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Langblühende Konfliktfelder Der Maler Willi Sitte, das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und der Bilderstreit um die ostdeutsche Kunst
ОглавлениеPaul Kaiser
Es waren zwei Ausstellungen, mit denen das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) in direkter Weise Teil des nationalen Bilderstreits um die Bewertung der im Osten Deutschlands zwischen 1945 und 1990 entstandenen Kunst wurde. Die erste Ausstellung stand 2000 unter dem Titel Bestandsaufnahme: Mittels einer Depothängung, die der räumlichen Inszenierung den Charakter einer grundlegenden Inventur verlieh, zeigte sie an den eingezogenen Gitterwänden eine willkürlich erscheinende Auswahl aus der hauseigenen Sammlung von „DDR-Kunst“ und vermischte rigoros die künstlerischen Sujets und Qualitäten 1. Schon der bürokratische Titel der Exposition sowie der in knalliges (SED-)Rot eingefärbte Katalog – ein sperriger Leitz-Ordner, in den die Werkblätter ein- oder eben auch ausgeheftet werden konnten – suggerierten die Idee einer anmaßenden Evaluierung. Letztlich ging es zehn Jahre nach dem Systemwechsel um die Frage, welche Kunst aus der DDR-Zeit dem Publikum überhaupt noch zuzumuten sei. Wie viele ihrer Kollegen in ostdeutschen Museen zu dieser Zeit erweckten auch die Kuratoren dieser Ausstellung den Eindruck, als wären die zur Bewertung vorgeführten Bestände – die noch wenige Jahre zuvor im Hause, teils vom selben Personal, stolz vorgezeigt worden waren – fortan nur noch als kontaminierte Hinterlassenschaften eines untergegangenen Staates zu betrachten, von denen bestenfalls Einzelwerke in das Licht einer gesamtdeutschen Öffentlichkeit gehörten. „Der Arbeiterheld“, beschrieb der Feuilletonist der Tageszeitung Die Welt nach seinem Besuch der Ausstellung seinen Eindruck, „hängt am Maschendrahtzaun, die Brecht-Plastiken und andere Bronzefiguren stehen stramm Sockel an Sockel und platzsparend da. Rückt die sozialistische Garde enger zusammen, oder erahnt man, dass für die Kunst des so ganz anderen Deutschlands nicht viel Raum bleiben wird?“1
Die Ahnung des Beobachters trog nicht – die Werke wanderten nach der „Bestandsaufnahme“ wieder in die Depots. Einzelnen von ihnen begegnete man in den folgenden Jahren in der Moritzburg indes schon, etwa im Rahmen von Personalausstellungen zu Wolfgang Mattheuer (1927–2004), Albert Ebert (1906–1976) und Otto Möhwald (1933–2016), diese aber blieben Ausnahmen, welche den Regelfall nur bestätigten. Schließlich mussten 18 Jahre (!) vergehen, um in Halle (Saale) dieser ersten eine zweite Ausstellung folgen zu lassen, welche auf jene rigorose Infragestellung einer ganzen Kunstproduktion mit dem Ausrufezeichen eines fachlich fundierten Konzeptes antwortete. Als erstes Museum überhaupt brach das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) unter der Leitung Thomas Bauer-Friedrichs (* 1976), seit 2014 Direktor des Hauses, mit der herablassenden Umgangsweise gegenüber der „Ost-Kunst“, die in den 1990er und 2000er Jahren die dominante Haltung im Kunstbetrieb und in den westlich geprägten Instanzen der staatlichen Kunstförderung gewesen war. Statt auf temporäre Sonderschauen zu setzen, die inzwischen auch andere Häuser, vor allem im Zuge der Jahrestagsfeiern zur friedlichen Revolution und der deutschen Wiedervereinigung mit Hilfe von zu diesen Jubiläen extra aufgelegten Fördermittelprogrammen ausrichteten, besann sich das Haus unter seiner Ägide wieder konsequent und ganz selbstverständlich auf die Erforschung, Präsentation und gezielte Erweiterung der eigenen Sammlungsbestände aus der SBZ, der DDR und der Transformationszeit.
