetrieben dahin, dass es die Bäume zauste und die Hänge erbeben ließ. Das Spektakel droben würde sich zweifellos weiter unten fortführen.

Im großen Saal der Speiseherberge hatte der Patron alles herrichten lassen: Auf dem freigeräumten Parkett standen mittig drei Herde, einer elektrisch (die Kabelage sorgfältig und stolpersicher verlegt), einer mit Flaschengas betrieben und einer ganz altmodisch mit Holz geheizt und schon vor Stunden befeuert. An den gegenüberliegenden Seiten des Saales standen, in zwei Lager gespalten, die verhüllten Gestalten, helle Kutten auf der einen Seite, dunkle Kutten auf der anderen, in jeweils unterschiedlichen Farben, die gewiss eine Bedeutung besaßen, aber wer konnte das außerhalb der geheimen Verbindungen schon wissen: wir nicht.

Klar aber war, dass es sich bei diesen Gesellschaften um die Dalísten und die Pomianer handelte. Diese wie jene hatten sich nach ihrem gastrosophischen Idol benannt, respektive Salvador Dalí und Édouard de Pomiane. Da der katalonische Künstler des Surrealismus wegen seiner Exzentrik den meisten Vor-, Während- und Nachgeborenen vermutlich bekannt sein dürfte, sei es als Scharlatan, Faszinateur, Angeber, Paranoiker oder göttlicher Meister, auch und hier besonders von Bedeutung als kulinarisch Kreativer, sei rasch der andere Herr vorgestellt: Édouard de Pomiane war dreißig Jahre älter als Dalí, und statt der Surrealistengottheit nur ein Halbgott in Weiß, sprich Arzt, und vierzig Jahre am Pariser Institute Pasteur beschäftigt, dazu war er Kochkünstler, Kochlehrer und Erdenker der Gastrotechnik, während Dalí, man mag die Analogie anwenden, eher ein Gastromagier war. Und dieser Unterschied im Angang war die Grundlage der beiden Geheimgesellschaften. Beide hatten sich den mit Lust und Freude bereiteten und ebenso genossenen Speisen verschrieben, nur eben mit gänzlich gegensätzlicher Herangehensweise. Wie man sich bei Dalí denken kann, selbst wenn man nicht die einschlägigen Prachtband-Publikationen bestaunt hat, herrschte beim surrealen Grandseigneur eine überbordende Opulenz vor, die sich über Zutaten, Herstellung, Darreichung und Namensgebung der Gerichte erstreckte: Speisen aus Eiern und Fischen fasste er unter dem Begriff der ›Kannibalismen des Herbstes‹ zusammen; kleine Vorgerichte waren ihm ›Liliputaner-Malaisen‹, Schweinernes empfand er als ›Weiche Uhren im Halbschlaf‹ (obgleich eines seiner bekanntesten Bildelemente doch eher auf fließendem Camembert beruhte) und alles Vegetabilische schmähte (?) er als ›Desoxyribonuklein-Atavismen‹. Dass er weiteres Schlachtfleisch als ›Sodomitische Zwischengerichte‹, Wild und Geflügel jedoch als ›Monarchische Fleische‹ empfand, – nun, du bist, was du isst, wie der Volksmund weiß, selbst wenn dieser jenes nur selten zwischen den Zähnen hat.

