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Ganz oder gar nicht – ein bisschen gleichberechtigt sein geht nicht Elisabeth Kopp, erste Bundesrätin der Schweiz, im Gespräch mit Isabel Rohner und Irène Schäppi

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Frau Kopp, 2021 feiern wir in der Schweiz 50 Jahre Frauenstimmrecht. Was bedeutet Ihnen das persönlich?

Es ist ein Jubiläum. Aber ich hätte das Frauenwahlrecht lieber 50 Jahre früher gehabt. Zumindest ist es 1971 gekommen. Das war sehr spät – aber das können wir jetzt nicht mehr ändern. Das ist unsere Geschichte, und wir müssen das Beste daraus machen.

Können Sie sich noch an die erste Abstimmung über das Frauenstimmrecht 1959 erinnern?

Oh ja. Ich war damals in einem der letzten Semester meines Jurastudiums an der Universität Zürich. In einer Pause haben wir in einer Gruppe von Studentinnen und Studenten über das Frauenstimmrecht und die anstehende Abstimmung diskutiert. Ich war natürlich dafür – und viele Männer dagegen, hauptsächlich einer. Ich erinnere mich noch genau, wie dieser junge Mann zu mir gesagt hat: «Also weisst du, Elisabeth, ich verstehe das überhaupt nicht, dass du dich so einsetzt für das Frauenstimmrecht. Du bist doch sonst eine ganz normale Frau.» Ich habe ihn angeschaut und geantwortet: «Ja, ich bin eine ganz normale Frau – und genau darum setze ich mich für das Frauenstimmrecht ein!» Das muss man sich mal vorstellen: So etwas kam von einem jungen Mann, der Jura und die Menschenrechte studierte – und der fand es abnormal, dass eine Frau sagt: «Wir wollen die gleichen Rechte wie Männer!» Meine Antwort ist ihm eingefahren. Gescheitert ist die Abstimmung 1959 trotzdem.

Wann haben Sie festgestellt, dass Frauen und Männer nicht dieselben Chancen und Möglichkeiten haben?

Ich wurde vom Feminismus schon als Teenager infiziert. Ich kann mich an zwei Begebenheiten erinnern: Einmal hat mich der Rektor meiner Schule in Bern ins Rektorat bestellt und mich gefragt, was ich eigentlich in einem Gymnasium verloren hätte: Ich würde doch nur einem Jungen den Platz wegnehmen und selber nicht für mehr als eine Eisrevue taugen. Eislaufen war damals meine grosse Leidenschaft. Ich war so wütend auf meinen Rektor. Wenn er gesagt hätte, ich würde jemandem den Platz wegnehmen, der – geschlechtsneutral! – mehr für die Schule arbeitet, dann O.K. Aber diese Argumentation war für mich damals schon nicht in Ordnung.

Dann haben Sie den Feminismus aber schon ganz schön früh entdeckt.

Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, hat mein Vater einmal in Muri, wo wir wohnten, einen Vortrag gehalten über irgendeine Finanzreform. Er war damals Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Ich habe ihn gefragt, ob ich mitkommen kann, und er meinte: «Du wirst zwar nichts davon verstehen, aber wenn du willst, kannst du mitkommen.» Da bin ich mit. Als ich in den Vortragsraum gekommen bin, war der Saal schon ziemlich voll. Ich habe mich in die hinterste Reihe in die Ecke gesetzt, so konnte ich den ganzen Raum sehen. Und mir ist aufgefallen, dass nur zwei weibliche Wesen anwesend waren: Ich und die Serviertochter. Da trat der Veranstaltungsleiter ans Podium und weil er mich hinten in der Ecke sitzen sah, begann er seine Rede mit «Meine Damen und Herren». Dabei habe ich vor mir nur so «beglatzte» Köpfe gesehen, die sich erst verwundert und dann zunehmend empört zu mir umsahen. Sie fragten sehr offen, was denn eine Frau hier drinnen verloren habe. Wieder zu Hause habe ich das meiner Mutter erzählt. Ihre Antwort: «Das ist halt, weil Frauen kein Stimmrecht haben. Darum gehen sie auch nicht an solche Veranstaltungen.» Ich weiss noch, wie ich zu meiner Mutter gesagt habe: «Aber das geht doch einfach nicht! Das muss man doch ändern.» Und meine Mutter hat geantwortet: «Ja, das wird sich auch einmal ändern irgendwann. Aber wahrscheinlich dauert es noch lange.»

