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Beginn der Akzeptanz: erste Personalausstellung in der DDR

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Nur sechs Monate später gewährte man ihm mit 42 Jahren seine erste museale Einzelausstellung in der DDR. Sie fand vom 18. August bis 17. September 1963 unter dem Titel Willy Sitte. Gemälde, Graphik im Erfurter Angermuseum statt 5 und war alles andere als eine unpolitische Veranstaltung. Hintergrund und Voraussetzung war der Wechsel in der Leitung des Hauses im Frühjahr 1963 von dem jahrzehntelangen, der Moderne zugewandten Direktor Herbert Kunze (1895–1975) zu dem – wenngleich umstrittenen – Parteimitglied Karl Römpler (1915–1991).27 Cornelia Nowak fasst diesen Wechsel wie folgt zusammen: „Generationswechsel, Zeitenwandel, Kursänderung. Ausstellungsprogramm und Sammlungskonzeption des Angermuseums ändern sich deutlich. Galt Kunzes Aufmerksamkeit der Klassischen Moderne, dem Bauhaus und der Nachkriegsavantgarde von Dresden bis Paris, wird sich Römpler in den Jahren seiner Amtszeit tendenziell auf die von der jungen DDR-Kulturpolitik besonders geachteten Künstler konzentrieren. Die erste unter seiner Leitung gezeigte Ausstellung gilt Willi Sitte, 1964 folgen Werner Tübke und Willi Neubert, 1966 Bernhard Heisig.“28


5 Willi Sitte: Plakat zur Ausstellung Willy Sitte. Gemälde, Graphik im Erfurter Angermuseum, Angermuseum, Erfurt

Die Sitte-Ausstellung war eine Initiative Römplers, der sein Amt am 1. Juni 1963 antrat und diese in kürzester Zeit mit dem strittigen Künstler zusammengestellt haben muss.29 Gezeigt wurden 33 Zeichnungen und 32 Ölbilder aus den Jahren 1950 bis 1963, von denen acht Zeichnungen und 16 Gemälde vor 1960 entstanden waren, mithin ein Drittel aller ausgestellten Werke bzw. sogar die Hälfte aller Gemälde. Das erstaunt insofern, als eben diese der Moderne verbundenen Werke von der SED-Kulturpolitik unentwegt als „modernistisch“ kritisiert und abgelehnt wurden. Acht Gemälde stammten aus der ersten Jahreshälfte 1963, darunter neben Aktdarstellungen Meine Eltern II S. 115, Vater mit Weihnachtsgans30 und als Hauptwerk der Schau das gerade vollendete Großformat Die Überlebenden S. 363. In einer Rezension hieß es: „Willy Sitte ist ein recht problematischer Maler, der sich gleichermaßen wach mit den modernen künstlerischen Erscheinungsformen und den gesellschaftlich-politischen Äußerungen unserer Zeit auseinandersetzt und so zu einer Gestaltungsweise gelangt, die voller Spannung ist.“31 Eine weitere Besprechung resümierte seinen Malstil wie folgt: „Sittes Kunst fußt mehr auf dem Zeichnerischen als auf dem Malerischen. Seine Oelbilder wirken wie kolorierte Zeichnungen. Bei der Farbgebung selbst neigt der Künstler zur lauten Palette. Scharfe Linien und gestraffte Konturen geben seinen Grafiken und Porträts eine herbe, fast spröde Note, woraus sich auch sein ureigener, persönlicher Stil widerspiegelt, dem eine intime, fein empfundene Stimmung weniger liegt.“32 Rainer Behrends (* 1937), Mitarbeiter des Museums, verfasste eine umfassende Rezension für die Zeitung Das Volk, in der er Die Überlebenden als „eine neue Stufe seines Weges zum sozialistischen Realismus“ kategorisiert.33 Unmissverständlich wog Behrends den „weniger […] koloristische Reize auskostende[n] Maler“ zugunsten des „ausdrucksstärksten Zeichners unserer Kunst“ auf. Folgerichtig kaufte das Angermuseum aus der Ausstellung drei Zeichnungen an, womit es das zweite Museum war, das Werke des Künstlers erwarb. Man hatte auch Interesse an dem Gemälde Meine Eltern II. Dieses hatte der Künstler jedoch bereits dem halleschen Kunstmuseum zugesagt.34 Behrends legte in seiner Rezension zudem deutlich den Finger in die Wunde des Künstlers, wenn er einerseits „die Notwendigkeit des künstlerischen Experimentes zur Klärung von Problemen des sozialistischen Realismus“ konstatiert, andererseits jedoch bezüglich der erstmals öffentlich ausgestellten Werke der ersten Hälfte der 1950er Jahre formuliert, dass diese „zwar farblich schön und genußreich zu betrachten sind, […] aber eindeutig die Unmöglichkeit beweisen, durch Nachahmen von Elementen der spätbürgerlichen Kunst unseres Jahrhunderts zur Form und zum Inhalt unserer Kunst zu gelangen.“ Damit resümierte er treffend die Problemlage in der Diskussion der Kunst Willi Sittes zwischen 1951 und 1963.

