Читать книгу Sittes Welt - Группа авторов - Страница 12
Der Bilderstreit – Stationen und Hintergründe
ОглавлениеEs war der Verlauf des deutsch-deutschen Bilderstreites, der die Rahmenhandlung für diese weitgehende Deklassierung eines DDR-Künstlerlebens bestimmen sollte. Willi Sitte stand seit 1990 unweigerlich immer (mit) im Zentrum der Debatten – wenn nicht als Künstler, so als Referenzperson. Der Grund für diese zentrale Bedeutung war der Umstand, dass sich seine Verantwortlichkeit für die Zustände im DDR-Kunstsystem aus seiner Rolle als Präsident des Verbands Bildender Künstler (1974–1988) und als Mitglied des Zentralkomitees der SED (1986–1989) ableitete. Bereits in dem im Dezember 1990 veröffentlichten art-Interview von Georg Baselitz (* 1938), der „Geburtsstunde“ des Bilderstreits, klang dies an, als Baselitz den DDR-Großkünstlern vorwarf, sie hätten „die Phantasie, die Liebe, die Verrücktheit verraten“, indem sie als „Propagandisten der Ideologie“ gewirkt und sich in den „Dienst der ‚guten Sache‘“ gestellt hätten. Aus diesem Grund seien sie keine Kollegen, sondern schlicht „Arschlöcher“6. Dieses denkwürdige Interview markierte den Beginn (und bestimmte lange Zeit auch die äußerst deftige Tonlage) der mittlerweile über 30 Jahre dauernden Auseinandersetzung.
Ihre vorerst letzte Station ging 2017 als „Dresdner Bilderstreit“ in die Annalen ein 3. Die vom Kunstverein Braunschweig gekommene Direktorin, Hilke Wagner (* 1972), entfernte die ostdeutschen Werke der Nachkriegskunst fast komplett aus der Schausammlung des Dresdner Albertinums. Dies führte zu einem veritablen Aufstand des ansässigen Kulturbürgertums, in dessen Folge die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ihren Kurs radikal änderten und 2018 eine große Ausstellung zu den Eigenbeständen kurzfristig ins Programm nahmen – und anschließend wieder ins Depot brachten.7 Wie in einem grotesken Potpourrie zeigte sich die vom Publikum „ertrotzte Ausstellung“8 in weiten Teilen als eine Mischung disparater Positionen. Ein Missbehagen entstand, da die Schau, welche die Direktorin lediglich als eine „Bestandspräsentation“ verstanden wissen wollte, auch ein Übermaß an Werken einbezog, deren Haltbarkeitsdatum bereits vor dem Ende der DDR längst abgelaufen war. Zwar versuchte man die Tour de Force konzeptionell zu legitimieren, indem man die Werke nach den Erwerbungsjahren gruppierte. Die Integration von politisiertem Auftragskitsch, teilweise Leinwand an Leinwand mit kanonisierten Malern gehängt, erzeugte aber manchen Irrgang zwischen den ästhetischen Qualitäten.
Es muss zugleich festgehalten werden, dass dieser Bilderstreit – auch wenn seine Akteure mitunter die Contenance verloren – die Funktion eines „Stellvertreterdiskurses“9 der deutschen Wiedervereinigung übernahm, was ihn zwangsläufig überfordern musste. Trotz vieler Kränkungen und Fehlleistungen entwickelte sich jene Dauerdebatte um die „Ost-Kunst“ letztlich zu einer Verständigung zwischen Ost und West sowie zwischen den in der DDR möglichen Lebensentwürfen. Somit trug der Streit um die bildende Kunst des Ostens „als elementares Konflikt- und Aushandlungsmuster“10 entscheidend dazu bei, dass im Zuge der Diskussion um die Transformationsgeschichte in jüngster Zeit nicht nur Themen wie Treuhand, Elitenwechsel oder Institutionswandel Beachtung finden, sondern am Beispiel der ostdeutschen Kunst zugleich kulturell-künstlerische Aspekte diskutiert werden.
