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II.

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Doch nun zum eigentlichen Gegenstand der Untersuchung: Der Titel De dedicationum literariarum moralitate, den man mit Über die moralische Rechtfertigung gelehrter Dedikationsschreiben paraphrasieren könnte, weckt eine konkrete Lesererwartung. Es werden wohl die üblichen1 Verdikte angesprochen werden, wonach eine Widmung2 die eitle Ruhmsucht des Geehrten bediene und vom Autor derselben lediglich im Vorgriff auf eine erwartete Belohnung verfasst werde. Zugleich dürfte der Verfasser des Thesendruckes, der ja selbst dem Kreise der potenziellen Widmungsschreiber angehört, Rechtfertigungsgründe für die geläufige Praxis vortragen, worunter die Bemühung um Schutz des Werkes vor behördlichen Angriffen, die Notwendigkeit karrierefördernder Protektion durch einen hochgestellten Gönner und natürlich der – nunmehr berechtigte – Wunsch nach materieller Gegenleistung seitens der notorisch finanzschwachen Literaten zu zählen sind. Alle diese Lesererwartungen werden erfüllt, wie sich in einem summarischen Inhaltsreferat des klar gegliederten Textes zeigen lässt. Eine integrale Analyse der Publikation in ihrer Struktur und Materialität führt freilich über die bloße Dokumentation der zeitgenössischen Argumente für und wider das Dedizieren hinaus: Der Thesendruck erweist sich als aufschlussreiches Dokument des akademischen Selbstverständigungsdiskurses in der Zeit der frühen Aufklärung. Dies ist am besten mittels einer Untersuchung zu zeigen, die sich an der Abfolge der textuellen beziehungsweise paratextuellen Elemente orientiert. Die sieben klar voneinander getrennten Teile des Druckes werden in acht Schritten nacheinander behandelt, wobei die Abschnitte 5 und 6 sich bestimmten Aspekten des Hauptteils zuwenden.

1. Das Titelblatt3 weist dem Thema eine Behandlung in Form des akademischen Streitgesprächs zu. Von dem Respondenten Johannes Breu heißt es hier, er werde an der ehrwürdigen Universität „solenniter disputare“. Der Präses und wahrscheinliche Verfasser der 17 Paragrafen,4 die auf dreißig Seiten entfaltet werden, ist durch seine Würde als Dekan ausgezeichnet; in dieser Position wird er nicht für einen belanglosen Gegenstand verantwortlich zeichnen. Elias Silberrad (1687 bis 1731), seit 1710 Professor an der Straßburger Universität – damals noch für Moralphilosophie, später für Theologie –, war keiner der bedeutendsten Gelehrten am Ort, aber ein fleißiger Verfasser von Thesendrucken. Er hatte 1712 und 1714 bereits zwei Disputationen De eruditorum invidia und 1713 eine über die Moralitas graduum academicorum abgehalten,5 besaß also offenbar eine Affinität zum Thema der Gelehrtenkritik, die allerdings, wie wir sehen werden, im Jahrzehnt zwischen 1710 und 1720 überhaupt eine auffällige Konjunktur erlebte.6 Der unserem Thesendruck thematisch nächstverwandte Text, eine Abhandlung des Torgauer Konrektors Daniel Friedrich Jan mit dem Titel De fatis dedicationum librorum, die interessanter Weise im selben Jahr 1718 im weit entfernten Wittenberg publiziert wurde, war anscheinend nicht Gegenstand einer institutionalisierten Debatte. Auch beschränkte sich Jan auf eine enzyklopädische Zusammenstellung aller greifbaren Fakten und Dokumente zum Dedikationswesen, während unser Text, wie sich zeigen wird, deutlich eine Debatte in utramque partem vorstrukturiert. Außerdem wird durch die Formulierung „De moralitate“ im Titel bereits auf eine pragmatische, konkret eine moralphilosophische beziehungsweise verhaltensethische Zweckbestimmung der Disputation hingewiesen, während Jan unter dem Rubrum „De fatis“ eher die gelehrtengeschichtliche Komponente des Gegenstandes im Rahmen der historia litteraria („Litterärgeschichte“) betont.7

