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Einleitung Analytische Religionsphilosophie – eine Einordnung
ОглавлениеDie Religionsphilosophie hat in den letzten Jahrzehnten eine erstaunliche Renaissance erlebt. Diese Entwicklung verdankt sich nicht zuletzt der Prominenz, die dem Thema „Religion“ in der analytischen Philosophie eingeräumt wird. Analytisches Denken ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr zum universalen Medium des philosophischen Diskurses geworden. Dabei hat sich im Rahmen der analytischen Philosophie eine sehr lebendige, weit verzweigte religionsphilosophische Szene in der angelsächsischen Welt herausgebildet. Die analytische Religionsphilosophie nimmt mittlerweile sogar Einfluss auf die Selbstreflexion des christlichen Glaubens, so dass sich weitgehend unabhängig von konfessionellen Grenzen eine analytische Theologie herauszubilden beginnt. Angesichts der Forschungsschwerpunkte der letzten Jahre und der international vernetzten Diskussionen ist davon auszugehen, dass die Bedeutung der analytischen Philosophie für die rationale Deutung von Religion in den nächsten Jahrzehnten auch im deutschsprachigen Raum noch zunehmen wird.
Dass die analytische Tradition zum Medium der Religionsphilosophie werden würde, war eigentlich nicht vorauszusehen und ist in Anbetracht des weltanschaulichen Unterstroms, der diese philosophische Richtung bis heute prägt, nach wie vor überraschend. Denn die analytische Philosophie war von Anfang an um eine enge Anbindung an die empirischen Wissenschaften bemüht. Religion galt daher den meisten ihrer Vertreter als Paradigma für das „unsinnige“ metaphysische Denken (Carnap 1999, 187f.). Religion wurde in dieser frühen Phase der analytischen Philosophie, wenn überhaupt, in der Regel kritisch thematisiert. Auch die Rückkehr zum metaphysischen Realismus, die das analytische Denken seit den 1960er und 1970er Jahren vollzogen hat, änderte zunächst wenig an seiner weltanschaulichen Ausrichtung. Hilary Putnam, der die metaphysische Wende maßgeblich mit vorangetrieben hat, erklärt rückblickend, sein Weltverständnis habe sich damals an einem naturwissenschaftlichen Materialismus ausgerichtet, mit dem die Hoffnung einherging, es ließe sich so etwas wie eine einheitliche, auf der Physik beruhende Erklärung der Welt generieren. Diese Vorstellungen und Ziele sind Putnam zufolge nach wie vor für viele in der analytischen Tradition maßgeblich. Prima facie ist in einem solchen Ansatz für Religion kein Platz (Putnam 1992, 1f.; 2008, 3-6). Für die Etablierung einer starken Religionsphilosophie bedurfte es daher erheblicher Anstrengungen. Das Aufblühen der analytischen Religionsphilosophie vollzieht sich wohl nicht zufällig zeitgleich mit den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die die amerikanische Gesellschaft in den 1980er Jahren durchlaufen hat. Sie verdankt sich bewussten Bemühungen, die Religion im Bildungssystem wieder präsent zu machen (Plantinga 1984; Moreland/Craig 2003, 1-7). Warum wurde nun aber gerade die analytische Philosophie zum neuen Medium der religiösen Reflexion? Zwei Faktoren haben hier auf sehr unterschiedliche Weise eine Rolle gespielt:
(1) Ein erster Faktor, der diese Wahl gefördert hat, ist ein gemeinsames Anliegen, das analytische Philosophie und ihre religionsphilosophischen Rezipienten teilen. Die metaphysische Wende der analytischen Philosophie war eine Gegenbewegung zur starken Orientierung der frühen analytischen Philosophie an der Sprache. Die Sprachzentrierung schien mehr und mehr eine idealistische Weltsicht zu forcieren, bei der die Wirklichkeit hinter der Sprache zu versinken drohte. Mit dieser idealistischen Ausrichtung verband sich ein starker Zug zum Relativismus. Die Kausaltheorien der Referenz, die Saul Kripke und Hilary Putnam entwickelten, richteten sich gegen diese Entwicklung, die beide Denker, insbesondere was die physische Wirklichkeit betrifft, als kontraintuitiv empfanden. Eine klare Abgrenzung gegen relativistische Theorien, oft als „kontinentale Philosophie“ bezeichnet, gehört bis heute zum Common Sense der großen Mehrheit analytischer Philosophinnen und Philosophen. Eine ähnliche Schwierigkeit hatten offenbar manche Christen mit den theologischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts, die sich um eine kontextualisierte Lesart der traditionellen religiösen Erzählungen der Religion bemühten. Sie zielte darauf ab, zum Beispiel durch eine formgeschichtliche Einordnung biblischer Texte neue Interpretationsspielräume zu eröffnen. Auf diese Weise sollten Spannungen zwischen dem wörtlichen Verständnis der biblischen Texte und der modernen Weltauffassung vermieden werden. Die Texte wurden dann oft auf eine „theologische“ Aussage zurückgeführt, wobei der Begriff des „Theologischen“ sehr vage blieb und insbesondere der ontologische Status dieses „theologischen“ Gehaltes nicht immer klar wurde. Gegen diese Interpretationsansätze wurde der Einwand erhoben, die Inhalte der christlichen Tradition würden in einer unzulässigen Weise abstrahiert und relativiert (Inwagen 1995, 125-190). Religionsphilosophisch drückt sich diese Kritik in einer robusten Objektivierung des Gottesbegriffs aus. Gott kann dann als eine „Konstituente dieser Welt“ neben physischen Objekten zu stehen kommen (Alston 1996, 148). Auch sonst lässt sich innerhalb der analytischen Religionsphilosophie eine gewisse Neigung zur Betonung des Literalsinns religiöser Texte beobachten (vgl. Dummett 1993; Rea 2009, 127-317).