Wer heute vorhat, sich einen Überblick zum deutsch-deutschen Bilderstreit zu verschaffen, wird nicht umhinkommen, die exotische Fruchtfolge dieses „langblühenden Konfliktfeldes“ in Relation zum Topos der „blühenden Landschaften“ zu bringen, mit dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (1930–2017) am 1. Juli 1990 den Ostdeutschen eine rosige Zukunft versprochen hatte. Es war nun aber die offenkundige Differenz, welche sich zwischen der visionären Verheißungskraft der Kohl’schen Zauberformel und der profanen Realität in den sogenannten neuen Bundesländern eröffnete, die lange Zeit eine ausgewogene Rekonstruktion der DDR-Verhältnisse überlagerte – vor allem deshalb, weil sie den Systemvergleich provozierte und von den inneren und weithin unerforscht gebliebenen Spannungslagen und -konflikten ablenkte. Erst in den letzten Jahren, vor allem im Zuge einer universitär verankerten Transformationsforschung sowie durch eine allgemeine Sensibilitätssteigerung und gesellschaftliche Hinwendung zu Formen kultureller Diskriminierung von Minoritäten, erhalten Themen wie die Ausgrenzung ostdeutscher Künstler im gesamtdeutschen Rahmen neuerdings eine Beachtung, die sie anschlussfähig für aktuelle Fragestellungen auch bei jüngeren Kulturpolitikern und Wissenschaftlern machen.11
Dieser neuen Aufgeschlossenheit stehen aber leider nach wie vor Lethargie, Desinteresse und bisweilen wohl auch Geschichtsvergessenheit der universitären Kunstgeschichte gegenüber. Selbst in ihren ostdeutschen Instituten hat diese seit den 1990er Jahren einen großen Bogen um das Generalthema gemacht. Das zeitigte fatale Auswirkungen – zum einen auf die akademischen Lehrinhalte, in denen ostdeutsche Kunst bis heute zumeist nur als Fußnote auftaucht, und zum anderen auf die Wissensbestände von mittlerweile zwei Generationen von Absolventen, die in Museen, Galerien und Kulturförderinstitutionen arbeiten. Um es klar zu sagen: Mit wenigen Ausnahmen, etwa an einzelnen Lehrstühlen in Leipzig und Marburg,12 muss hier geradezu von einer umfassenden Ausblendung der ostdeutschen Nachkriegskunstgeschichte gesprochen werden.
Die Gründe für diesen Offenbarungseid sind vielfältig. Wesentlich erscheint mir hierbei der Umstand, dass, unterstützt von der Wissenschaftspolitik der neuen Bundesländer in den 1990er Jahren, nahezu alle Kunstgeschichtsprofessuren in den ostdeutschen Universitäten mit westdeutschen Wissenschaftlern besetzt wurden. Diese konnten weder auf einen lebensweltlichen Bezug zur jüngeren lokal-regionalen Kunstgeschichte vertrauen, noch entwickelten sie ein gesteigertes wissenschaftliches Interesse an der Bearbeitung dieser Desiderate. Überhaupt war mit Forschungsanträgen zur Kunstentwicklung in der DDR in der deutschen Wissenschaftsförderung kein Blumentopf zu gewinnen. Mancher Doktorand erhielt von seinem Professor hinter der Hand den wohlgemeinten Hinweis, dass es für sein Fortkommen wohl besser wäre, wenn er sich von der Idee verabschiedete, über diesen Themenbereich zu arbeiten. Diese wohlmeinenden Ratschläge beruhten auf der Erfahrung, dass es für diese Projekte kaum möglich war, Drittmittel in den notwendigen Budgetgrößen zu generieren.13 Auf diese Weise reproduzierten sich die Missverhältnisse in exponentieller Form und trugen zur Deklassierung und Marginalisierung der ostdeutschen Kunst und ihrer Künstler bei.
