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Die NS-Weltanschauung als Verbrämung von Instinkten
ОглавлениеUnstrittig ist somit der Sachverhalt, dass vor allem auf den Weltkrieg zurückzuführende Sentiments und Ideologien, nicht aber logische Denkfiguren die Nationalsozialisten leiteten. Dessen ungeachtet wäre es jedoch verkehrt, den Verknüpfungen des triebhaften, auf die Utopie einer Weltherrschaft ausgerichteten Handelns der Nationalsozialisten mit theoretisierenden Leitvorgaben und damit dieser gedanklichen Unterfütterung selbst eine untergeordnete Bedeutung zuzumessen. Im Gegenteil, eine Präsentation des facettenreichen politischen Denkens, wie sie diese Quellensammlung mit zum Teil bislang nicht veröffentlichten Texten versucht, scheint ein elementares Mittel zum Verständnis der NS-Zeit zu sein, Maßstäbe liefernd zu mancherlei Kontroversen; deutliche Akzente können in dem Streit zwischen „Intentionalisten“ und „Strukturalisten“ in der Frage gesetzt werden, ob NS-Politiker planenden Programmen gefolgt seien, und als ausweichende Schutzbehauptung weiter entlarvt wird die These, dass das Gros der Zeit- und Volksgenossen in Deutschland von der Judenvernichtung nichts gewusst habe.8 Deutlich wird die Relevanz des politischen Denkens allein schon aufgrund weiterer Überlegungen von Schwarz, die seine These von der intellektuellen Schwäche der Nationalsozialisten entscheidend ergänzen: Zwar sei der Nationalsozialismus „nie eine homogene Denkschule gewesen.“ Doch hätten sich „weltanschauliche Gruppen und Intellektuelle höchst unterschiedlicher Provenienzen und Zielsetzungen […] zeitweise im Lager Hitlers eingefunden oder doch die liberale Demokratie bekämpft: Völkische Ideologen; Kritiker der modernen Zivilisation; obrigkeitsstaatlich gesinnte Protestanten; Idealisten, die nach einer egalitär-sozialistischen Volksgemeinschaft verlangten; starke deutschnationale Kolonnen, deren oberster Glaubenswert Deutschland hieß; Kämpfer für eine deutsche Weltmachtstellung; Militaristen; bürgerliche und kleinbürgerliche Antiliberale, Anti-Sozialisten und Anti-Kommunisten.“
Diese Aufzählung verdeutlicht einen massiven Einsatz von Intellektuellen und belegt die fundamentale Bedeutung gerade des gedanklichen Unterbaus des NS-Staates: Das Ausleben von Instinkten und Gefühlen sowie deren intellektuelle Unterfütterung mit einer NS-Weltanschauung waren die zwei Seiten ein und derselben Medaille, oder anders ausgedrückt: Triebe mit Weltanschauungs-Steuerung hoben die Nationalsozialisten aus dem Kreis der „harmloseren“ Nur-Instinktmenschen heraus. Sie waren es, die den Größenwahn in einen Aktionismus umsetzten, dessen notorisch erfolgreiche Täter ungebremst ihre Menschheitsverbrechen betrieben, bis ihre Anführer sich 1945 im Führerbunker umbrachten. Die Täter im engeren Sinne waren vor allem in zweierlei Hinsicht auf vielfältige gedankliche Hilfen von außen angewiesen: Zum einen schöpften sie beim Aufbau ihrer politischen Leitvorstellungen inklusive Rasse-Raum-Programm umfassend aus gedanklichen Vorlagen von Denkern des 19. Jahrhunderts. Zum anderen ließen sie sich in ihrer „Kampfzeit“ wie in den Jahren der Hitler-Diktatur vielfach tragen von parallelen gedanklichen Erwartungen bürgerlicher Intellektueller mit entsprechenden Akklamationen.