2. Die Widmungstafel auf der Rückseite des Titelblattes bietet gleich ein authentisches Beispiel für das im Folgenden diskutierte Dedikationswesen. Man darf erwarten, dass nach der Ansicht von Präses und Respondent diese Widmung ein positives, also legitimes Muster der Textsorte ist. Der Respondent richtet sich an zwei Gönner, verdiente Bürger der ehemaligen Reichsstadt8 Straßburg, beide in diversen Ämtern für das Gemeinwesen tätig: Anton Eberhard Bock von Bläsheim und Gerstheim gehörte einer elsässischen Adelsfamilie an und firmiert hier als Mitglied des „Rats der Dreizehn“, zugleich aber auch als „praetor“, wie der höchste, vom französischen König als Kontrollorgan eingesetzte Beamte der Stadt bezeichnet wird. Der Jurist Philipp Caspar Leitersperger (1670 bis 1735) erscheint auf der Widmungstafel als Angehöriger des „Rats der Fünfzehn“.9 Die beiden Männer haben den neunzehnjährigen Kandidaten Johannes Breu (1699 bis 1766), den wir später als Pfarrer an unterschiedlichen Kirchen wiederfinden,10 offenkundig in seinen Studien unterstützt, beide werden als „patroni“ bezeichnet, der eine obendrein als „Maecenas“, der andere gar als „zweiter Vater“. Vor allem durch den Verweis auf die Wohltaten, die ihm und den Seinen zuteil geworden seien („infinitis in se suosque beneficiis“), wird nahegelegt, dass die Förderung wohl eine materielle war. Die Widmungstafel suggeriert eine harmonische Verbindung von städtischem Patriziat und akademischer Welt, eine Verbindung, die hier vorläufig auf einer klaren Trennung von „oben“ und „unten“ – der Name des Respondenten ist in winzigen Lettern an den unteren Rand der Seite gerückt –, von „Geben“ und „Nehmen“ basierte: Die „beneficia“ der Patrone konnte der jugendliche Respondent nur durch die triadisch als „obsequium“, „reverentia“ und „pietas“ formulierte Beflissenheit vergelten. Ausführliche, oft mehrseitige Widmungstafeln scheinen übrigens für die Verhältnisse in Straßburg besonders typisch zu sein. So enthält eine Sequenz von vier im Jahre 1748 unter Johann Philipp Beyckert abgehaltenen Disputationen insgesamt neun Seiten mit sechzehn namentlich aufgeführten (sowie zahlreichen weiteren, gruppenweise angesprochenen) Widmungsempfängern.11 Aber auch sonst waren Widmungstexte gerade in Thesendrucken häufig auf mäzenatische Förderung ausgerichtet und konnten, wie eine Studie von Michael Philipp zeigt, geradezu als „Bewerbungsschreiben“ eingesetzt werden.12

3. Das vier Seiten umfassende Prooemium13 verortet die Thesensammlung im Kontext der zeitgenössischen Gelehrtenkritik, soweit sie von den Gelehrten selbst artikuliert und als Korrektiv standesspezifischen Fehlverhaltens eingesetzt wurde. Der (selbst)kritische Diskurs, der mit der Negativfigur des „Scharlatans“ einen Passepartout für die unterschiedlichsten Aberrationen bereithält, ist in den vergangenen Jahren gut erforscht worden. Die jüngste Publikation zum Thema formuliert den Versuch einer allgemeinen Zweckbestimmung des kritischen Verfahrens, das – so viel sei vorweggenommen – neben Formen des eigentlichen Betruges auch Sonderfälle wie eben das maßlose Dedizieren oder umgekehrt das Einfordern von Dedikationen ins Visier nimmt:

Es ist zu vermuten, dass die erhöhte diskursive Produktion von Negativfiguren eine Strategie zur Harmonisierung der [sc. gelehrten] Kommunikation durch die Etablierung eines konsensfähigen Exklusions- und Relegationsparadigmas darstellt, die auf die Restitution unsicher gewordener Identität und Legitimität abzielt. Aus diesem Grund, so die hier vertretene These, wurde die Figur des gelehrten Scharlatans zu einer prominenten Figur in der Übergangsphase von Gelehrsamkeit zu Wissenschaft von der Mitte des 17. bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, der eine wichtige Rolle in der Ausbildung und Durchsetzung fachlicher und ethischer Leitbilder zukam.14

Die neueste Forschung beruft sich auf eine knappe, aber gehaltvolle Studie von Marian Füssel, der darauf hingewiesen hat, dass der quantitative Schwerpunkt diesbezüglicher Publikationen ins Jahrzehnt zwischen 1710 und 1720 fällt, also genau in die Dekade, in der auch unser Text entstanden ist.15 Eine historisch eindeutige Erklärung für die Kulmination gelehrtenkritischer Schriften gerade in dieser Zeitspanne ist schwer zu geben, man kann „sowohl die pietistisch-theologischen wie die rationalistisch-sozialen Strömungen“16 der Zeit als Ursache sehen, „die gewachsene Öffentlichkeitswirksamkeit der Gelehrtenkultur“17 zu Beginn des 18. Jahrhunderts verantwortlich machen oder in der Verfolgung des Absonderlichen einen Reflex des „in der kameralistischen Wirtschaftstheorie formulierten Ziel[s] staatlicher Prosperität“ erkennen.18 Für den Zweck der vorliegenden Studie stellt sich die Situation etwas einfacher dar, weil wir uns einzig dem Spezialfall der Dedikationen zuwenden und uns auf die besonderen Umstände der Widmungspraktiken konzentrieren können.19 Auch Elias Silberrad beruft sich in seinem Proömium freilich auf die wenige Jahre zuvor erschienenen einflussreichsten Schriften zum Gesamtthema der gelehrten Scharlatanerie, Michael Lilienthals Abhandlung De Machiavellismo literario von 1713 und Johann Burckhardt Menckes zwei Reden De Charlataneria eruditorum von 1715, die bald unter dem Titel Von der Charlatanerie oder Marcktschreyerey der Gelehrten ins Deutsche übersetzt wurden.20 Beide Schriften stellen für Silberrad wichtige Referenztexte dar, die Argumente und vielfach auch die zum Beleg für die Gelehrtenlaster herangezogenen exempla werden markiert oder unmarkiert übernommen – der Plagiatsbegriff war zu dieser Zeit weniger streng als in den Zeiten des Urheberrechts und einer emphatischen Betonung des „geistigen Eigentums“. Silberrad geht von der fatalen und eigentlich, wie er meint, unbegreiflichen Neigung gerade der Gelehrten zu allerlei standestypischen Negativeigenschaften wie Pedantismus, Streitlust, Geldgier, Schreib- und Ruhmsucht aus und schließt die These an, dass der „dedicandi mos“, der Brauch, Bücher mit Widmungen zu versehen, den zuvor genannten Fehlentwicklungen innerhalb der Gelehrtenrepublik Vorschub leiste („vitiis non parum inserviat“).21 Er wolle einige der unlauteren Motive der Widmungsschreiber bekannt machen, aber – so die wichtige Wendung am Schluss der Vorrede – zugleich belegen, dass der Brauch als solcher keineswegs verwerflich sei („dedicandi morem, abusum si tollas, haud spernendum esse evincimus“).22 Damit wird bereits angedeutet, dass es Silberrad nicht in erster Linie um eine Polemik gegen groteske Auswüchse am Rande der Gelehrtenwelt zu tun ist, sondern dass er vielmehr, indem er legitime und verwerfliche Motive kontrastiv gegenüberstellt, regulierend auf bestimmte Praktiken innerhalb der respublica litteraria einwirken will. Um den Zusammenhalt unter den Gelehrten nicht zu gefährden, suggeriert er außerdem, dass es sich bei den geschilderten Verstößen gegen das decorum der Gelehrten um bedauerliche Einzelfälle („abusus“) handele.23