Ganz anders nun Pomiane: Der schwor jeglicher komplizierten Verkünstlerung ab und propagierte die schnelle Küche, die jedoch keinesfalls minderwertig sein würde. Vielmehr sollte mit guten, wenngleich schlichten Zutaten (im Gegensatz zu Dalís Wachteln, Krammetsvögeln, Seeigeln, Schnecken, Krebsen und dergleichen) die gute, bürgerliche Küche für jene mit knapper Mittagspause (und dennoch Zwang oder Wille zum Selbstbekochen, aus welchen Gründen auch immer) ermöglicht werden: Pomianes Gastrotechnik bestand im Grundsatz aus Gerichten, die mit Geschick dank genauer, doch einfacher Anleitung in zehn Minuten zu bereiten waren, um in einem einstündigen Zeitfenster, am Ende noch Zeit für einen geruhsamem Kaffee samt Träumerei und Entspannung – quasi am realen Fenster – zu finden. Seine schlichten Empfehlungen waren denn oft Kurzgebratenes mit Gemüsen (was ihn nicht daran hinderte, bei der Beschreibung eines in Butter gebratenen Kalbskoteletts an grünen Erbsen poetisch zu werden), rasche Suppen, soßierte Nudeln, auch Frittiertes und Salate, je nach Geschmack und Jahreszeit, wodurch er sich durchaus in den Ruch der nouvelle cuisine setzte, obgleich sein wichtigstes Wirken in den Dreißiger Jahren geschah. Auch widmete er seine Gerichte und Zubereitungen all jenen, die vom Tempo der Moderne getrieben waren, und nicht nur, wie Dalí es tat, dessen Muse Gala.

Es wurde unruhig im Saal. Unter den Dalísten befanden sich mehr Galas als kleine Verkäuferinnen, wenngleich die Pomianer sich keineswegs allein aus Angestellten rekrutierten: Auch und gerade der darbende Künstler konnte sich die feinschmeckerischen Festivitäten des Dalí kaum leisten und suchte seine Erfüllung notgedrungen im Frugalen. Dem aber hatten sich auch Wohlhabende verschworen und suchten ihr Heil im Kargen, in der cucina povera, ohne jedoch einem historisierenden Pauperismus zu verfallen und nur noch Rinden zu nagen, wie die ganz Armen, falls diese überhaupt einen Kanten Brot besaßen. Wiederum tummelten sich unter den Dalísten reichlich Möchtegerne, die ihr bescheidenes Einkommen durch reiches Äußeres zu kaschieren suchten. Einerlei, bei den jeweiligen Treffen waren ohnehin alle maskiert, um Anonymität zu wahren und sich trotz gleicher Interessen nicht allzu sehr der Gleichmacherei zeihen zu lassen. Ab und an ließ man seine wahre Gesinnung ohnehin zu Hause, oder gab sie an der Garderobe ab.

Doch nicht heute, heute wurde es ausgefochten! Enthusiasmiert und ungeduldig harrten die Anwesenden. Die Türflügel zum Saal knarrten und die beiden Zeremonienmeister traten ein, von jeder Partei einer. (Genauer auch eine, denn das Dalístengewand bauschte sich hier und da verdächtig und unter der ans Venezianische gemahnenden Gesichtsmaske klang es hernach recht hell.) Gravitätisch wurde zu den drei Herden geschritten, sich knapp verneigt und dann die Estrade erklommen, auf der zwei Pulte standen, jeweils mit passenden Girlanden geschmückt, recht bunt, aber eher hell oder eher dunkel gehalten, wir erinnern uns. (Die helleren Gesellen waren übrigens die Pomianer, was wohl den Arztkitteln und Kochschürzen Tribut zollen sollte, während die Dalísten sich eher im Stand von Hohepriestern und Würdenträgern sahen. Es blinkerte bei jenen auch etwas mehr, so hier und da, manche trugen gar Epauletten wie die Palastköche. Kochmützen gab es aber nicht, sondern bei allen nur Kapuzen.)

Oh doch, Kochmützen! Die kamen nun in den Saal, denn die beiden kulinarischen Duellanten hatten sich gewissermaßen mit heldischen Helmen versehen. Keck fiel die Haube beim einen zur einen, beim anderen zur anderen Seite. Darunter glänzten die Halbmasken, denn Nasen und Münder mussten beim kämpferischen Kochen ja frei bleiben. Auch trugen sie keine Kutten, sondern reinweiße Kochjacken, mit jeweils hellem oder dunklen Halstuch, zum allbekannten, kompakten Knoten geschlungen. Die Beinkleider bauschten sich passend kariert, man hielt denn doch auf Tradition. Zugegeben, etwas davon abweichend war dem Anlass entsprechend der Uniform ein kleines Detail beigefügt worden: Um beider Schultern, unterhalb des hohen Umklappkragens, schmiegte sich ein kurzer Umhang, ein knappes Cape, das bis zur die Nierengegend reichte, und bei jedem Schritt dekorativ wippte. Die Duellanten schritten auf dem Weg zur dreifachen Herdstatt die Reihen ihrer Getreuen ab, nickten huldvoll und nahmen die Komplimente entgegen, während sie Gegner und Widerstreiter keines Blickes würdigten. Konzentration tat not und kühler Kopf galt zu bewahren, zumal die drei Herde bald gemeinsam ihre Hitze ausstrahlen würden.

