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50 Jahre Frauenstimmrecht = 50 Jahre Demokratie! Vorwort von Dr. Isabel Rohner und Irène Schäppi
Оглавление2021 feiert die Schweiz 50 Jahre Frauenstimmrecht. Das bedeutet 50 Jahre Demokratie! Man kann schliesslich nicht von einer wirklichen Demokratie sprechen, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht wählen darf. Und genau das war in der Schweiz der Fall – obwohl das Land so stolz ist auf seine direkte Demokratie, die in keinem anderen Land der Welt auf nationaler Ebene so weit geht wie hier und die in Form der Landsgemeinden bereits im Mittelalter ihren Anfang nahm. Aber sie galt nur für die Männer, und diese verwehrten bis 1971 ihren Müttern, Schwestern, Ehefrauen und Töchtern die politische Mitsprache.
Die Demokratie in der Schweiz, in der Männer und Frauen über das aktive und passive Wahlrecht verfügen, ist also noch sehr jung. Auch im internationalen Vergleich: Im US-Bundesstaat Wyoming waren die Frauen bereits 1870 wahlberechtigt, Neuseeland führte das Frauenwahlrecht 1893 ein und Finnland als erstes europäisches Land 1906. Deutschland und Österreich konnten 2018 das 100. Jubiläum des Frauenwahlrechts feiern. Auch Länder wie Sri Lanka (1931), Brasilien (1932), die Türkei (1934), Kuba (1934) und die Philippinen (1937), Usbekistan (1938) oder Syrien (1953) waren der Schweiz Jahrzehnte voraus.
Diese Sonderrolle der Schweiz wird rund um das 50. Jubiläum des Frauenstimmrechts besonders deutlich, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat ein grosser Teil der heute lebenden Schweizerinnen die Einführung des Frauenstimmrechts noch selber erlebt, hat vielleicht auch selber dafür gekämpft. Die jüngeren Schweizerinnen wiederum können ihre Mütter oder Tanten nach ihren Erfahrungen und Erinnerungen fragen, die jüngsten ihre Grossmütter. Und die Frauen in der Schweiz können ihre Väter oder Grossväter, ihre Onkel, vielleicht auch noch ihre Brüder darauf ansprechen, wie sie 1971 abgestimmt haben. Denn das Frauenstimmrecht wurde damals nur mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen: Ein Drittel der Männer, die damals zur Wahl gegangen sind, haben auch noch 1971 mit Nein gestimmt. Auch in unserer Verwandtschaft gehören einige dazu. Warum ist das 50. Jubiläum des Frauenstimmrechts in der Schweiz so wichtig?
— 50 Jahre Frauenstimmrecht sind ein Anlass, uns vor Augen zu führen, dass demokratische Rechte nichts Selbstverständliches sind.
— 50 Jahre Frauenstimmrecht sind ein Anlass, uns mit unserer Geschichte zu befassen: Obwohl das Frauenstimmrecht in der Schweiz erst 50 Jahre alt ist, ist seine Geschichte erschreckend unbekannt. Oder wussten Sie, dass die Genferin Marie Goegg-Pouchoulin das Frauenstimmrecht bereits 1868 öffentlich gefordert hat? Dass zahlreiche Frauen über Jahrzehnte dafür gekämpft haben, die Einführung selber jedoch nicht mehr erlebt haben? Dass 1971 unter den ersten elf Nationalrätinnen mit Tilo Frey auch die erste schwarze Frau in den Nationalrat gewählt wurde? Dass die letzte Einführung eines kantonalen Frauenstimmrechts gerade mal 30 Jahre zurückliegt und via Bundesgericht erstritten werden musste?
— 50 Jahre Frauenstimmrecht sind ein Anlass, genauer hinzusehen und zu fragen, wie es um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in allen Bereichen unseres Lebens steht – und was Frauenrechte für uns persönlich bedeuten.
— 50 Jahre Frauenstimmrecht sind ein Anlass, darüber zu sprechen, wie unsere Gesellschaft zukünftig aussehen soll und Handlungsbedarf zu benennen.
— 50 Jahre Frauenstimmrecht sind der Anlass für dieses Buch.
Wir – die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Isabel Rohner und die Journalistin Irène Schäppi – haben bekannte und einflussreiche Frauen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Öffentlichkeit gefragt, ob sie einen Beitrag für diesen Sammelband schreiben und sich – aus ihrer jeweiligen, ganz unterschiedlichen Perspektive – mit dem Frauenstimmrecht, mit der Geschichte unserer Demokratie, mit Gleichberechtigung und Machtverteilung auseinandersetzen möchten. Mit einigen Frauen haben wir uns auch zu Interviews getroffen.
So unterschiedlich die Persönlichkeiten, Interessen und Hintergründe der 25 Autorinnen und Gesprächspartnerinnen sind, so unterschiedlich sind auch die Schwerpunktsetzungen der Beiträge: Einige Texte nehmen Meilensteine unserer Geschichte in den Blick, andere legen ihren Fokus auf die gegenwärtige und zukünftige Situation von Frauen in Unternehmen, in der Politik oder in der Öffentlichkeit, zeigen konkreten Handlungsbedarf und geben alltagspraktische Tipps im Umgang mit Vorurteilen und Geschlechterklischees. Sie zeigen, wie wichtig und machtvoll Kooperationen über Parteigrenzen und Branchen hinweg sind, aktuell erneut bewiesen durch «Helvetia ruft!» und «CH2021». Einige Beiträge führen vor Augen, was sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten alles getan hat – und wie viel es immer noch zu tun gibt. Darüber hinaus – auch auf diese Vielfalt sind wir stolz! – enthält das Buch einen Comic und ein eigens für das 50. Frauenstimmrechts-Jubiläum geschriebenes und komponiertes Lied.
Die jüngste der 25 Beiträgerinnen ist zum Zeitpunkt der Drucklegung 18 Jahre alt, die älteste 87. Doch eigentlich sind es noch zwei Frauen mehr: Der Text von Adrienne Corboud Fumagalli ist nämlich ein Dialog mit ihrer Tochter Clelia Fumagalli – und für das Cover unseres Buches hat sich die erst 16-jährige Illustratorin Jelscha Ganter mit der Figur der Helvetia auseinandergesetzt. Allen Beiträgerinnen unseren herzlichsten Dank für ihr Engagement, ihre Zeit, ihre Kreativität, ihre Ideen und Gedanken! Gemeinsam machen wir deutlich, dass Frauenrechte alle angehen – unabhängig vom Alter, von der Ausbildung, von der Lebenssituation oder der politischen Ausrichtung.
Gemeinsam wollen wir die Leserinnen und Leser inspirieren, sich weiter für Gleichberechtigung und Frauenrechte einzusetzen. Und wir wollen gemeinsam für unsere junge Demokratie begeistern, denn diese ist nur so stark wie die Bürgerinnen und Bürger, die sich für sie engagieren.