4. Die Disposition der Thesenschrift wird durch Randglossen gut verdeutlicht, weshalb diese zunächst in Form eines Inhaltsverzeichnisses präsentiert werden sollen:

[PROOEMIUM] S. 1
[De MORALITATE DEDICATIONUM LITERARIARUM] S. 5
<§1> Nomen et origo Dedicatt. [Dedicationum] S. 5
<§2> VITIA DEDICATIONUM S. 7
1. Vanae gloriae studium S. 7
<§3> Signa ex quibus cognoscitur S. 8
<§4> 2. Pecuniae Aucupium24 S. 9
<§5> Effectus Avaritiae S. 12
1. Animi Ingratitudo S. 12
<§6> 2. Ludibrium aliorum S. 13
<§7> Vindiciae pro quibusdam dedicantibus S. 14
<§8> Dedicatio Sociniani Catech<ismi> S. 16
<§9> VIRTUTES DEDICANTIUM S. 17
1. Pietas S. 17
<§10> 2. Animi Gratitudo S. 18
<§11> 3. Animi veneratio, per quaesit<um> libri ded<icati> patrocin<ium> S. 20
<§12> VIRTUTES PATRON<ORUM> CIRCA DEDIC<ATIONES> S. 22
<§13> VITIA EORUM QVOS DEDIC<ATIONIBUS> COMPELL<AMUS> S. 24
<§14> CAUTELAE PRUDENTIAM CIRCA DEDICATIONES FORMANTES S. 27
I. S. 27
<§15> II. S. 28
<§16> III. S. 28
<§17> IV. S. 30

Diese Gliederung ist dem Tenor des Proömiums entsprechend auf Ausgewogenheit bedacht. In chiastischer Anordnung folgen vier Hauptkapitel aufeinander: Behandelt werden die „vitia dedicationum“, die „virtutes dedicantium“, die „virtutes patronorum circa dedicationes“ und die „vitia eorum quos dedicationibus compellamus“. Der Text nimmt also zunächst die Produzenten der Widmungsschreiben in den Blick, tadelt Ruhmsucht und Geldgier und lobt lautere Motive wie die Dankbarkeit gegenüber den Gönnern. Der Blick auf die Gönner beschreibt in umgekehrter Folge zunächst deren lobenswerte Aspekte wie die vielerorts zu beobachtende Liebe der Fürsten zur Gelehrsamkeit, bevor zum Schluss einige negative exempla adeliger Bildungsfeindlichkeit präsentiert werden. Bei der quantitativen Aufteilung der Abschnitte fällt zunächst auf, dass den Widmungsschreibern dreimal so viel Raum zugewiesen wird wie den Widmungsempfängern, womit Silberrad dem vorherrschenden Aspekt der akademischen Selbstverständigung Rechnung trägt. Deutlich wird das gerade auch im Abschnitt über die Bildungsfeindlichkeit der Adligen, deren Grund zumindest teilweise ebenfalls im Fehlverhalten der Gelehrten verortet wird. Es gebe für diese misslichen Umstände eine doppelte Ursache, nämlich

excrescens nimium scriptitantium multitudo, ostia Principum impudentius quandoque pulsans, et sinistra de studiis, Principum animos occupans opinio; postquam aures praebere ceperunt quibusdam male feriatis et, literas quippe ignorantibus, literarum bonarum contemtoribus, infra dignitatem Principis esse disciplinis applicare animum blaterantibus; et indecorum esse illustres animas onerare studiis, iis relinquendis, qui non vitae sed scholae nati; Imperatorem non literas sed arma debere nosse; defectum doctrinae ministros in consilium adhibitos supplere posse, garrientibus.25