Die Kulinarduellisten bauten sich auf, einander gegenüber stehend, die Reihe der Herde zwischen sich. Sie würden sich in die Augen sehen können, außer wenn die beiden Kaminröhren des Holzfeuerherdes in der Mitte den Blickkontakt behinderte. Zu erklären ist noch, dass die drei Herde Sonderkonstruktionen waren, mit je zwei Bratröhren im Korpus und zwei Reihen von Schaltern für die Kochstellen, jeweils am gegenüberliegenden Ende. So konnten die Duellanten gleichzeitig wirken, ohne einander in die Quere zu kommen, gleichzeitig waren Kontrolle und Einschüchterung möglich. Zweifellos, das Duell war höchst durchdacht.

Hinter den Duellanten standen die Tische mit den Rohwaren und den Kochutensilien: Die blanken Töpfe und die glänzenden Gerätschaften, die prangenden Früchte, Gemüse, Fische und Fleische, nebst Flaschen und Schalen mit mannigen Zutaten, zudem reichlich Freiraum zum Herrichten und Vorbereiten. Und dann stand da noch jeweils ein Pult, ein hölzerner Hybrid aus Katheder und Notenständer, verdächtig schlicht, als sollte es nicht ablenken, doch von was? Ah, da traten zwei hochgewachsene Männer in Schwarz heran, jeder trug eine flache, lackierte Schatulle, die eine größer, die andere kleiner. Jetzt wurden zwar keine Waffen verteilt, doch das wichtigste Rüstzeug überhaupt: Die Heiligen Schriften.

Der Dalíst öffnete die breitere Kassette und entnahm unter dem andächtigen Raunen seiner Mitgläubigen den prächtigen, goldglänzenden Folianten mit den Rezepten und hob ihn empor. Gleichzeitig griff der Pomianer in das kleinere Behältnis und zog ein schmales Brevier von schlichtem Äußeren hervor, was die Seinen mit nicht weniger Andacht bedachten als die Gegner das Ihrige. Beide Duellanten schritten zu ihren jeweiligen Buchständern und legten die Werke sachte ab. Dann wandten sie sich der Estrade zu. Die Zeremonienmeister nickten, hoben die Arme und sprachen in einer Art Wechselgesang diverse Mantren, wiederholten den Anlass der Zusammenkunft und einiges mehr, was für uns nicht von Belang ist und zudem arkanes Geschwafel und durchaus befremdlich für Nichteingeweihte. Interessanter für uns ist das Folgende, was den Mund wässern machte, und nicht die trockenen Zeremonielle: Denn endlich schritten die Duellanten zur kulinarischen Tat. Auf der Estrade spielte eine kleine Kapelle dezente, appetitanregende Weisen, die zudem ein rhythmisches Kochen ermöglichten. Zudem würde das sich allmählich steigernde Tempo der Stücke auch der weiter nahenden Klimax der Veranstaltung ankünden: Nach der Verkostung des Gekochten folgte die Verleihung des Preises, die Kür des ewigen Siegers.

Die Pomianer und Dalísten am Rande zogen ihre Programme heraus, hübsch auf Bütten gedruckt, darauf stand die zu erwartende Speisenfolge, gewissermaßen das Libretto der kommenden Koch-Oper.

»Meine Herren, starten Sie die Herde«, sprachen die Zeremoniellen, und das traf nicht allein auf die elektrischen und gasbetriebenen Feuerstellen zu, nein, es wurden auch die Klappen des Holzofens gelüftet, um tüchtig das Feuer zu schüren. Die Hitze im Saal stieg. Es begann.