Gegen die Geste einer temporären Inaugenscheinnahme setzt man in Halle (Saale) seitdem auf Nachhaltigkeit und Kontinuität: Im Jahr 2018 eröffnete das Museum eine Dauerausstellung unter dem Titel Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945–1990 2 als Fortsetzung der 2017 grundlegend überarbeiteten Sammlungspräsentation zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Leitbildhaft und im schroffen Gegensatz zu den Ausgrenzungen in den frühen Phasen des Bilderstreits bekennt sich das Museum zu seiner „regionalen und historischen Verortung und präsentiert die Kunst in der zweiten Jahrhunderthälfte fokussiert auf die vielfältigen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten in der ehemaligen SBZ/DDR“2. Eng verbunden zeigte sich diese Perspektiverweiterung mit einer Rückbesinnung auf jene Künstler, die Halle (Saale) seit den späten 1940er und 1950er Jahren in den Augen des Dresdner Kunsthistorikers Fritz Löffler (1899–1988) zur „vitalsten Stadt“3 in der ostdeutschen Kunstlandschaft gemacht hatten, bevor dann viele Künstler im Zuge des unsäglichen (und in der Saalestadt auf heftigste Weise eskalierenden) Formalismus-Realismus-Streits die DDR in Richtung Westen verließen. Es ist verständlich, dass die nachholende Thematisierung des Verdrängten eine psychosoziale Dimension erhielt, die dem musealen Engagement zusätzlich eine moderierende, fast schon therapeutische Funktion zuwies. Die Moritzburg wurde zu einem Modellfall, der zeigte, wie die den ostdeutschen Künstlern zugefügten Kränkungen zu heilen wären – durch Wissen, Neugier und öffentliche Präsenz.
2 Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), 2021: Blick in die Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1990 u. a. mit Willi Sittes Chemiearbeiter am Schaltpult (1968) und Wolfgang Mattheuers Kain (1965), Foto: Marcus-Andreas Mohr
Im Zuge der Auseinandersetzungen im deutsch-deutschen Bilderstreit blieb es bis heute ein ungeschriebenes Tabu, sich auf das Gesamtwerk und die Biografie Willi Sittes umfassend einzulassen. Zu problembeladen erschien vielen eine ernsthafte Auseinandersetzung, da unter „Sittes Welt“ zumeist eine unrettbar „gestrige Welt“ verstanden wurde. Aus dieser Perspektive hatte sie sich mit dem Untergang des „real existierenden Sozialismus“ ein für alle Mal diskreditiert. Die Abgrenzung gegenüber dem Künstler verstärkte sich noch dadurch, dass Willi Sitte an den utopischen Restenergien des „Projektes DDR“ festhielt und seine Haltung (mitunter auf eine stilisierte Weise) in zahlreichen Interviews verteidigte.4 Im Kontrast dazu entledigten sich seine Kollegen der „Viererbande“, Bernhard Heisig (1925–2011) und Werner Tübke (1929–2004), ihrer Nationalpreise und Parteibücher. Sie schickten diese an eine nun führerlose SED-Führung zurück – ganz so, als wäre mit dieser Anpassung ans Unvermeidliche der vermeintliche Makel einer systemaffirmativen Künstlerrolle ausgeräumt. In vielen Fällen wurde die rigorose Ausblendung oder stark vereinseitigende Darstellung des Werks von Willi Sitte nicht mit seiner Doppelrolle als Maler und Kulturfunktionär begründet. Vielmehr bezog man sich, etwa in der von der ostdeutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (* 1954) im Jahre 2009 unterstützten Großausstellung 60 Jahre, 60 Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau, auf eine generelle „Nichtrelevanz“ der sogenannten „DDR-Kunst“5, und Willi Sitte wurde zur Symbolfigur dieser Etikettierung.
3 Debatte mit über 500 Dresdner Bürgerinnen und Bürgern im Lichthof des Albertinums im Zuge des „Dresdner Bilderstreits“ am 06.11.2017, Foto: Dresdner Institut für Kulturstudien/Fechtner