Читать книгу (Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti - Группа авторов - Страница 18
Onettis Santa María. Von der Seeflotte zur Allerweltstadt. Zur universalhistorischen Lesbarkeit eines fiktiven Kosmos
ОглавлениеEva Erdmann (München)
En la obra de construir la vivienda revela el hombre su prosapia.
A. Carpentier, Los Pasos Perdidos, Kap. XVI
An der Art, wie er sein Haus baut, offenbart der Mensch seine Abstammung.
A. Carpentier, Die verlorenen Spuren, Kap. XVI
Das Werk von Juan Carlos Onetti will bis heute nicht in einer sukzessiven Lektüre und es will auch nicht in einem einzigen Durchgang gelesen werden, und das, obwohl die inzwischen vorliegenden Gesamtausgaben dies posthum auf vorzügliche Weise ermöglichen. Seine Literatur sträubt sich gegen eine allzu fokussiert monographische Perspektive, wie sie sich wehrt gegen eine allzu ausschließliche, gar hagiographische Vereinnahmung durch den Leser. Über die Eitelkeiten des Literaturbetriebs hatte Juan Carlos Onetti lakonisch gespottet und sich in einer paratextuellen Auslegung des eigenen Werkes zurückgehalten.
Die bevorzugte Form des Autors aus Montevideo ist, seit seinen frühen Publikationen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, der cuento. Neben wenigen längeren Erzählungen bleibt La vida breve sein einziger ausführlicher Roman, nach dessen Experiment er – 1950 erschienen – zu der kurzen Form und Verdichtung in novelas cortas zurückkehrt und bei ihr bleiben wird. In der heute möglichen Betrachtung des Gesamtwerks ist es von Vorteil, diese Absage an eine konstant sich erweiternd ausufernde Werkgeschichte nicht außer Acht zu lassen, um nicht zu vernachlässigen, dass es monolithische Einzelstücke sind, die dem Leser vorgelegt wurden, und dass Juan Carlos Onetti die Spiel- und Gattungs-Räume der Literatur des 20. Jahrhunderts und der ästhetischen Moderne zwar kannte, sie jedoch auf eine nur implizit poetisierende Weise nutzte. Kaum ist es eine expandierende Entwicklung, die sich in seiner écriture über die Jahrzehnte seiner Autorschaft zeigen würde, als vielmehr eine ansteigende Verschachtelung von Komplexitäten, rhetorischen Mitteln, literarhistorischen Intertextualitäten oder symbolischen Semantiken in wohl proportionierten und übersichtlichen, hermetischen Prosa-Teilen, die den Leser zunehmend verwirrt zurücklassen mögen.
Offen bleiben soll an dieser Stelle eine Spekulation über die zu erwägende Begründung der sichtbaren Bevorzugung der verdichteten literarischen Verkürzung, ob diese stilistisch oder biographisch motiviert war, oder ob sie sich den narrativen Stoffen, die erzählt werden wollten, zunehmend angemessen zeigte, und der Autor daher keinen Anlass sah, Alternativen zur kurzen Form zu wählen. Auch in ihren differenzierten Zusammenstellungen in nachträglichen, jeweils neu die Erzähltexte sortierenden und selektierenden Editionen bleiben die cuentos und Prosa-Stücke aus fünf Jahrzehnten, die Juan Carlos Onetti hinterlassen hat, narrativ isoliert lesbar und unverbunden. Eine Kontinuität in der mutwilligen Unübersichtlichkeit durch die Zerstreuung und Verweigerung der Totalität eines Gesamtwerkes garantieren für den zeitgenössischen wie für den heutigen Leser wiederkehrende Figuren1 wie Díaz Grey, Jorge Malabia oder Brausen. Mit jedem weiteren cuento werden die Protagonisten als bekannt vorausgesetzt und machen den Leser zum Vertrauten des Autors und zum Komplizen im Geiste, der die Verbindungen einer offenen fiktionalen Welt selbständig herstellen muss. Darüber hinaus stiftet, noch mehr als es die Figuren vermögen, die Gegend der Schauplätze eine Lese-Erinnerung und ein Wiedererkennen, zumindest das eines Namens: Santa María.