Was hat diese Aussage in Ihnen ausgelöst?

Empörung! Ich war voller Empörung. Auch dass die Männer damals so irritiert waren und fragten, was ich denn in diesem Saal verloren hätte. Solche Momente gab es auch später immer wieder. Ich weiss noch, dass ich einmal als gewählte Gemeindepräsidentin44 – ich war damals in der Deutschschweiz die einzige Frau in dieser Funktion und dementsprechend viel in der Presse –, an einer Sitzung aller Gemeinden teilgenommen habe. Das Thema war das kommunale Abfallwesen. Ich bin in den Saal gekommen und habe mich auf einen freien Stuhl gesetzt. Da dreht sich mein Sitznachbar zu mir um und sagt: «Gut, dass Sie hier sind, Fräulein. Sie kommen, um das Protokoll zu schreiben, nicht wahr?» Erst wollte ich wütend werden und ihn fragen, ob er eigentlich keine Zeitung liest. Dann habe ich es aber anders gemacht und gesagt, dass ich sehr gern bereit bin, in der ersten Hälfte das Protokoll zu schreiben, wenn er es in der zweiten Hälfte übernimmt.

Und? Was war seine Reaktion?

Er wurde rot wie ein Granatapfel. Plötzlich war ihm klar, dass ich dieselbe Funktion und Stellung hatte wie er. Aber meine Reaktion war doch ziemlich elegant, oder? (lacht)

Was war Ihre Motivation, in die Politik zu gehen?

Zwei Jahre, bevor die Frauen auf Bundesebene das Stimmrecht bekamen, hatten sie in einigen Gemeinden ein Stimmrecht, wenn es um Gemeindeangelegenheiten ging. Als dies bei uns 1969 in Kraft trat, haben die Zumiker Frauen sofort geschnallt, was das für die anstehenden Gemeinderatswahlen im Ort bedeutet. Die Präsidentin des Frauenvereins kam auf mich zu und sagte mir, dass sie mich aufstellen wollten.

Und wie haben Sie darauf reagiert?

Ich war überrascht und habe um Bedenkzeit gebeten. Ich hatte zwar mein Studium mit einem Summa cum laude abgeschlossen – übrigens als erste Frau der Fakultät! –, aber ich hatte noch kein Anwaltsexamen. Das wollte ich damals machen. Und ich wollte diese Frage auch mit meinem Mann besprechen. Der schaute mich nur mit grossen Augen an und sagte: «Hör mal, du kannst dich doch nicht jahrelang fürs Frauenstimmrecht einsetzen und dann eine Kandidatur ablehnen, wenn du gefragt wirst!» Da hatte er natürlich recht – und so habe ich der Kandidatur zugestimmt und wurde 1970 in den Gemeinderat gewählt.

Und wie ging es weiter?

Drei Tage nach der Wahl war schon die konstituierende Sitzung. Dort wurden als erstes die Ressorts verteilt. Die Männer haben sich auf die Finanzen gestürzt und auf Hochbau. Für mich blieb «Gesundheit und Fürsorge» übrig. Mein erster Impuls war, das als typische Frauenthemen abzutun. Ich habe aber meine Meinung sehr schnell revidiert, denn zu meinen ersten Aufgaben gehörte auch die Planung und die Baubegleitung von einem Schwimmbad in Zumikon. Nach dem Willen des Gemeinderats sollte es ein Hallenbad werden, bei dem eventuell später mal ein Freibad angegliedert werden konnte. Aus meiner Sicht war das Blödsinn. Was sollten denn die Frauen mit kleinen Kindern im Sommer machen? Da nutzte doch ein Hallenbad gar nichts. Und irgendwann einmal vielleicht ein Freibad – das hielt ich für reine Aufschieberei. Ich wollte alles gleichzeitig bauen. Dem Gemeinderat passte das nicht, aber sie liessen sich auf eine Abstimmung in der Gemeindeversammlung ein – und diese Abstimmung habe ich haushoch gewonnen. Für mich ist das ein Beispiel, das ich auch bei Vorträgen oft erwähne, denn es zeigt: Frauen setzen in der Politik oft andere Prioritäten, weil sie Auswirkungen auf Frauen und Kinder stärker im Blick haben. Darum ist es so wichtig, dass Frauen und Männer gleichermassen in der Politik vertreten sind.