Für die Publikationsschwemme des beginnenden 18. Jahrhunderts war in der Tat die „Schreibsucht“ der Gelehrten selbst verantwortlich zu machen, während die falschen Einflüsterungen auf das Konto jener Höflinge gingen, die den seit dem 16. Jahrhundert propagierten Paradigmenwechsel hin zur profunden Adelsbildung offenbar nicht mitgemacht hatten. Indirekt wird hier ein Schulterschluss von Universität und Hof gefordert, mit dem Ziel, dem Fürsten jenes Maß an gelehrter Bildung zuteil werden zu lassen, dessen er für eine gute Amtsführung bedarf – und von dem letztlich auch eine angemessene Würdigung des Gelehrtenstandes zu erhoffen ist. Angesichts der klar geäußerten Intention einer Kritik verfehlten Verhaltens mag es des Weiteren überraschen, dass die „Fehler der Widmungsschreiber“ im Grunde nicht ausführlicher behandelt werden als die „Tugenden der Widmungsschreiber“, denn der auf Seite vierzehn beginnende Passus über die Rechtfertigungsgründe bildet eigentlich bereits einen Übergang und die Episode über die provozierend gemeinte Widmung des sozinianischen Katechismus an die lutherische Universität Wittenberg26 erzählt von einem Sonderfall. Deutlich wird an den beiden zentralen Vorwürfen, die man vielen Widmungsschreibern machen kann – Ruhmsucht und Geldgier,27 die Anknüpfung an die Schriften von Mencke, Lilienthal und anderen, von denen es im Proömium hieß: „Qui omnes id strenue agunt, ut larva detracta, inanes pudendasque <doxophilias> et <philargyrias> eruditorum artes omnium oculis conspiciendas sistant.“28

Während die Abschnitte über die gelehrten Widmungsschreiber klar normativ organisiert sind, haben die Ausführungen über die Widmungsempfänger eher deskriptiv-anekdotischen Charakter, allerdings werden auch hier Forderungen wie die nach einer höheren Bildung des Adels formuliert. Etwas ungewöhnlich präsentiert sich schließlich der letzte Teil des Thesendruckes: An der Stelle der eine dissertatio häufig abschließenden corollaria, ergänzender Thesen mit lockerem Bezug zum Hauptteil, findet sich ein Abschnitt mit vier cautelae, praxisbezogenen Ratschlägen, auf die später eingegangen werden soll. – Einen Hinweis verdient noch der bereits als Überleitungspassus benannte Paragraf „Vindiciae pro quibusdam dedicantibus“.29 Hier bemerkt man nicht nur den apologetischen Ton, sondern auch eine Art von Scham angesichts des Umstandes, dass die notorisch geldknappen Gelehrten sich ihre Widmungen zuweilen bezahlen lassen müssen. Wenn es als besonderer Fall herausgestellt und mit Zitaten belegt wird, dass manche Autoren „ut familiam alant, mercede a mercatoribus invitati libros scribunt“,30 erscheint der Gedanke an den „Verkauf“ einer Buchwidmung besonders fragwürdig. Silberrad belegt die prekäre finanzielle Situation der gelehrten Autoren mit den denkbar unverdächtigsten Zeugnissen: Eingerahmt von bekräftigenden Sentenzen aus der Antike präsentiert er mehrere Dokumente, in denen er „unicum Erasmi patria Roterodami exemplum“31 als Gewähr für die Ausweglosigkeit einer Gelehrtenexistenz vorführt. Die einschlägigen Zitate aus Erasmus’ Briefen und sonstigen Schriften werden in den Fußnoten minuziös nachgewiesen, so als wollte Silberrad diese heikelste Frage gelehrter Selbstpositionierung ausschließlich mit der unangreifbaren Autorität des Erasmus, doch mit umso zuverlässigeren Belegen, beantworten. Tatsächlich stößt der nachschlagende Leser in dieser Dokumentation auf ein bewegendes Zeugnis aus der Feder des großen Humanisten, die sorgfältige apologetische Auflistung seiner Widmungen und der Absichten, die er mit diesen verfolgt oder nicht verfolgt hat.32

5. Im Folgenden soll die These, wonach die Disputation auf eine Selbstverständigung der Gelehrten abzielt, an drei Beispielen belegt werden, die auf Aspekte der Textualität beziehungsweise Materialität gegründet sind. Vorab sei darauf hingewiesen, dass Silberrads dissertatio ebenso wie vergleichbare Schriften – beispielsweise Jans De fatis dedicationum librorum – kompilatorischen Charakter hat, weshalb die spezifische Nutzung bestimmter Überlieferungsbausteine durch Vergleich recht anschaulich dargestellt werden kann. Hingegen ist eine genaue Rekonstruktion des Weges, den die Quellen jeweils genommen haben, nicht möglich, da Silberrad und seine Kollegen keineswegs nur die bekannten Abhandlungen von Lilienthal und Mencke ausschlachteten und außerdem immer damit gerechnet werden muss, dass sie auch die Originaldokumente – etwa zeitgenössische Gelehrtenbriefsammlungen – konsultierten. Nachweise in den Fußnoten können, müssen aber nicht Anhaltspunkte für den Rückgriff der Autoren auf die ursprünglichen Quellen sein.33

(a) Im Kapitel über die angebliche Geldgier der Widmungsschreiber wird die in vielen gelehrtenkritischen Schriften tradierte Episode von dem französischen Humanisten François Hotman und dem kurpfälzischen Rat Justus Reuber erzählt.34 Die offenbar zwischen beiden vereinbarte Zahlung einer Geldsumme für die Dedikation eines der Werke Hotmans an Reuber kam nicht zustande, weil dem Rat der Preis letztlich zu hoch war. Quelle für die Anekdote ist – unter anderem – die gedruckte Korrespondenz Hotmans,35 auf die die Autoren zuweilen explizit verweisen. Allerdings wird die Geschichte und zugleich ihre Kommentierung nicht selten auch auf anderem Wege überliefert. Die Passage bei Silberrad sei hier vollständig zitiert:

Fr. Hottomannum fatis melioribus dignum virum rogaverat Just. Reuberus, ut sui mentionem publice injiceret, seque, quod risu sane dignum, elogio quodam dignaretur; is ergo simplicitatem hanc et inane gloriae studium, in suos convertendum usus existimans, quas venales habuit laudes, in dedicatione Observationum ad ipsum facienda, ea cum conditione Reubero addixit, si centum Joachimicos praemij loco solvere promitteret. Verum noluit Reuberus tanti emere laudum suarum, quarum alioquin erat appetentissimus cantilenas. Eundem animi characterem in F. Hottomanno etiam notavit A. TEISSIER. Consil. et Historiogr. Pruss. inter alia haec quoque de ipso observans: On voit aussi dans ces lettres qu’il faisoit un negoce de ses Epîtres Dedicatoires, comme plusieurs autres Auteurs, et qu’il cherchoit par tout des Mecenas à qui il put offrir utilement ses livres; qu’il sollicitoit ceux qui étoient auprès des Princes à luy procurer des recompenses considerables, et que lors qu’elles ne repondoient à son atente, il s’en plaignoit et revenoit à la charge. Il paroit par sa lettre 164. qu’il avoit voulu dedier son livre des observations à Reuberus Chancelier du Palatinat, pourveu que Reuberus luy fit présent de cent écus d’or. Mais qu’il luy avoit fait connoître que bien qu’il estimat beaucoup ses louanges, l’état de ses afaires ne luy permettoit pas de les achepter à un si haut prix. Cependant Reuberus luy envoya ensuite trois doubles Ducats d’Arragon pour ses Etrennes. Voyez la lettre 194.36

Silberrad erzählt die Geschichte im Grunde zweimal, zunächst im – nicht markierten – Rückgriff auf Lilienthal, der die Anekdote als Beispiel für Menschen anführt, „qui non nisi aliorum Panegyricis volunt inclarescere“,37 und im Kontext seiner Ausführungen Hotman nicht angreift, ja sein Handeln in der Affäre überhaupt nicht erwähnt.38 Demzufolge wird auch in dieser ersten Erzählung nicht Hotman Gegenstand der Kritik, sondern Reuber, der ja von sich aus in lächerlicher Weise („quod risu sane dignum“) Hotman um die Widmung angegangen sei. Diesem sei dann praktisch nichts anderes übrig geblieben, als die Ruhmsucht des Rates zum eigenen Nutzen zu verwenden („inane gloriae studium, in suos convertendum usus existimans“). Dass Reuber die Widmung letztlich wegen des zu hohen Preises ablehnte, wird dann ziemlich unverhüllt als Geiz bewertet. Scheinbar zur bloßen Illustration des Vorgangs zitiert Silberrad danach aus einer dedikationenkritischen Quelle,39 die die Episode ebenfalls berichtet, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Demnach sei das Angebot von Hotman ausgegangen, der „faisoit un negoce de ses Epîtres Dedicatoires“ und „cherchoit par tout des Mecenas à qui il put offrir utilement ses livres“. Reuber hingegen habe sich großzügig gezeigt, indem er zwar den hohen Preis aus nachvollziehbaren Gründen nicht zahlte, aber dem Anbieter umsonst ein kleineres Geldgeschenk überreichte. Mit dieser gelehrtenkritischen Alternativversion untergräbt Silberrad eigentlich die Position des eigenen Standes. Es war ihm offenbar wichtiger, verschiedene Perspektiven auf einen heiklen Vorgang zu eröffnen, wozu er sich der Technik des repetitiven Erzählens bediente. Dies scheint eine Besonderheit in der Verwertungsgeschichte dieses „Falles“ zu sein. Auch Jan, der der Anekdote einen ganzen Paragrafen widmet und ebenfalls beide Akteure kritisiert, verfährt anders, indem er zwar mehrere Quellen auswertet und einen ganz neuen Akzent einbringt – nämlich den Anspruch der Buchhändler, an den Dedikationen mitzuverdienen –, die Geschichte selbst aber nur einmal erzählt.40

(b) Wenige Seiten später referiert Silberrad allerlei satirische Schriften, die sich über die Geldgier der Widmungsschreiber mokieren. Wie nicht anders zu erwarten, wird hierunter auch Antoine Furetières Roman bourgeois von 1666 aufgeführt, welcher bekanntlich eine „Somme dédicatoire“ mit ironischen Anweisungen für das möglichst einträgliche Verfassen von Widmungsschriften (genau genommen deren fiktives Inhaltsverzeichnis) sowie ein parodistisches Muster eines Dedikationsschreibens enthielt, nämlich die Widmung eines Werkes an den Henker von Paris.41 Als Begründung für dieses parodistische Vorgehen führt er an,

id non alio factum ab ipsis [Furetière und Scarron, der eine ähnliche Parodie verfasste] fine est, quam ut in scriptores quosdam misellos, adulatoriis suis dedicationibus Magnatibus subinde molestos, eosque hoc pacto, utut conatu saepius irrito, nummis emungere sperantes, calamum liberius stringere, eosque risui exponere possent. Digni profecto quos omnes rideant, imo digni quibus omnes indignentur, qui tam turpiter literas prostituunt, invidiamque universo ordini literario apud alios perversis moribus suis contrahunt.42