(2) Der zweite Faktor, der die Reflexion des Themas „Religion“ in der analytischen Philosophie in den letzten Jahrzehnten stark vorangetrieben hat, ist deren intensive Auseinandersetzung mit der naturalistischen (materialistischen, physikalistischen) Deutung der Wirklichkeit. Damit folgt die analytische Philosophie einem Grundzug moderner westlicher Weltauffassung. Die analytische Religionsphilosophie möchte für die Religion nicht einfach eine Nische neben der „harten“ physischen Wirklichkeit freihalten, sondern fordert selbstbewusst die Integration der religiösen Inhalte in das moderne Weltbild und damit zugleich einen festen Platz für die Religion im öffentlichen akademischen Raum. Dies führt zu einer gewissen Ambivalenz im Umgang mit der naturalistischen Grundausrichtung des analytischen Denkens. Einerseits muss die analytische Religionsphilosophie die Gleichsetzung des Wirklichen mit dem Physischen überwinden. Andererseits muss sie die religiöse Ontologie so gestalten, dass sie Anschluss an das naturwissenschaftlich geprägte philosophische Weltbild findet. Positiv gewendet heißt das aber auch, dass sich die Religionsphilosophie um einen Anschluss an die besten uns zur Verfügung stehenden Erklärungsmodelle der materiellen Welt bemüht (Swinburne, in diesem Band, S. 48).
Aus dieser Motivlage heraus erklärt sich auch das breite Themenfeld, das die analytische Religionsphilosophie heute prägt (Hasker, in diesem Band, S. 35). Zum einen arbeitet sie nach wie vor an jenen Fragestellungen, die traditionell unter der Bezeichnung der natürlichen Theologie zusammengefasst werden. Sie fragt nach rationalen Gründen für die Annahme der Existenz Gottes und bemüht sich um die Rekonstruktion der wesentlichen Eigenschaften, die dem Gottesbegriff zukommen müssen. Die Interpretation der göttlichen Attribute bestimmt maßgeblich den Lösungshorizont für die heftig umstrittene Frage einer Theodizee. Daneben hat sich ein weites Feld verschiedener Fragestellungen herausgebildet. So eröffnen die intensiven analytischen Debatten zur Körper-Geist-Problematik und zur Deutung des Begriffs von Personalität neue Möglichkeiten zur Interpretation der Vorstellung einer Auferstehung der Toten. Die christologische Zwei-Naturen-Lehre oder die Trinitätstheologie werden im Lichte neuer ontologischer Terminologien rekonstruiert. Weniger rezipiert werden hierzulande bislang zwei weitere Gebiete der analytischen Debatte, die Deutung der Pluralität der Religion und die Frage der religiösen Begründung von Ethik. Das Spektrum hat sich damit von der Religionsphilosophie hin zur analytischen Theologie erweitert.
Bei dem Ausgriff auf die traditionell der Theologie vorbehaltenen Fragen macht sich nicht selten die erwähnte Tendenz zu einer stärkeren wörtlichen Interpretation traditioneller christlicher Glaubensaussagen bemerkbar. Eine theologische Rezeption hierzulande wird manche Überlegung und Voraussetzung kritisch abwägen müssen. Bei den Fragestellungen, die an die philosophische Disziplin einer natürlichen Theologie anknüpfen, kommt hingegen ein eher vage gehaltener Gottesbegriff zum Zuge. Es wird sogar darüber diskutiert, ob die analytische Religionsphilosophie nicht in unzulässigem Maß theistische Positionen bevorzugt und damit die Vielfalt des Religiösen und auch der Gottesvorstellungen vernachlässigt (Hasker, in diesem Band, S. 25f.). Diese Kritik ist ein Hinweis darauf, dass die analytische Religionsphilosophie den Gottesbegriff nicht selbst durch philosophische Reflexion wie die klassische natürliche Theologie entwickelt, sondern auf einen Vorbegriff zurückgreift, von dem man aber zugleich hofft, dass er in einem interkonfessionellen und zum Teil auch interreligiösen Kontext anwendbar ist. Dieser Vorbegriff lässt sich dann vielleicht am ehesten als Äquivalent der Gottesrede deuten, wie sie die amerikanische Zivilreligion prägt.