Unter der Ägide ihrer Schutzheiligen nahmen die Duellanten ihr Werk in Angriff.

Die Vorspeise:

Der Dalíst bereitete ein exquisites Heringspüree, indem er nebst der Fische auch Zwiebeln und Kartoffeln in thymianparfümierter Bouillon sott und die Masse hernach fein zerstampfte. Dazu eine Mayonnaise mit Cayenne und Safran, frisches Meterbrot anbei.

Der Pomianer war gemäß seines Glaubens rascher in der Zubereitung: Austern auf Bordelaiser Art. Die Mollusken wurden in ihren Halbschalen von krossen Bratwürstchen begleitet. Dies war als Eingangsgericht vielleicht etwas mächtig, doch von höherer Kulinarik als das schlichte Käseomelett, welches der Pomianer dennoch parallel bereitete. Auch die schnelle Küche bot ihre Gourmandisen.

Alles wurde den unbewussten Unparteiischen serviert: Einer Riege von Herren und Damen, die in einem Raum nebenan saßen und glaubten, sie wären schlichte Gäste, oder zumindest solche, die es in jener Gewitternacht per Zufall in das abgelegene Lokal verschlagen hatte, weil ihr gemeinsames Gefährt havariert war. Dass dies alles perfide geplant war, ahnten sie wohl nicht. Dennoch würde ihr Urteil über die Gerichte einen Teil der Entscheidung ausmachen. In diesem Augenblick jedoch freuten sie sich darüber, dass ihnen unverhofft in all dem Unglück ein solch exquisites Nachtmahl serviert wurde. Der Patron flunkerte etwas von übrig gebliebenen Übungsgerichten daher.

Währenddessen ging der Dalíst über, das Hauptgericht zu bereiten: speckummantelten, überkrusteten Kalbsschlegel mit Sauerampfer, dazu Lammhirntoast und Anchovishäppchen. Letztere beiden waren eigentlich Zwischengerichte, doch als Beilagen verstärkten sie das Gesamtbild.

Der Pomianer mengte grünen Lattich und schälte bereits Obst für die Brieplatte. Er wusste, dass er mit diesen schlichten, erfrischenden Genüssen gegenüber den überspannten Dalísmen würde punkten können: Denn das Lammhirn wurde von Alligatorbirnen begleitet, die manche ganz unverständlich Avocado hießen, und die Anchovis wurden, obwohl bloß provenzalisch aromatisiert, als auf weihnachtliche Art angepriesen. Derlei verwirrt ehrliche Gaumen, klar, da mochte es noch so sehr munden.

Der Dalíst ließ sich dazu hinreißen, noch weiter zu trumpfen und begann, die hochgerühmten Trüffelwachteln auf Mais mit Kalbsfarce und Rohschinken zu füllen. Der Pomianer briet schlicht Schnitzel naturell und dämpfte grüne Erbsen, in geradezu mönchshafter Ruhe und Konzentration. Der Dalíst hingegen wirbelte exzentrisch in seinen Schuhen aus ausgehöhlten Broten herum, setzte gar die doppelverglaste Brille mit den Ameisen darin auf. Den Pomianer und auch unsereinen hätte das doch sehr gestört.

Das Dessert nahte. Der Pomianer rührte süßes Kastanienpüree und versah Schälchen voller Ziegenrahmkäse mit einem Klecks Schattenmorellenkonfitüre, der Dalíst hingegen kochte Pinienkerntoffee und Aprikosenfruchtcreme. Der Pomianer goss bloß noch den Kaffee auf.

