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2.1 Brennpunkt Kulturelle Bildung
ОглавлениеDie Autoren betrachten die Spiel- und Medienpädagogik als Teil der Kulturellen Bildung. Dies ist keineswegs selbstverständlich. Sowohl Spiel-, Medien- als auch Kulturpädagogik blicken auf eigene Entwicklungen und Konzepte zurück, haben verschiedene Ursprünge, wesentliche Vertreter*innen und entsprechende Institutionen. Ihre Ziele in Bezug auf die erwünschte Wirkung bei Zielgruppen ähneln sich jedoch zu großen Anteilen. Dabei stehen sie kaum im Wettbewerb zueinander. Vielmehr kann ein übergreifendes Denken und Handeln Synergien in Theorie und Praxis aufzeigen. Eine Nachrangigkeit zu definieren, birgt das Risiko Befindlichkeiten zu wecken. Spiel und Medien sind Kulturgüter. Trotz ihrer jeweiligen theoretischen Basis hat die Kulturelle Bildung sie neben vielen weiteren Bereichen seit langer Zeit als Gegenstand ihrer Aktivitäten definiert und integriert. Abgesehen von der Bearbeitung und Entwicklung des jeweiligen Mediums (Spiel, Medien, Tanz, Musik, Literatur, Handwerk usw.) sucht die Kulturelle Bildung nach gemeinsamen Zielen und Kompetenzen im Einsatz dieser Felder. Sie kann daher auch für die Spiel- und Medienpädagogik als strukturelles Dach aufgefasst werden.
So verstanden ist es sinnvoll den Zweck der Kulturellen Bildung näher zu betrachten. Kulturelle Bildung »als Prozess hat zusammengefasst, drei Funktionen: Vorbereitung auf die Berufstätigkeit, Ermöglichung politischer und gesellschaftlicher Teilhabe sowie Persönlichkeitsbildung.« (Ermert 2007, S. 6) Für die Persönlichkeitsentwicklung bedeutet dies, mit Kunst und Kultur Horizonte zu erweitern, eigene Meinungsbildung zu fördern, Haltungen zu entwickeln und zu zeigen sowie damit zu »selbst- und verantwortungsvollen Individuen zu werden, die ihre Stärken und Fähigkeiten kennen« (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung 2019).
Die Ziele der Kulturellen Bildung verändern sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung, ihren Bedarfen und natürlich den Instrumenten (Medien). Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich nicht reibungslos. Sie bringen eine Vielzahl von Herausforderungen, Problemen und Orientierungsschwierigkeiten mit sich. So hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten Alltag ent-traditionalisiert. Der Einzelne gewinnt dabei mehr Freiheit, Deutungs- und Handlungsspielräume. Nachteil ist jedoch eine hohe Orientierungslast (vgl. Ziehe 2005, S. 74). Das Individuum muss aus- und abwählen. Dazu bedarf es Fähigkeiten, die weniger mit Wissen als vielmehr mit eigenen Stärken, mit Mut, Kritikfähigkeit, Vertrauen, Verantwortung etc. zu tun haben (vgl. Fuchs 2000, S. 80).