War das nicht eine absurde Situation, gewählte Gemeinderätin zu sein mit Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten – und gleichzeitig formal nicht dieselben Rechte wie ein Mann zu haben?

Absolut. Es war ein grosses Ärgernis.

Warum hat es so lange gedauert, das zu ändern?

Damals hiess es in der Verfassung: Jeder Bürger ist vor dem Gesetz gleich. In der Praxis hiess das: Die Männer konnten abstimmen und wählen, aber die Frauen nicht. Es war eine kleine Gruppe, ich war auch dabei, die der Meinung war, dass der Sinn dieses Passus sei: Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich – nicht spezifisch Männer oder Frauen. Aber die Auslegung war Gewohnheitsrecht – und um das Gewohnheitsrecht zu ändern, muss man die Verfassung ändern. Dazu braucht es eine Mehrheit der Kantone und eine Mehrheit der Stimmberechtigten, und das war ein dickes Brett.

Können Sie sich noch an den 7. Februar 1971 erinnern, als die Männer tatsächlich Ja gesagt haben zum Frauenwahlrecht?

Natürlich. Ich war damals im Vorstand der Frauenzentrale, und wir Frauen haben es gross gefeiert.

Haben Sie damit gerechnet, dass das Stimmrecht 1971 durchkommt?

Mehr gehofft, als damit gerechnet. Mir war klar: Der politische Druck war hoch, und ewig konnten sie es nicht verklemmen. Die Männer machten sich und die Schweiz ja lächerlich. Darum war ich auch sehr froh, als es angenommen wurde – ich wollte nicht, dass sich die Schweiz weiter lächerlich macht. Im Vorfeld der Wahl war ich fast jeden Abend unterwegs, habe Vorträge gehalten, an Diskussionsrunden teilgenommen. Und so wie mir ging es vielen engagierten Frauen. Umso grösser war die Freude, als wir es endlich geschafft hatten.

Wann haben Sie sich entschieden, sich parteipolitisch zu engagieren?

Das kam erst viel später. Als Gemeinderätin war ich noch in keiner Partei. Die FDP kam irgendwann auf mich zu, weil sie mich für den Erziehungsrat des Kantons Zürich aufstellen wollten.45 Auch dort war ich die erste und einzige Frau. Das war in Gremien immer mein Schicksal, im Gemeinderat, später als Gemeindepräsidentin und dann im Bundesrat. Ich hätte viel dafür gegeben, nicht immer die Erste und Einzige sein zu müssen, sondern noch zwei, drei Kolleginnen zu haben.

Wir sind sehr froh, dass Sie es gemacht haben!

Danke! Solche Rückmeldungen sind auch heute noch echte Highlights für mich.

Auf uns haben Sie schon als Kinder bzw. junge Frauen immer sehr «perfekt» gewirkt.

Ich würde es nicht so ausdrücken. Ich wollte einfach in jeder Beziehung so gut sein, dass niemand sagen kann: Die Frauen können das nicht. Das war mein Ziel und mein Ehrgeiz – und übrigens auch mein erster Gedanke, als ich damals bei der Bundesratswahl nach vorne gegangen bin, um die Wahl anzunehmen. Ich wollte den Frauen den Weg ebnen – womöglich auch in jeder Beziehung.