Wer nun nicht in den Prozederes der Dalísten und Pomianer bewandert war, mochte sich fragen, wie es gelang, dass die aufwendigen Gerichte auf der einen und die einfacheren auf der anderen Seite (wortwörtlich auch auf die Herde und Kochstellen bezogen) so zeitnah vervollständigt waren, dass die unwissenden Speisenden der Jury sie dennoch im zeitlichen Rahmen eines schmackhaften Abends genießen konnten. Nun, der Pomianer taktete sich gewissermaßen gastrotechnisch gemäß des Metronoms der Quantenkomputistik und des menschlichen Multitaskings, während der Dalíst schlichtweg surreal schummelte und die Zeit sich dehnen und zäher fließen ließ. Aber das bemerkte niemand, weil er so viel Aufhebens, Brimborium und Schall und Rauch zelebrierte: Er hatte auch eine Schwäche fürs Flambieren und anderes Gefackel, auch wenn es die Gäste im Nebenraum gar nicht sahen, die aßen, was auf den Tisch kam, und all das mit Freude. Was am Ende leider zum Problem wurde. Denn als die fröhlich Gesättigten ihre Grüße in die Küche sandten, konnte auch nach penetrantem Nachhaken nicht ermittelt werden, welche der Gerichte oder welche Kombination denn allen am meisten zugesagt hatten. Es herrschte Gleichstand. Das kommt davon, wenn man Laien fragt. Die Zeremonienmeister – welche sich währenddessen als Kellner und Serviertochter getarnt und selber nachgefragt hatten – kamen nach Beratung in den Saal zurück und wollten das problematische Urteil verkünden, als etwas Unerhörtes geschah.

Hier sei aus Gründen der dramaturgischen Verzögerung, des Spannungsaufbaus und der Vorahnungsbildung eine Anekdote eingestreut: Niemand soll nämlich glauben, die Dalísten und Pomianer seien aus der Luft gegriffen oder passender gesagt aus dem Zwischenrippenstück geschnitten. Derlei Gesellschaften gibt es in der Tat und ihre Zwiste führen oft zu üblem Ende. Etwa hier: Im Dezember 1982 starb in Castelnaudary, welches im französischen Département Languedoc gelegen ist, ein Monsieur Bémer aus Toulouse während eines kulinarischen Zwistes an einer Bohne. Einer blauen, wie man früher sagte, sprich, einem Bleigeschoss. Und das kam so: Seit Langem schon schwelte im Languedoc der Hass unter den Freunden des Cassoulets, also jener traditionellen südfranzösischen Speise, die so viel mehr ist als ein robuster Fleischeintopf mit Bohnen. Es geht nämlich stets auch um die Zubereitung, welche durchaus eine Glaubensfrage ist. Die einen fügen den weißen Bohnen, dem Speck, der Knoblauchwurst, dem Schweinefleisch noch eingemachte Gans bei. Die anderen bestehen auf Ente. Andere lehnen das Geflügel gänzlich ab und bescheiden sich mit Lamm als Dreingabe. Aber was ist nun das Wahre, das erhabenste Cassoulet? Darob gründeten sich im Languedoc zu jener Zeit verschiedene Vereine, die beide ›Freunde des Cassoulet‹ sich nannten, aus Carcassonne und aus Toulouse, welche respektive zur Gans- und Lammfraktion sich zählten, die Ente insgesamt verschmähten, was wiederum einige in Castelnaudary, die nicht vereinsmäßig organisiert waren, gelassen, aber anders sahen. In jenem Dezember nun wollten die Widersacher sich versöhnen, bei einem Essen im ›Maison de Cassoulet‹, wo es besagten Eintopf ohne Gans und ohne Ente gab, dafür vorschriftsmäßig sieben Mal überbacken und die Kruste jeweils untergerührt, für den exquisiten, knusprigen Genuss. Aber trotz des Schmausens brauste der Streit auf, es flogen Fäuste und Geschirr, die Prügelnden strömten auf die dunkle Gasse, es krachte ein Schuss und die Bescherung war da, der Monsieur Bémer war dem Streit ums Cassoulet erlegen. Die Vereine wurden auf Befehl der Präfektur aufgelöst, doch der Hass garte und gärte weiter. Siebenfach überbacken!

Drohte ein Ähnliches bei der Zusammenkunft der Pomianer und Dalísten? Ob nun bei Versöhnungsmahl oder Kulinarduell, ohne Einigung und Sieger war kein friedliches Ende zu erhoffen. Die Luft im Saal war unheilschwanger, unter die köstlichen Düfte der Gerichte mischte sich Bitternis.