Silberrad unterstellt also dem Autor Furetière, er habe seine Satire aus keinem anderen Grunde („non alio […] fine“) verfasst, als um jene Schreiberlinge zu verspotten, die mit ihren Schmeicheleien die Großen der Welt belästigten. Seine Invektive gegen diejenigen, „qui tam turpiter literas prostituunt“, fällt ungewöhnlich scharf aus. Die Formulierungen „perversis moribus“ und „ordini literario“ zeigen deutlich, dass das Standesethos der Gelehrten hier über die verständlichen Interessen der Widmungsschreiber gestellt wird. Der in der Realität akzeptierte Tauschcharakter der Dedikation wird erst recht abgelehnt, wenn Silberrad sogleich einen Beleg für die angemessene Rache der angeblich mit solchen Anerbietungen belästigten Adressaten hinzufügt: Papst Leo X. habe einem Autor, der ihm sein Buch über die Goldmacherkunst gewidmet habe, als Gegengabe boshafter Weise einen Sack geschickt, in dem dieser das mit seiner Kunst zu verfertigende Gold aufbewahren könne.43 Nachdem Silberrad auf diese Weise die Gepflogenheit des Dedizierens mit hämischen Worten geschmäht hat, ruft er sich freilich selbst zur Ordnung:

Absit vero omnes, qui, ut munera obtineant sua aliis scripta dedicant, in eadem collocemus classe, vel facti turpis accusemus. Injurij sane ratione hac in eos essemus, quos sors qua vivunt iniqua, ad hoc vel invitos compellit.44

Genau diese Ansicht, dass nämlich keineswegs alle diejenigen, die für Geld Widmungen verfassten, aus niedrigen Beweggründen handelten, dass vielmehr die materielle Not der Autoren durchaus als probater Rechtfertigungsgrund zu akzeptieren sei, vertrat ja auch der von Silberrad als Gewährsmann für die Gelehrtenkritik herangezogene Furetière. Auch wenn Silberrad, wie man vermuten kann, nicht den ganzen Roman, sondern nur das fiktive Widmungsschreiben gelesen hatte,45 hätte er gerade hieraus die doppelte Stoßrichtung der Kritik – gegen Widmungsschreiber und Mäzene – entnehmen müssen und den Verfasser nicht explizit auf eine einzige Absicht festlegen dürfen. So heißt es bei Furetière in einer ganz ironiefreien Passage: „[…] l’injustice du siecle est si grande que beaucoup d’illustres, abandonnez de leurs Mecenas, languissent de faim, et, ne pouvant supporter leur mépris et la pauvreté, ils sont reduits au desespoir.“46 Eine objektive Wiedergabe von Furetières Text lag freilich nicht in Silberrads Interesse. Vielmehr bedient er sich rhetorisch geschickt der häufig zitierten Anekdote von der parodistischen Widmung an den Henker, um zunächst, auf diese Autorität gestützt, eine kritische und spöttische Haltung gegenüber den Widmungsschreibern zu provozieren. Umso überraschender kommt einige Zeilen später dann die revocatio („Absit vero“), die den Leser womöglich auf sein eigenes Vorurteil hinweist. Silberrad bedient sich hier, was die Leserlenkung angeht, gegenüber der Hotman-Reuber-Episode eines umgekehrten Verfahrens: Er lässt eine empathische, identitätsstiftende Argumentation erst folgen, nachdem er zuvor in gezielt einseitigem Rekurs auf Furetière – und damit in provokanter Weise – ein finsteres Bild des geldgierigen Autors gezeichnet hat. Wiederum bleibt es den Lesern beziehungsweise den Teilnehmern und Zuhörern der Disputation überlassen, sich aufgrund eigener Erfahrung und eigener Überlegungen ihr Urteil zu bilden.

(c) In Bezug auf ihre Textualität auffällig ist auch die dritte Passage, auf die ich eingehen möchte: Im Abschnitt über die lobenswerten Widmungsempfänger wird das Beispiel Heinrichs IV. von Frankreich erwähnt, der dem Gelehrten Johannes Casaubonus für die Widmung seiner Polybios-Ausgabe eine hohe Geldsumme gewährte.47 Gemäß dem Moralitätsdiskurs, dem Silberrad in der Regel folgt, ist der Fall unproblematisch: Ein gebildeter Monarch belohnt den gleichfalls über alle Zweifel erhabenen Philologen mit einer würdigen Gegengabe. Gleichwohl hält es Silberrad hier für angebracht, nicht nur die Quelle für seine Informationen nachzuweisen,48 sondern in einer eigenen Anmerkung auch auf die außergewöhnliche Qualität des Widmungsschreibens selbst aufmerksam zu machen:

Quae [nämlich die Widmung] T. III. in Edit. Polybij Gronoviana exhibetur et reliquas hujus generis scriptiones in eo longe superat, quod cum rerum tractatarum gravitate (Historiam enim Rerump. Rectoribus prae caeteris disciplinis studiose cognoscendam commendat, vid. p. 51.)49 omnem fere exhauriat latinitatem, et formandi styli exemplum praebeat plane eximium. Ampliori hinc totius operis et exactae tractationis elogio digna visa B. BOECLER. nostro Hist. Princ. Sch. C. 1. §. 2. extr. p. 10. add. p. 120. et 153.50