Die Ausstellung wurde Anfang 1964 von den Staatlichen Museen Meiningen übernommen.35 Die vom 29. Februar bis 22. März 1964 im Kulturhaus der Mansfelder Bergarbeiter in Eisleben realisierte Einzelausstellung basierte offenbar auf einer leicht veränderten Auswahl aus dem Erfurter Konvolut. Gezeigt wurden 61 Gemälde und Zeichnungen seit 1950, darunter anders als in Erfurt Zeichnungen zum aktuell entstehenden Triptychon der Brigade Heinicke S. 403 und das Blatt zum 65. Geburtstag von Louis Aragon S. 417.36 Die Werke wurden vom Publikum offenbar sehr kontrovers wahrgenommen,37 sodass ein Gesprächsabend mit dem Künstler gemeinsam mit seinen Kollegen Hannes H. Wagner (1922–2010), Rolf Kiy (1916–1996), Eberhard Frey (1916–1993) und Erich Enge (* 1932) stattfand. Wolfgang Schrader (* 1933) resümierte: „Diese Bemühungen auf dem Bitterfelder Weg werden der bildenden Kunst ständig mehr verständnisvolle Freunde gewinnen, die wiederum an die Künstler höhere Ansprüche stellen.“38

Die Ausstellung in Eisleben fand sozusagen am Vorabend zweier entscheidender Ereignisse des Jahres 1964 statt – sowohl für die Kunst- und Kulturpolitik der DDR als auch für Willi Sitte persönlich. Vom 24. bis 26. März 1964 tagte der V. Kongress des VBK im Kulturhaus des Werks für Fernsehelektronik, Berlin-Oberschöneweide. Hier vollzog Sitte den Beginn seiner Abkehr von der Gruppe der radikalen Kritiker der staatlichen Kulturpolitik um Herbert Sandberg (1908–1991) und Fritz Cremer (1906–1993) und seiner allmählichen Übereinstimmung mit den Dogmen der Partei.39 Auf einer Auswertung der Ereignisse auf dem Kongress in der Abteilung Kultur des ZK der SED in Berlin wurde kritisiert, dass der Kongress parteipolitisch schlecht vorbereitet war, und propagiert, dass sich dies einen Monat später bei der 2. Bitterfelder Konferenz nicht wiederholen dürfe. Diese fand am 24./25. April 1964, veranstaltet von der Ideologischen Kommission beim Politbüro des ZK der SED und vom Ministerium für Kultur, statt. Der künstlerische (und ideologische) Wandlungsprozess Willi Sittes wurde auf dieser Konferenz vom Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht (1893–1973) durch namentliche Erwähnung goutiert: „Ich möchte solche Künstler und Schriftsteller wie Lea Grundig, Walter Womacka und Rudolf Bergander, Willi Neubert und Willi Sitte […] sowie all die anderen Schriftsteller, bildenden Künstler, Komponisten, Musiker, Regisseure und Darsteller, die in den letzten Jahren interessante Werke schufen und echte Probleme zur Diskussion stellten, aufrufen, den Bitterfelder Weg zu einer großen parteilichen und volksverbundenen Kunst weiterzugehen!“40 Dieser Anerkennung vom höchsten Funktionsträger der DDR war bereits im Februar deren formale Manifestation vorausgegangen: Am 1. Februar 1964 bekam Willi Sitte für „seine[] künstlerische[] Gestaltung großer nationaler Themen, besonders seines Werkes Die Überlebenden41 gemeinsam mit 14 weiteren Kulturschaffenden, darunter die Schauspielerin Helga Göring (1922–2010) und aus dem Bezirk Halle (Saale) der Komponist Gerhard Wohlgemuth (1920–2001), von Kulturminister Hans Bentzien (1927–2015) im Apollo-Saal der Deutschen Staatsoper in Berlin den Kunstpreis der DDR verliehen.42

Im Juni 1964 kaufte der Rat des Bezirkes Halle (Saale) für die Staatliche Galerie Moritzburg Sittes noch im Vorjahr aus der Fünften Deutschen Kunstausstellung ausjuriertes Polyptychon Unsere Jugend S. 401; im August desselben Jahres überwies der Rat des Bezirks das Bildnis Meine Eltern II an das Museum. Dem Erwerb dieser beiden kapitalen Werke waren 1961 der Ankauf eines Weiblichen Akts43 und 1963 die Dauerleihnahme des Stilllebens mit Brille S. 71 vom Künstler vorausgegangen. Damit befanden sich Mitte der 1960er Jahre bereits acht Gemälde Sittes im Bestand des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) – so viele wie in keinem anderen Museum der DDR. Die Nationalgalerie in Ost-Berlin begann zu dieser Zeit erst, sukzessive einzelne Werke des Künstlers zu erwerben. Den Auftakt machte 1963 sein Bildnis Meine Eltern von der LPG S. 114, gefolgt von Meine Eltern III44 im Jahr 1967. 1965 erhielten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Die Überlebenden S. 363 vom Ministerium für Kultur der DDR aus der Ausstellung Kunstpreisträger des FDGB 1963 übereignet. Damit fand das Œuvre Willi Sittes auffallend im unmittelbaren Nachklang zu den Ereignissen der Jahre 1963/64 breiteren Eingang in die relevanten Museumssammlungen der DDR.

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