Nestelte da schon jemand unter der Kutte nach dem Mordgerät, ballten sich schon Fäuste, wurde nach den Pfannen und Messern geschielt? Unruhe im Saal, die Gewänder bauschten sich, die Kapuzen zitterten!

Und dann geschah das bereits angekündigte Unerwartete – doch für die Anwesenden tatsächlich überraschend: Mitten im Saal (Donner und Blitz draußen hatten kurz zuvor eine Atempause eingelegt und legten hernach umso ärger nach) materialisierten sich drei kuriose Gestalten. Sie trugen keine sektiererischen Kutten, sondern schimmernde Einteiler, mit wulstigen Applikationen an Schultern, Kragen, Ärmelaufschlägen, dazu Schweißerbrillen mit kleinen Antennen daran. Die Leserschaft grübelt noch, die Pomianer und Dalísten jedoch waren nach kurzer Schreckstarre hellwach und erkannten: Das sind Futuristen!

Die Futuristen waren eine ganz schlimme Bande, die sich den Thesen des italienischen Dichters Filippo Tommaso Marinetti (Weiteres zu dieser heiklen Person ist auf eigene Gefahr nachzuforschen) verschrieben hatten. Alles musste schnell gehen bei denen: Tempo, Tempo, auch und gerade bei der Nahrungsaufnahme, die im idealen Falle nur aus ›essbaren Plastiken‹ bestand, nüchtern gesprochen aus belegten Broten, wenngleich optisch einigermaßen gefällig geschichtet, aber eben doch nur eine aufgehübschte Klappstulle. Doch das wurde nur als Übergang gesehen: Nährpillen und Speisekomprimate wären die angestrebte Zukunft. Schrecklich, aus Sicht der Dalísten, Pomianer und im Grunde auch aller anderen. Nurmehr Tabletten und ein Glas Wasser als Atzung – niemals! Die Futuristen hingegen sahen alle höhere Kulinarik als Hemmschuh für die Zukunft und in den Dalísten und Pomianern ihre ärgsten Feinde, die es bei jeder Gelegenheit zu piesacken galt. Warum nicht also hier und heute beim großen Duell? Und so ging alles ganz fix: Tempo, Tempo griff je ein Futurist und eine Futuristin nach den heiligen Büchern der Kochduellisten und schnappten sie vom Pult fort, um hernach in einem bunten Strahlenblitz zu verschwinden. Der übrige Futurist, der auch eine Futuristin sein mochte, drehte den Zeremonienmeistern eine lange Nase und warf eine Handvoll Pressnahrung wie Konfetti nach oben. Im farbigen Hagel verschwand auch er oder sie. Die Zurückbleibenden starrten baff. Hochamt und Versammlung waren entweiht, die holden Bücher entführt und alle waren samt und sonders beschämt. Das bedeutete Krieg! Sogleich begann ein eifriges und einiges Palaver über die weiteren Pläne. Bis auf Weiteres war der Zwist vergessen. Bis … na, man ahnte, wie lang das halten würde.

Im Nebenraum erhoben sich nach dem Verdauungsschnäpschen die gedungenen Gäste, die jedoch gar nicht so gedungen waren, sondern die schlimmsten Feinde von allen zusammen, ob von Dalísten, Pomianern oder Futuristen und allen die gerne kochten und speisten. Es waren die getarnten Gastrokritiker Peter Schwan-Hofgarten, Jean-Baptiste Andouille, Gesine Goodfry Gigott und Jakob Schaelribb, die für diverse Gazetten und Postillen gar zu gerne Verrisse schrieben, nachdem sie kostenfrei und gar nicht mal schlecht gespeist hatten, und die höchstens dann und wann gönnerhaft ein paar Empfehlungen wie Brosamen fallen ließen. Und heute hatten sie zur Krönung einen kulinarischen Krieg angezettelt. Man würde noch davon hören oder vielmehr schmecken. Und nun zu Tisch. Bon Appétit.

DIE AUTORIN AM RANDE DES UNIVERSUMS

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