Ist das nicht eine grosse Bürde?

Doch natürlich. Es war eine riesige Bürde und ein grosser Druck. Auch für meinen Mann war das nicht lustig, aber er hat mich immer unterstützt. Als ich das erste Mal in den Nationalrat gewählt wurde, gab er mir zur Feier ein kleines Schächtelchen. Es war ein unscheinbares Ding, nicht schön eingepackt – ich dachte: Gut, dass es kein Schmuck ist. Ich habe es aufgemacht, es lag ein ganz normaler Schlüssel drin. Ich war etwas ratlos und mein Mann sagte: «Weisst du, ich kenne dich gut genug. Du kannst tagelang arbeiten, aber du musst irgendwo zu Hause sein. Darum habe ich dir in Bern eine Wohnung gekauft.» Da dachte ich, jetzt kenne ich diesen Mann schon so lange und immer noch gelingt es ihm, mich zu verblüffen. Ich war wahnsinnig froh. Unter den männlichen Politikern löste es aber oft Unverständnis aus, dass ich eine eigene Wohnung hatte. Lustigerweise wurde ich oft gefragt, was denn mein Mann dazu sagen würde.

Als Sie im Nationalrat waren, gab es ja auch noch andere Frauen. Wie war Ihr Verhältnis? Hatten Sie ein gutes Netzwerk miteinander?

Netzwerk klingt zu formell. Aber im Rahmen des Möglichen haben wir uns unterstützt. Weil eben Frauen oft in der Politik andere Prioritäten setzen. Und weil wir eine Minderheit waren, die zusammenhalten musste.

Sie sind als erste Bundesrätin in einen männlichen Bundesrat gewählt worden. Sie waren die erste Frau im Gemeinderat. Wie waren denn allgemein die Reaktionen der Herren in diesen Gremien auf Sie? Haben Sie sich persönlich gut verstanden?

Ach, oberflächlich war es «Küsschen, Küsschen». Aber eigentlich haben sie mich als Störfaktor empfunden. Die Kollegen im Bundesrat waren masslos eifersüchtig auf mich, weil ich mehr Medienpräsenz hatte. Das hatte nichts mit meiner Qualität zu tun. Ich war einfach ein Novum. Für die Journalisten war es interessanter zu beschreiben, wenn Frau Kopp mit einem neuen Kleid ankam oder ihre Haare geschnitten hatte, als wenn die ihre Glatzköpfe poliert hatten. (lacht)

In einem Interview haben Sie einmal erzählt, dass Sie immer froh waren, wenn bei Bundesratssitzungen die Pausen vorbei waren, weil Sie dann wieder inhaltlich arbeiten konnten.

Die Männer haben in den Pausen über nichts anders als über Fussball geredet, davon habe ich nichts verstanden. Hätten sie wenigstens über Eiskunstlauf gesprochen! (lacht) Man kann sich ja für Sport begeistern, aber ich fand es primitiv, dass man bei einer Bundesratssitzung nicht noch über andere Themen reden konnte als über Fussball. Da bin ich manchmal in den Pausen sogar in mein Arbeitszimmer gegangen und habe in der Zeit weitergearbeitet. Viele Jahre nach meiner Zeit als Bundesrätin habe ich einen Dokumentarfilm über diese Zeit gesehen. Darin haben meine Kollegen nach meiner Wahl gesagt: «Wir werden Frau Kopp rückhaltlos unterstützen». Rückhaltlos! Also ohne Rückhalt. Unmissverständlicher wäre gewesen: Vorbehaltlos.

Das kann man so verstehen. Die Sprache verrät viel.