Freilich war Silberrad zu dieser Rühmung der über sechzigseitigen Widmungsvorrede durch eine andere Quelle motiviert worden,51 entscheidend ist jedoch, dass er hier den Diskurs De moralitate verlässt und – bezeichnender Weise in einer Fußnote – eine ganz neue Option eröffnet: Die Rechtfertigungsfrage lässt sich für den Widmungsschreiber offenbar umgehen, wenn er einen sachlich und stilistisch herausragenden Text abliefert. Das Kriterium der Qualität der dedicatio wird, konsequent weitergedacht, zum unangreifbaren Legitimationsargument, die Widmungsvorrede hat mithin das Potenzial zum Paratext eigenen Rechts. Diese in der modernen Forschung selbstverständliche Einschätzung gilt mutatis mutandis für eine nicht unerhebliche Zahl von Dedikationen frühneuzeitlicher Schriften. Ulrich Maché weist etwa für Martin Opitzens Schäfferey von der Nimfen Hercinie darauf hin, dass in der Widmungsvorrede „the passages that articulate the act of offering this book to the patron amount to less than fifteen percent of what appears to be a dedicatory letter. In the remaining eighty-five percent of the text Opitz addresses topics related to his literary reform, issues that one would expect to find in a preface.“52 Um dieser Bedeutung Rechnung zu tragen, nimmt die kürzlich abgeschlossene Ausgabe der lateinischen Schriften von Martin Opitz grundsätzlich alle lateinisch geschriebenen Widmungen des Autors, auch die zu deutschsprachigen Schriften gehörenden, auf; die wissenschaftliche Kommentierung dieser Texte geht auf rhetorisch-stilistische, pragmatisch-funktionale und sachlich-thematische Aspekte gleichermaßen ein.53 Im frühen 18. Jahrhundert forderte die Konfrontation mit dem Phänomen des Widmungsschreibens hingegen offenbar eine Leserentscheidung heraus: Die drängende Frage nach der „Moralität“ von Dedikationen beschäftigte die Gelehrten; ihre kritische Haltung ist als Ausdruck eines Selbstverständigungsprozesses innerhalb der respublica litteraria zu sehen, der vor allem verhaltensethische Unzulänglichkeiten auf beiden Seiten – bei Schreibern wie Adressaten – in den Blick nahm. Die epistemologische Perspektive, aus der heraus die Widmungsvorrede beispielsweise als Ort grundsätzlicher, auch unorthodoxer Reflexionen über den behandelten Gegenstand eine wichtige Funktion einnehmen konnte, existierte unabhängig davon und musste im Diskurs der gelehrten (Selbst)kritik in den Fußnotenapparat abgedrängt werden.

6. Der Aspekt der akademischen Selbstverständigung findet sich auch in den „lokalen Bezügen“, die fast systematisch in den Thesendruck integriert erscheinen.54 Die intendierte enge Verflechtung zwischen dem Adel der Geburt, dem – wenn man so will – Adel des Geldes und dem Adel des Geistes wird durch die Wahl der Bezugspersonen im städtischen Kontext anschaulich gemacht: Wer im seit 1681 französischen Straßburg auf ideale – das heißt bildungsbeflissene – Herrscher hinweisen wollte, tat gut daran, Könige wie Heinrich IV. oder den jüngst (1715) verstorbenen Ludwig XIV. zu rühmen, wie es Silberrad denn auch tut.55 Die wohlhabenden Honoratioren der Stadt erhalten, wie oben gezeigt, ihren Ehrenplatz auf der Widmungstafel. Und im Zentrum der Abhandlung werden immer wieder prominente Vertreter der Straßburger Gelehrtenrepublik erwähnt, zu denen der Verfasser in persönlicher Verbindung steht oder die in früheren Zeiten den Ruhm der Academia Argentinensis ausmachten. Die insgesamt neun mit Straßburg in Beziehung stehenden Passagen erscheinen für die Argumentation keineswegs unerlässlich, so wird beispielsweise die Unterscheidung zwischen angemessenem und schmählichem Widmungsverhalten ohne zwingenden Grund aus einer Abhandlung von Johann Caspar Khun, „Venerando Facultatis nostrae Seniore Amplissimo“,56 zitiert, einem Text, der überhaupt nur an dieser einen Stelle kurz auf den Brauch des Dedizierens eingeht.57 Noch auffälliger auf das lokale „name dropping“ zielend ist eine Passage im Proömium, wo zum Stichwort der vorgetäuschten Gelehrsamkeit auf eine Vorrede verwiesen wird, die einer Dissertationensammlung von Thomas Bartholin vorangestellt ist und deren Verfasser bezeichnet wird als „eruditionis elegantissimae Theologus M. R. DN. Jo. Gerh. MEUSCHEN, Illustr. et Celsissimi Comitis Hanoici Primarius hodie sacrorum Antistes et Ecclesiasticus Consiliarius gravissimus, Patronus Fautorque noster honorandus, amandus“.58 Auf der diachronen Ebene nutzt Silberrad die im Rahmen der Gelehrtenkritik zu erwartende Topik der Zeitklage, um auf die ruhmreiche Frühzeit der Straßburger Akademie hinzuweisen.59 Im Kontext seiner Äußerungen über die Notwendigkeit der Fürstenbildung heißt es hier:

Utinam ergo fata illa Academiis Scholisque redirent, qualibus circa An. 1590. Melchiore Junio perpetuum Rectoratum gerente, Argentinensis nostra gavisa fuit!60

