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Begründung: Staatsbürgerschaft und Männlichkeit

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In dem obigen Entscheid des Bundesgerichts von 1923 wird noch etwas Weiteres deutlich. Zur Begründung, dass allein Männer Schweizer sind, wird auf «uraltes Gewohnheits- oder Gesetzesrecht» und auf einen «tief eingewurzelten Rechtszustand» verwiesen. In diesem althergebrachten Selbstverständnis hatte, so heisst es, «niemand eine derartige Änderung im Auge»18, dass dereinst mit dem Wort «Schweizer» auch die Frauen gemeint sein könnten und sie auf dieser Grundlage das Stimmrecht einfordern.

Ausdrücklicher lässt sich kaum sagen: Die Schweiz ist ein «Männerstaat»19 mit einem zutiefst männerbündischen Verständnis von Staat und Demokratie. Und dies ist nicht etwa ein feministischer Begriff, vielmehr eine Selbstzuschreibung. So wird auch explizit von «Männerstimmrecht»20 gesprochen. Ein Selbstverständnis, das nicht umsonst im Ursprungsmythos des Rütlischwurs als einem zentralen Element des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz jährlich neu aufgerufen und bekräftigt wird: In ihm konstituiert sich die Schweiz als ein Bund von wehrhaften Männern und verantwortungsvollen Familienvätern (auch wenn inzwischen an diesem Ritual auch Frauen teilnehmen dürfen).

Trotz aller Beteuerungen, der Begriff «Schweizer» sei neutral und stehe für alle, es bräuchte die unschönen Aufzählungen von Schweizern und Schweizerinnen nicht, zeigt gerade der Kampf ums (Frauen-)Stimmrecht: Mit dem Wort «Schweizer» waren nur die Männer gemeint. Mit der Folge, dass Schweizerinnen erst mit den Verfassungsänderungen 1971 politisch und ab 1988 auch zivilrechtlich gleich­berechtigt waren.

Hintergrund ist die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, wie sie sich im Zuge der Etablierung der bürgerlich hetero­patriarchalen Gesellschafts- und Geschlechterordnung herausbildet. Mit dieser Trennung ging eine Zuordnung von einerseits Beruf, Militär, Politik als ausschliesslich männlichen Bereichen und andererseits der Einschluss der Frauen in die Familie als weiblichem Bereich einher sowie die Auf- bzw. Abwertung dieser Bereiche.

Begründet wurde dies mit den natürlichen Geschlechterdifferenzen zwischen Männern und Frauen. In einem Dreischritt wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen natürlichen körperlichen Geschlechterdifferenzen, damit einhergehenden unterschiedlichen Fähigkeiten sowie der Zuordnung zu den unterschiedlichen Bereichen Beruf/Militär/Politik/Öffentlichkeit und Familie/Reproduktion/Privatheit. Entsprechend dieser Zuweisung ist der bürgerliche wehrhafte Mann für das urdemokratische Recht der Selbstgesetzgebung (Autonomie) befähigt, das heisst nur den Gesetzen zu gehorchen, denen er zugestimmt hat.21 Dabei wird zudem eine «Identität zwischen Soldat und Bürger»22 unterstellt. Die bürgerliche «wehrlose» Frau hingegen ist als Mutter und Ehefrau für die Sorge um Familie, Kinder und Ehemann zuständig; sie ist passiv, emotional und schutzbedürftig. All dies disqualifiziert sie für den beruflichen wie den politischen Bereich: Weiblichkeit wird mit Staatsbürgerschaft unvereinbar.23

Mit anderen Worten: Staatsbürgerschaft, Demokratie und die Ausübung des Stimmrechts sind konstitutiv mit Männlichkeit verbunden, mehr noch: Sie sind essentiell für die Herstellung und Selbstvergewisserung bürgerlicher Männlichkeit. Die Verweigerung des Stimmrechts ist aus Sicht der Männer folglich nur konsequent: Die Gewährung des Frauenstimmrechts und damit die Präsenz von Frauen im politischen Raum stellen eine Bedrohung sowohl männlicher Suprematie als auch einer der zentralsten Möglichkeiten der Re-Produktion von Männlichkeit dar.

50 Jahre Frauenstimmrecht

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