Dazu fällt mir noch etwas ein: Bei der ersten Bundesratssitzung nach meiner Wahl kam die schwierige Frage auf, wie man mich jetzt anreden solle. Damals nannte man die Ehefrauen der Bundesräte «Frau Bundesrat». Da war für mich klar, dass ich nicht so genannt werden wollte. Ich habe nichts gegen diese Frauen, die haben eine wichtige Aufgabe, aber ich hatte eine andere Funktion und ein Amt. Ich sagte also: «Ich will mit Frau Bundesrätin angesprochen werden.» Als ich das meinem Mann erzählt habe, sagte er: «Du weisst, dass ich für Gleichberechtigung bin. Darum nenne ich mich von jetzt an Herr Bundesrätin.» Leider hat sich das in der Öffentlichkeit nicht durchgesetzt. (lacht)

Und wie war die Zusammenarbeit bei den Themen, die Ihnen immer wichtig waren: Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen?

Auch hier gab es dicke Bretter. Ein Beispiel, bei dem ich mit meinen Forderungen gescheitert bin, ist die Revision der AHV Mitte der 1980er. Ich hatte die Vorlage gründlich durchgeschaut, aber das wichtigste Frauenanliegen war wieder nicht drin, nämlich, dass Betreuungszeiten gutgeschrieben wurden. Ich habe gekämpft wie eine Löwin, aber im Bundesrat wurde es mit allen gegen meine Stimme abgelehnt. Das war das erste Mal, dass ich aufgestanden und mit Tränen in den Augen gegangen bin. Ich konnte es nicht verstehen: Das war so eine Geringschätzung der Leistungen, die Frauen erbringen.

Aber Sie hatten auch grosse Erfolge.

Mein allergrösster Kampf war für das neue Eherecht, das 1988 in Kraft trat. Das war die wichtigste Vorlage, die ich durchgebracht habe. Damals war ich jeden Tag unterwegs: Vom Genfersee bis zum Bodensee, vom Tessin bis in den Jura, um für dieses neue Eherecht zu werben. Wissen Sie, wenn man irgendeine Vorlage hat zum Beispiel zum Landwirtschaftsrecht und die wird abgelehnt, dann bringt man sie halt später wieder, vielleicht ein bisschen geändert. Das können Sie bei der Gleichberechtigung nicht! Frauen können nicht ein bisschen gleichberechtigt sein. Es geht nur ganz oder gar nicht.

Was unterschied das neue vom alten Eherecht?

Bis dahin war der Mann das alleinige Oberhaupt der Familie und Vormund der Ehefrau in finanziellen Angelegenheiten. Er konnte den Wohnort der Familie festlegen, er konnte entscheiden, ob seine Frau berufstätig sein durfte oder nicht. Das Gesetz schrieb auch die Rollenverteilung der Ehegatten vor. Das alles wollten wir im Sinn der in der Verfassung seit 1981 verankerten Gleichberechtigung von Männern und Frauen ändern.

Insbesondere die SVP war gegen das neue Eherecht. Im Internet kann man sich dazu heute noch erschreckende Interviews mit Christoph Blocher anschauen.

Damals hatte die SVP ein Plakat an jeder Säule: Ein Ehepaar im Bett und in der Mitte der Richter. Das brauchte gar keinen Text. Es war klar, was gemeint ist. Am Wahltag gab es dann aber eine klare Mehrheit für das neue Eherecht. Bei der Pressekonferenz habe ich meiner Freude und Genugtuung darüber Ausdruck verliehen. Dann fiel mir ein, dass ein Bundesrat am Ende auch immer noch etwas Nettes zu den Gegnern sagen muss. Aber was sollte ich denen denn Nettes sagen? Da habe ich gesagt, dass die, die dagegen waren, schon merken werden, dass es in der Praxis gar nicht so viel ändern wird. Wenn der Herr Blocher im Ehebett neben sich schauen würde, würde immer noch seine Silvia neben ihm liegen und nicht der Richter. (lacht)

Schlagfertig!

Ja. Das war ein Blitzeinfall, live übertragen in alle Haushalte.

Wie aber sind Sie mit der Bürde umgegangen, keine Fehler machen zu dürfen, da alle Augen – die der Kollegen, aber auch die der Öffentlichkeit – auf Sie gerichtet waren?