Vermutlich nimmt Silberrad damit auf den Umstand Bezug, dass in dieser Zeit besonders viele adlige Zöglinge die aufstrebende Straßburger Hochschule besuchten,61 während die Attraktivität Straßburgs in den Jahren um und nach 1700 infolge von Kriegswirren stark zurückgegangen war.62 – Um schließlich auch den konfessionellen Schulterschluss im streng lutherischen Straßburg zu festigen, fügt der Autor die bekannte Anekdote von den Sozinianern ein, die die Geschmacklosigkeit begingen, ihren Rakówer Katechismus ausgerechnet der Universität Wittenberg zu widmen.63 Die Episode ist ein wenig deplatziert64 in einen Kontext durchaus berechtigter Dedikationsakte eingeschoben; womöglich wollte Silberrad neben der Suggestion eines harmonischen Zusammenspiels der bildungstragenden Akteure auch noch ein deutliches Bekenntnis zur eigenen Rechtgläubigkeit abgeben.

7. An Stelle der so genannten corollaria, also locker gefügter Thesen, die im Anschluss an die Kerndisputation gegen Ende des universitären Aktes fakultativ bearbeitet werden konnten, enthält unsere Disputation am Schluss vier Paragraphen mit cautelae, also Vorsichtsmaßnahmen, die es zu ergreifen gilt, wenn man sich auf dem glatten akademischen Parkett angemessen zu bewegen versucht:

Haec ergo quum Dedicationum sit conditio haud abs re erit, de Prudentia Viri sapientis, circa scriptorum suorum dedicationes, paucula addere, et quomodo famae suae ut parcat, versari in illis debeat, inquirere.65

Schon die erste cautela macht deutlich, dass die spannungsfreie Integration des Gelehrten in sein Umfeld für Silberrad von höchster Priorität ist, heißt es da doch, man solle, um nicht bei anderen den Anschein eines neumodischen oder absonderlichen Menschen zu erwecken, den altehrwürdigen Brauch, Bücher mit Widmungen zu versehen, nicht rundweg ablehnen.66 Weiter ist dann davon die Rede, dass man mit seiner abweisenden Haltung leicht ins Abseits geraten könne, weil ja selbst die erklärten Gegner des Disputationswesens Widmungen verfassten. In der Folge vertritt Silberrad eine pragmatische, ausgleichende Position, die davon abrät, angesichts des geläufigen Missbrauchs der Dedikationen das Kind mit dem Bade auszuschütten („cum sordibus infantem ipsum ejicere“),67 zugleich aber immer wieder mahnt, jeden Anschein von Geldgier oder Ehrgeiz zu vermeiden, was beispielsweise dadurch geschehen könne, dass man das Angebot einer finanziellen Gegenleistung für die Widmung ablehne oder seine Schriften Personen von gleichem sozialem Rang dediziere.68 Zur souveränen Haltung des Gelehrten gehört für Silberrad auch, dass man übergroßes Misstrauen vermeidet. Die Ansicht, jedes Lob komme einer Lüge gleich („laudare prope mentiri esse“),69 zeugt für ihn von einer unangebrachten Menschenfeindlichkeit. Diese „rigidam […] philosophiam“70 lehnt er ab und wendet sich damit explizit gegen die mehrfach erwähnten „Observatores Hallenses“ und damit auch gegen den Mitherausgeber dieser Hallischen Zeitschrift, Christian Thomasius, den er in einer Fußnote explizit als Autor der Vorrede des relevanten dritten Bandes zu identifizieren glaubt.71 Wenn die cautelae schließlich in einen Appell zur Gelassenheit angesichts der prekären Situation der Autoren münden, so ist damit nicht nur eine Warnung vor überzogenen Hoffnungen auf mäzenatische Förderung verbunden, sondern die respublica litteraria formiert sich in der Perspektive des Verfassers zugleich als Schicksalsgemeinschaft, die auf Rückschläge gefasst zu sein hat.

8. Der Disputationsdruck endet mit einem Gebet,72 was in Texten dieser Art nicht ganz exzeptionell, aber auch nicht sehr verbreitet ist. Es markiert den Übergang vom Aufruf zur akademischen Selbstverständigung hin zu einem kaum verdeckten Appell an die Mäzene, womit auf subtile Weise an die dem Druck vorangestellte Widmungstafel angeknüpft wird. Gott dient ja ungeachtet des Gebetsgestus fraglos als Mittler einer Botschaft, die sich an die wohlhabenden Patrizier beziehungsweise an die Obrigkeit der ehemaligen Reichsstadt richtet, heißt es doch, er möge nicht nur das ungünstige Schicksal („fata duriora“) von der Gelehrtenrepublik abwenden („a Republ. literaria clementer avertat“), sondern auch

eosque qui pietatis ac sapientiae studiorum strenui adhuc sunt assertores gratiose conservet, et ut nutrices vindicesque verae eruditionis Academias inque his docentes diligere ac ornare pergant, faxit.73

Mit den „studia pietatis ac sapientiae“ war überdies die Maxime Johannes Sturms (1507 bis 1589), des legendären Begründers der Straßburger Akademie im 16. Jahrhundert, aufgerufen. Mit Sturm und dem in altrömischer Manier apostrophierten „DEUS O. M.“ an ihrer Seite, so das Kalkül der Disputanten, würden sie die Mäzene74 schon bei der Stange halten. Für die richtige Einstellung zum Disputationswesen und die angemessene Praxis des Dedizierens sollte im akademischen actus, zu dem der Thesendruck einlud, jedenfalls gestritten werden.

Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert

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