Wenn sich die Themen zumindest auf den ersten Blick sehr traditionell ausnehmen, stellt sich die Frage, worin das grundlegend Neue besteht, das die analytische Tradition in die Religionsphilosophie einbringt. Hier lassen sich insbesondere drei Aspekte hervorheben:
(1) Vermutlich würden die meisten ihrer Vertreterinnen und Vertreter auf das neue argumentative Instrumentarium verweisen, das sie der modernen Logik und Wissenschaftstheorie entnehmen (Swinburne in diesem Band, S. 54). Das Formale der Darstellung mag in Bezug auf religiöse Aussagen abstrakt anmuten, ermöglicht aber ein hohes Maß an Klarheit und Präzision der Argumentation. Die formale Rekonstruktion religiöser Aussagen zielt darauf ab, den allgemeinen wissenschaftstheoretischen Standards der Rationalität zu genügen. In diesen Bemühungen wirkt wohl auch der Schock des alten empiristischen Sinnlosigkeitsvorwurfs gegenüber der religiösen Sprache nach.
(2) Hinter der neuen Darstellungsform steht aber auch eine neue geistesgeschichtliche Verortung der alten religionsphilosophischen Fragestellungen. Vielleicht besteht hierin sogar das eigentlich Innovative der analytischen Religionsphilosophie. Über Jahrhunderte wurde die philosophische Auseinandersetzung mit der Religion durch die Vorgaben der antiken Ontologien und ihrer christlichen Adaptionen geprägt. Die kontinentale Religionsphilosophie und Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts hat dieses Projekt neu formuliert, indem sie die kritischen Impulse aufgriff, die insbesondere von der deutschen Philosophie von Kant bis Heidegger ausgingen. Diese Einflüsse haben ein Klima entstehen lassen, das der Metaphysik enge Grenzen auferlegt. Die analytische Tradition betrachtet diese Selbstbeschränkungen der Religionsphilosophie als zu dogmatisch und die Argumente, die für die Grenzziehung verantwortlich sind, als nicht zwingend. Neben den wissenschaftsaffinen Tendenzen, die aus der frühen Phase des analytischen Denkens stammen, knüpft die analytische Religionsphilosophie an die reiche Tradition jener religionsphilosophischen Diskurse an, die in der angelsächsischen Welt des 18. Jahrhunderts blühten. Die religiösen Voreinstellungen, die dieser Philosophie unterlegt sind, lassen sich am leichtesten von den Spielarten des angelsächsischen Christentums jener Zeit erklären. Man bemüht sich in dieser Zeit, die dogmatischen Streitfragen, die die konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts provoziert hatten, auszuklammern und religiöse Aussagen stattdessen rational zu rekonstruieren. John Locke steigt in diesem Zeitraum zum anglikanischen Kirchenvater auf. Design-Argumente haben ihre Wurzeln in dieser Zeit ebenso wie die Methode der Wahrscheinlichkeitsabwägung. Die analytische Religionsphilosophie erschließt daher zum einen die Schätze einer Tradition, die aus kontinentaler Perspektive oft nur als Vorläufer für den kantischen Kritizismus wahrgenommen wurde. Zum anderen kündigt sich damit aber auch an, dass nicht nur die Philosophie, sondern auch die Theologie in Zukunft wohl ein stärker angelsächsisches Gepräge erhalten wird.
(3) Ein dritter innovativer Aspekt ist das Verständnis dessen, was eine rationale Begründung von religiösen Aussagen leisten können muss. Analytische Begründungsdiskurse bestehen im Wesentlichen aus dem Abwägen von evidences. Das Wort hat im Deutschen kein eindeutiges Äquivalent. Es werden damit in der Regel alle Informationen bezeichnet, die für die Beurteilung der Wahrheit einer Aussage von Bedeutung sind. Insofern entsprechen die evidences am ehesten unseren Gründen. Formuliert werden diese Gründe in Argumenten. Diese Gründe haben in den seltensten Fällen den Charakter demonstrativer Beweise. Statt einer Religionsbegründung more geometrico spielen in der angelsächsischen Tradition schon lange Wahrscheinlichkeitsargumente eine große Rolle. Ein klassisches Beispiel für diese Methode ist bereits Joseph Butlers Analogy of Religion von 1736. Dieses Vorgehen hat den Vorzug, dass es dem modernen wissenschaftstheoretischen Verständnis von Theorien und der Möglichkeit ihrer Weiterentwicklung entspricht. Die Bewertung der Wahrscheinlichkeit einzelner religiöser Weltdeutungskomponenten und ihr Abwägen gegenüber nichtreligiösen Alternativen nehmen einen breiten Raum in der gegenwärtigen Debatte ein.