Mit einem eisernen Willen. Auch auf Äusserlichkeiten musste ich stark achten, viel stärker als die Männer. Ich musste darauf achten, dass ich anständig angezogen war. Ich bin auch ab und zu zum Friseur. Da stand dann gern mal auf der Titelseite einer Zeitschrift: «Frau Kopp mit neuer Frisur!» Da habe ich über die Prioritätensetzung der Medien schon oft den Kopf geschüttelt. Und natürlich war es furchtbar anstrengend, immer unter Beobachtung zu stehen.

Sie durften keine Schwäche zeigen?

Niemals. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel dazu: Seit meiner Kindheit leide ich an Migräne. Das sind Schmerzen, dagegen ist eine Geburt gar nichts. Für mich kam gar nicht in Frage, deswegen mal eine Sitzung abzusagen. Es hätte sofort geheissen: «Wir haben doch immer gesagt, die Frauen können das nicht, die sind ja immer krank!» Wenn einer meiner Kollegen eine Grippe hatte, dann ist er halt auch bei einer Bundesratssitzung einfach zu Hause geblieben. Ich habe mich sogar einmal mit einer schweren Migräne in den Ständerat gequält. Das war einer meiner schlimmsten Tage überhaupt. Im Rückblick muss man vielleicht sagen, dass ich mich auch fälschlicherweise so unter Druck gesetzt habe. Denn natürlich darf auch eine Frau einmal krank sein. Aber alles, was ich getan habe, wurde stärker beäugt und härter bewertet. Das ging bis zur Geschichte um meinen Rücktritt. Heute weiss man, dass die Vorwürfe damals falsch waren. Die Öffentlichkeit hat sich aber darauf gestürzt, wie es bei einem Mann nie passiert wäre.

Haben Sie das Gefühl, dass die Bürde, die auf Spitzenpolitikerinnen liegt, inzwischen geringer geworden ist?

Politikerinnen heute sind schon weniger exponiert. Es ist nicht mehr so etwas Aussergewöhnliches. Das war bei mir schon noch etwas anders. Ich war alleine, die Erste und Einzige – und zwar überall. Und entsprechend exponiert.

Woher haben Sie die Kraft genommen?

Ich hatte viel Erfolg. Das Eherecht wäre ohne mich kaum durchgekommen, das haben mir viele gesagt. Und das war ein ganz wichtiges Gesetz. Es war für mich auch sehr schön zu sehen, wie viel Freude die Leute hatten, wenn ich an Anlässen teilgenommen habe. Das war wärmer als eine Bettflasche, dieses Gefühl. Es gab auch Solidarität mit mir, aber weniger auf dem politischen Gebiet. Dort waren wir auch unterschiedliche Parteien. Aber ausserhalb schon.

Hat sich der Bundesrat durch Sie verändert?

Heute könnte es sich kein Bundesrat mehr leisten, keine Frau dabei zu haben. Das ist inzwischen selbstverständlich, es ist «a must» geworden. Sollte ein Vakuum entstehen und nur ein Mann aufgestellt werden, käme eine andere Partei und würde sofort eine Frau aufstellen. Und die würde auch gewählt. Das habe ich zusammen mit meinen Nachfolgerinnen erreicht – und das ist sehr wichtig.

Sie sind für viele Politikerinnen ein Vorbild, hatten oder haben Sie selber auch Vorbilder?

Nein, in der Schweiz gab es ja keine Frauen in der Politik. Die englische Politikerin Barbara Castle46 aber sagte mal einen guten Spruch, an den ich in meinem Leben oft denken musste: «Wenn eine Frau erfolgreich sein will, muss sie aussehen wie ein Mädchen, sich benehmen wie eine Dame, denken wie Mann und schuften wie ein Pferd.»

Wie stehen Sie zum Thema Emotionalität in der Politik? Gibt es hier Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Ich habe viele Männer gesehen, die in politischen Debatten sehr emotional reagiert haben. Vielleicht ist auch hier einfach die Wahrnehmung von Emotion bei Frauen stärker, weil sie in der Minderheit sind. Gäbe es mehr Frauen, würde sich auch das verbessern.

