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Kurze Belehrung über die Betrachtung.

Die Betrachtung oder das innerliche Gebet ist von dem mündlichen Gebete verschieden. Mündlich betet man, wenn man irgendein Gebet, z. B. das Vaterunser andächtig mit dem Munde spricht; man betet innerlich oder man betrachtet, wenn man über irgendeine Heilswahrheit nachdenkt und dabei fromme Anmutungen erweckt und gute Vorsätze faßt.

Die Betrachtung ist eines der besten Mittel, wodurch die Seele im Guten gestärkt und vor der Sünde bewahrt wird. Der heilige Alfons sagt: „Die Todsünde und die Betrachtung können nicht zusammen wohnen. Ein Sünder, der betrachtet, muß entweder die Sünde oder die Betrachtung aufgeben. Wie tief auch seine sündhafte Gewohnheit eingewurzelt sein mag, wenn er mit der Betrachtung fortfährt, wird er den Mut und die Kraft erlangen, mit seiner sündhaften Gewohnheit zu brechen.“ Die heilige Theresia verheißt allen die ewige Seligkeit, die täglich eine Viertelstunde ernstliche Betrachtung machen.

Glaube nicht, das sei zu schwer für dich. Der heilige Alfons gibt dir folgende Anweisung über die Betrachtung, die du leicht befolgen kannst.

Das betrachtende Gebet, sagt er, besteht aus drei Teilen, aus der Vorbereitung, der Erwägung und dem Schluß.

Die Vorbereitung umfaßt drei Uebungen: die Uebung des Glaubens an Gottes Gegenwart, die Uebung der Demut mit kurzer Erweckung von Reue und Leid, und die Bitte um Erleuchtung. Bete ungefähr wie folgt:

Mein Gott, ich glaube, daß du hier gegenwärtig bist; ich bete dich an aus dem Grunde meines Herzens.

Wegen meiner Sünden, o Herr, verdiene ich in der Hölle zu sein; o höchstes Gut, von ganzem Herzen tut es mir leid, daß ich dich beleidigt habe.

Mein Gott, aus Liebe zu Jesus und Maria erleuchte mich in dieser Betrachtung, damit sie mir heilsam werde.

Dann bete ein Ave Maria zur seligsten Jungfrau, damit sie dir Licht erflehe, und in gleicher Absicht ein Ehre sei dein Vater zu Ehren des heiligen Joseph, des heiligen Schutzengels, und deines Schutzpatrons. Diese Uebungen verrichte mit Aufmerksamkeit, aber kurz, und gehe bald zur Erwägung über.

Bei der Erwägung bediene dich für gewöhnlich eines Buches, worin die Heilswahrheiten behandelt werden.*) Lies langsam und aufmerksam die Betrachtung oder einen Teil davon. Fühlst du dich von einer Wahrheit besonders ergriffen, so magst du die Lesung unterbrechen. Der heilige Franz von Sales sagt, man solle es dabei wie die Bienen machen, die so lange auf einer Blume sitzen bleiben, als sie Honig darin finden, und dann erst auf eine andere fliegen. Denke über das Gelesene nach und frage dich:

Was ist da zu glauben? Warum? – Wie habe ich das bis jetzt getan? Reue über die Vergangenheit. – Was soll ich in Zukunft tun? Warum? Ist es geziemend? nützlich? vielleicht schwierig? Weshalb?

Du mußt dir aber wohl merken, daß die eigentliche Frucht der Betrachtung in drei Dingen bestehe, nämlich darin, daß du 1. fromme Anmutungen erweckest. 2. Gott um seine Gnaden bittest und 3. gute Vorsätze für die Zukunft fassest. Darin liegt der große Nutzen des betrachtenden Gebetes. Wenn du also eine Wahrheit erwogen hast und Gott zu deinem Herzen gesprochen hat, dann mußt auch du mit Gott sprechen.

1. Erwecke fromme Anmutungen, nämlich Akte des Glaubens, der Danksagung, der Demut, der Hoffnung; vor allem aber erwecke viele Akte der Liebe und der Neue. Nach dem heiligen Thomas verdienen wir durch jeden Liebesakt einen neuen Grad der himmlischen Glorie. Solche Akte kann man z. B. mit folgenden Worten erwecken: Mein Gott, ich liebe dich über alles. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich will in allem deinen Willen tun Ich freue mich, daß du unendlich glückselig bist usw. Um vollkommene Reue zu erwecken, genügt es, wenn du mit wahrer Ueberzeugung sagst: Es tut mir leid, daß ich dich, das höchste Gut, beleidigt habe.

2. Bitte Gott um seine Gnaden. Flehe zu ihm um Erleuchtung, Demut oder eine andere Tugend, um einen guten Tod und die ewige Seligkeit; vor allem aber um seine Liebe und die heilige Beharrlichkeit. Wenn deine Seele sich in großer Geistesdürre befindet, so begnüge dich, zu wiederholen: Mein Gott, hilf mir! Herr, erbarme dich meiner! Barmherzigkeit, mein Jesus! Wenn du auch nichts anderes tätest, so wäre deine Betrachtung doch ganz vortrefflich.

3. Fasse vor Schluß der Betrachtung einen besondern Vorsatz, z. B. eine Gelegenheit zur Sünde zu fliehen, eine Unannehmlichkeit von feiten eines andern zu ertragen, einen Fehler zu meiden u. dergl.

Diesen guten Vorsatz soll man so lange erneuern, bis man von einem Fehler frei ist oder sich eine Tugend angeeignet hat.

Zum Schlusse der Betrachtung mache folgende Akte: 1. danke Gott für die erhaltene Erleuchtung, 2. nimm dir vor, die gefaßten Vorsätze auch auszuführen, 3. bitte Gott, er wolle aus Liebe zu Jesus und Maria dir helfen, deine Vorsätze ins Werk zu setzen.

Empfiehl dann Gott die armen Seelen im Fegfeuer, die Sünder und alle deine Verwandten und Freunde; bete für sie ein Vaterunser und Ave Maria, und so beschließe die Betrachtung.

Der heilige Franz von Sales gibt noch folgenden Rat: die Seele muß, wenn sie die Betrachtung verläßt, einen geistigen Blumenstrauß mit sich nehmen, um den ganzen Tag dessen Wohlgeruch zu genießen; das heißt, sie muß den einen oder andern Gedanken (Schrifttext oder Ausspruch), der sie während der Betrachtung mehr zur Andacht gestimmt hat, sich einprägen, um sich dadurch tagsüber immer wieder anzueifern.

Führer zum Himmel. Gebet- und Belehrungsbuch für christliche Eheleute

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