Gesellschaftliche Veränderungen werden aktuell insbesondere im Kontext des digitalen Wandels deutlich. Dies bekräftigt die Bedeutung, Notwendigkeit aber auch eine breite und offene Auffassung der Medienpädagogik. Bernd Schorb und Jürgen Hüther (2005) beschrieben sie, angelehnt an eine Rede des damaligen Bundespräsidenten Herzog (1998) als Lebenskompetenz. Dabei sind die theoretischen Fundamente der Medienpädagogik, die Kommunikations- und Erziehungswissenschaft zu berücksichtigen. Medienpädagogisches Denken ist innerhalb einer Medien- und Informationsgesellschaft in nahezu sämtlichen Lebensbereichen relevant. Heutzutage befinden sich Jugendliche in einem permanenten Balance-Akt zwischen on- und offline. Bisweilen ist gar die Trennung dieser beiden Bereiche unklar und ohne besondere Bedeutung für die Anwender*innen. Hier greift die Beschreibung einer voranschreitenden Post-Digitalität, in der vor allem Heranwachsende nicht mehr zwischen digital und analog, on- und offline unterscheiden, weil digitale Medien vollends in den Lebensalltag integriert und selbstverständlicher Bestandteil von Kommunikation und auch kulturellen Aktivitäten sind. Die heutige Wirklichkeit ist durch die Erfahrungen medialer Wahrnehmung und dabei insbesondere der Bildwahrnehmung geprägt. Kinder und Jugendliche haben eine dementsprechend andere Disposition zur Wahrnehmung von Welt. »Die sinnliche Erfahrung der ›Welt als Abbild‹ prägt die Wirklichkeitskonstruktion, so dass sich Bezugspunkte für eine Orientierung in der Realität auch aufgrund der Folien medialer Vorerfahrungen herausbilden.« (Röll 1998, S. 35) Die Ästhetisierung des Alltagserlebens zählt zu den Aufgaben und Herausforderungen einer kulturellen Modernisierung und wird insbesondere von Kindern und Jugendlichen forciert und praktiziert. »Je künstlicher ich mir die Welt mache und je künstlicher ich sie wahrnehme, umso mehr ist es eine von mir ›gemachte‹, und insofern dann ›meine Welt‹.« (Ziehe 1994, S. 21) Betrachtet man die schiere Bilderflut, die insbesondere über Soziale Medien geteilt wird, ist es unwahrscheinlich, dass Fotos im Sinne einer Kunst-Rezeption betrachtet und analysiert werden. Dennoch wollen die Fotograf*innen mit ihren Werken Aussagen treffen und haben sich im Zweifel überlegt, wie das Foto gestaltet sein soll. Wie jedoch kann die Bedeutung und aufgeladene Sinngebung eines Bildes auch heute gelingen? In einem studentischen Projekt an der TH Köln (Studiengang Soziale Arbeit) wurde mit Jugendlichen ein Projekt umgesetzt, in dem sie die Aufgabe hatten, »das Foto ihres Lebens« zu erstellen und zwar mit Hilfe einer selbst gebauten Lochkamera. Die intensive Auseinandersetzung mit eher historischen Herangehensweisen und Herausforderungen der Fotografie, führte im Verlauf auch zu einem veränderten Sehverhalten jener Bilder, die die Teilnehmenden von ihren Freund*innen in den Sozialen Netzwerken erhalten. Auch die intendierten Aussagen jener Bilder wurden im Anschluss eingehender reflektiert.
Eine von Bildern dominierte Welt, kann nur mit Hilfe ästhetischen Denkens dechiffriert werden. Ästhetisches Denken entwickelt sich, neben der nicht geringer zu schätzenden Schriftsprache, zu einer wichtigen Kompetenz. So wird offenbar, welche Bedeutung die Kultur- und Medienpädagogik für alltägliche Lebensbereiche hat. »Die Schulung der Wahrnehmung als Basisqualifikation ästhetischer Denkweise könnte dabei eine zentrale Rolle spielen.« (Röll 1998, S. 64) Wahrnehmungskompetenz ist eine wesentliche Fähigkeit für die angemessene Beurteilung von realer und medialer Wirklichkeit. Eine zeitgemäße Medienpädagogik ist daher untrennbar auch mit der Auseinandersetzung von Wahrnehmung, Semiotik, Ästhetik, Kunst und Kultur verbunden. Diese wiederum sind als Grundlagen seit langer Zeit Gegenstandbereiche der Kulturellen Bildung. Sie kennzeichnet sich durch sehr einbeziehende und grundsätzliche Ansätze. Zugleich ist sie innerhalb ihrer Handlungsfelder praxisnah und prozessorientiert. Im Ergebnis bedeutet Kulturelle Bildung die Fähigkeit zur erfolgreichen Teilhabe an kulturbezogener Kommunikation mit positiven Folgen für die gesellschaftliche Teilhabe insgesamt (vgl. Ermert 2009). Wirksamkeit, Entfaltung und Akzeptanz sind wichtige Elemente, um Menschen das Gefühl von Gestaltung, Einfluss, Partizipation sowie Mit- und Selbstbestimmung zu verleihen. So verdeutlichen sich die Nähe zwischen Kultureller Bildung, Sozialer Arbeit und Politischer Bildung.