4 Blick in die Ausstellung Kunst und Kalter Krieg, 2009, Deutsches Historisches Museum, Berlin, u. a. mit Willi Sittes Massaker II (1959)
Wenn man den Bilderstreit im Rückblick als Gesamtphänomen betrachtet, dann fällt auf, dass sich seine Dramaturgie entwickelte über Ausstellungen, Petitionen, Kunstaufträge sowie am Umgang mit den Kunstbeständen selbst. Neben der Ausstellungspolitik der Museen befeuerte ihn anfangs eine generelle Blockade von Kunstbetrieb und Kunstmarkt gegenüber der ostdeutschen Kunst, die sich später teilweise auflöste. Die Liste der skandalträchtigen Expositionen reicht von der Dresdner Schau Ausgebürgert (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum, 1990) über den Versuch der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die übernommenen Bestände aus der Nationalgalerie (Ost) mit denen der Nationalgalerie (West) auf sinnvolle Weise zu verkoppeln (1993/94), bis hin zu der Debatte um die Einbeziehung von ostdeutschen Künstlern in die künstlerische Ausgestaltung der Parlaments- und Regierungsbauten (1997–99). Der Streit setzte sich fort in der Diskussion um Ausstellungen, die entweder nur die nonkonforme Künstlerschaft (Boheme und Diktatur in der DDR, Berlin, 1997/98) oder die DDR-Auftragskunst (Auftrag: Kunst, Berlin, 1995) in den Blick nahmen. In den 2000er Jahren versachlichten sich die Auseinandersetzungen. Einen wichtigen Schritt in diesem bis heute unabgeschlossenen Prozess stellte die 2009/10 organisierte Ausstellung Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–1989 (Los Angeles, Nürnberg, Berlin) dar, die erstmals beide deutsche Nachkriegskünste synthetisierte 4 und statt einer unproduktiven Bipolarität (Abstraktion als „Weltsprache der Künste“ im Westen vs. Figuration des „Sozialistischen Realismus“ im Osten) die untergründigen Verbindungen zwischen den Künsten sichtbar machte.
Eine besondere Stellung nahmen anfangs die in den frühen 1990er Jahren eingerichteten Sonderdepots mit Kunstwerken aus den einstigen Parteien, staatlichen Institutionen und politischen Massenorganisationen ein. Da ein Verkauf der Werke frühzeitig verworfen wurde, übernahmen diese Depots zunächst die notdürftig finanzierte materielle „Grundsicherung“, wobei schon deren signifikante Randlage (neben anderen entstanden solche in Beeskow, Königstein und Mühlhausen) auch hier die kulturpolitische Distanz zu den Bildwelten deutlich herausstellte 5. Mittlerweile ist die Zukunft dieser Bestände weitgehend gesichert: Die Zehntausenden Kunstwerke im Beeskower Kunstarchiv etwa, darunter zirka 1 800 Gemälde, sind inzwischen aus einem unwirtlichen Speicher in ein klimatisiertes Gebäude verbracht und in professionelle Hände gegeben worden. Auch die beachtlichen Sammlungen der ehemaligen Volkseigenen Betriebe und Kombinate konnten im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs vor Zerstörung, Plünderung, Entsorgung und Ausverkauf gerettet werden.14
5 Blick in das Sonderdepot mit Kunst aus dem Besitz von Parteien und Massenorganisationen in der DDR, Kunstarchiv Beeskow (alter Standort), 1999, Foto: Peter Thomann
Mit wenigen Ausnahmen trugen die ostdeutschen Kunstmuseen in den 1990er und 2000er Jahren auffallend wenig zur Debatte bei. Die Werke machten in vielen Häusern Platz für mehr oder weniger aussagekräftige Sammlungen der westeuropäischen Nachkriegsmoderne. Die Zentrierung auf Westkunst und die Deponierung der Eigenbestände an „DDR-Kunst“ in den ostdeutschen Kunstmuseen wurden zumeist mit der heterogenen und ungeklärten Bestandssituation begründet. Im diskursiven Prozess hätten die Museen als sachdienliche Schlichter im Bilderstreit wirken können.
Stattdessen kam es aber gerade in den herausgehobenen ostdeutschen Kunstmuseen zu einer opportunistischen Abwertung: Die DDR-Bilder wanderten aus den Museumssälen in die Depots und die neu berufenen Museumsdirektoren, gleich ob diese aus dem Osten oder Westen der Republik stammten, fokussierten sich vor allem auf die Kunst der zeitgenössischen Westmoderne oder in Einzelfällen auf die Kunst der ostdeutschen Dissidenten.