Welchen Vorurteilen sind Sie begegnet?

Als ich mich für die Einführung obligatorischer Katalysatoren eingesetzt habe, hiess es oft: «Was versteht denn die gute Frau überhaupt von Automotoren?» Ich bin damit sehr bewusst umgegangen, war zum Beispiel vier Tage im Autotechnikum in Biel und habe mich umfassend briefen lassen. Und ich habe mich mit einem Ingenieur kurzgeschlossen, der schadstoffarme Motoren entwickelt hat. Ausgerüstet mit dieser Kenntnis konnte ich zurückschlagen und habe mich bei Veranstaltungen der Automobilimporteure, in denen sie gegen mich Stimmung machen wollten, demonstrativ in die erste Reihe gesetzt. Am Ende habe ich es sogar geschafft, dass bei einer europäischen Konferenz auch die anderen Staaten einem Obligatorium zugestimmt haben.

Die Schweiz war also Vorreiterin bei der sauberen Luft – und auf dem drittletzten Platz in Europa beim Frauenwahlrecht.47 Wo sehen Sie in Sachen Gleichberechtigung noch Handlungsbedarf?

Wir haben die Gleichberechtigung, aber wir haben noch keine Lohngleichheit. Sie kennen doch bestimmt das «Fair Trade»-Label, für Produkte ohne Kinderarbeit. Mein Vorschlag ist ein «Equal Pay-Label». Hätte ich eine Firma, würde ich gleiche Löhne zahlen – und damit aktiv werben. Und als Kundin würde ich darauf achten.

Die Idee ist innovativ.

Ich habe das schon 2014 vorgeschlagen. Aber bisher blieb die Idee komplett echolos. Equal pay und flexible Arbeitszeiten machen Unternehmen ja auch attraktiv.

Wie schaffen wir es denn, zukünftig mehr Frauen für aktive Politik zu motivieren?

Das Problem ist immer, dass Frauen, wenn sie eine Familie und einen Beruf haben, kaum mehr Zeit haben. Wenn sie sich zwischen Beruf und Politik entscheiden müssen, nehmen die meisten den Beruf. Sie verdienen dort mehr, und es ist auch nicht so risikobehaftet wie die Politik. Wenn man sieht, wie gewisse Politikerinnen auch angegriffen werden, habe ich für die Zurückhaltung sogar ein gewisses Verständnis. Aber bei Diskussionen mit Frauen sage ich immer: «Genau deshalb müsst ihr mitmachen! Damit sich etwas ändert.»

Was raten Sie jungen Frauen?

Man kann in der Politik viel bewirken, und es ist einen Versuch wert. Wenn es ihnen dann nicht gefällt oder sie enttäuscht sind, können sie ja wieder aufhören. Aber probieren sollte man es einmal. Und es ist eine ungeheuer schöne Genugtuung, wenn man sagen kann: Das wäre nicht gekommen oder viel später, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. In meinem Fall zum Beispiel das neue Eherecht oder die Katalysatoren. Das macht Freude und macht auch ein wenig stolz. Da denke ich schon: Der Einsatz hat sich gelohnt!

Anmerkungen

44 Kopp wurde 1974 mit 80 Prozent der Stimmen zur ersten Gemeindepräsidentin der Deutschschweiz gewählt. Sie hatte dieses Amt bis 1984 inne.

45 Kopp war von 1972 bis 1979 das erste weibliche Mitglied im Erziehungsrat des Kantons Zürich.

46 Barbara Castle (1910–2002) war eine britische Politikerin der Labour Party. Sie war die erste Frau im Amt des «First Secretary of State».

47 Nur Portugal (1974) und Liechtenstein (1984) brauchten noch länger, bis sie das Frauenstimmrecht einführten. In Portugal hatten Frauen mit hoher Bildung zwar bereits seit 1931 ein gewisses Wahlrecht, ohne Einschränkungen waren die volljährigen Bürgerinnen Portugals jedoch erst ab 1974 wahlberechtigt.

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