Je nach speziellem Thema oder Methode erscheint es darüber hinaus sinnvoll weitere Disziplinen zu beachten und einzubeziehen. Die meisten bildlichen Ausdrucksformen sehen sich heute beispielsweise fast zwangsläufig mit einer Auseinandersetzung im Umgang mit Daten konfrontiert. Dies wiederrum schließt an die Themen Datensicherheit und »BigData« an. Eine normative, kreative und/oder pädagogische Auseinandersetzung führt auf diese Weise deduktiv von der Kulturellen Bildung, über die Medienpädagogik zu Fragen der Wissenschaft, Informatik, Ethik, Recht usw. hin zur Erstellung eines künstlerischen oder pädagogischen Prozesses oder Produktes. Dabei zeigt sich, dass auch die Medienpädagogik als zugleich allgemeine und spezielle Disziplin wiederum Impulse für die Kulturelle Bildung aufzeigt und bearbeitet. Die Facetten und Bereiche Kultureller Bildung stehen daher in einem Wechselwirkungsprozess zu einander. Dies wiederum wird z. B. dadurch deutlich, dass sich die Bereiche Spiel- und Medienpädagogik über das Medium des Computerspiels zunehmend verknüpfen. Für diese Symbiose ist es zunächst nicht zwangsläufig nötig eine übergeordnete Struktur zu definieren. Für das Durchdringen der Themen, der Hintergründe, der Ziele und der Methoden ist die Kulturelle Bildung als gemeinsame Basis jedoch empfehlenswert und bereichernd.
Kulturelles und pädagogisches Handeln wird bestimmt durch die Anforderungen der Gesellschaft (vgl. Spanhel 2011, S. 107). Dies geht mit der Haltung systemischen Denkens einher, in welcher Menschen stets in der Abhängigkeit ihrer jeweiligen sie umgebenden sozialen Systeme betrachtet werden. In diesem Zusammenhang wird gleichfalls deutlich, dass Menschen nicht nur sich selbst verändern können, sondern auch Einfluss auf die sozialen Systeme haben (vgl. König/Volmer 2016, S. 9). Bereits diese Grundlagen deuten darauf hin, wie komplex und vielschichtig die Themen geworden sind (oder schon immer waren), mit denen sich die Spiel- und Medienpädagogik befassen muss. Eine Medienpädagogik, die klient*innenorientiert agieren will, muss fachübergreifend denken, komplexe Zusammenhänge sehen und die darin für sie wesentlichen Dynamiken erkennen. Natürlich lässt sich dieser Gedanke auch umkehren und induktiv auffassen. Aus einer zunächst spontanen und naiven Idee entspinnt sich nicht selten ein Netzwerk an Professionen, Theorien und anderen zu berücksichtigenden Bereichen. Der ganzheitliche Gedanke beinhaltet auch die Chance sich selbst und seine Wirkungsmöglichkeiten als Teil des Ganzen wahrzunehmen und nicht als isoliert und unabhängig von anderen Belangen. Kulturelle Bildung und alle ihre Facetten können als eine Art Brennpunkt verstanden werden, vom dem aus vielzähligen Aktivitäten und Schnittstellen möglich sind.
Es ist nötig, sich einerseits einer Profession zu widmen und Expertise zu erlangen, andererseits den Blick für naheliegende Bereiche offen zu halten, diese zu berücksichtigen oder gar einzubeziehen. Dann, ggf. im Teamteaching, fachübergreifend zu denken, auch in dem Bewusstsein, nicht für alle Themenbereiche umfassende Kenntnisse zu besitzen und mit anderen zu kooperieren, die entsprechende Expertise mitbringen. Diese an sich recht einfache Logik, stellt sich in der Praxis teils herausfordernd dar. Die Bereitschaft über den »Tellerrand« zu blicken, die in einer zunehmend komplexeren, globalen und digitalen Welt unentbehrlich ist, bedeutet auch das Verlassen von Komfortzonen. Lehrende galten lange Zeit als Expert*innen für ihre jeweiligen Fachdisziplinen. Eingehend mit dem Wandel von der Gutenberg-Galaxie zur Internet-Galaxie (vgl. Geisler 2019, S. 13f.) stehen sie nun vor der Herausforderung, ihre Arbeit zunehmend als Coaches, Navigator*innen und Lehrbeleiter*innen zu verstehen (vgl. Röll 2003, S. 216ff.). Darin liegt jedoch in der Übergangsphase das Risiko einen Anteil der Berufsidentität aufzugeben. So wird der Lehrende zum Lernenden. Allerdings mit einem umso breiteren Verständnis über Zusammenhänge, Prozesse und Synergien.