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Modernität und Utopie

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Zur Zeit des Eichmann-Prozesses, für Arendts politisches Denken eine besondere Herausforderung, waren Adorno und Horkheimer schon längst wieder zurück in Deutschland und in der deutschen Sprache der Eigentlichkeit. Aber die unerschöpfliche Vitalität der Bannwörter „Anpassung“, „Glück“ und „Selbsterhaltung“ erhielt sich in der kunstvoll konstruierten Erinnerung der amerikanischen Misere. Im Kampf gegen die westliche technokratische Massenkultur, die totale Entzauberung der Welt, an deren unvermeidbarem, endgültigem Ende „Auschwitz“ stand, dienten sie als Legitimationsbasis der Frankfurter Kulturkritik, die die intellektuelle Nachkriegsszene beherrschen sollte. Die Paranoia der Dialektik der Aufklärung hatte ihre Gründe in der sozialen und intellektuellen Marginalität der Exilierten, die sich ihrer kulturellen Vergangenheit beraubt fühlten und sie sich deshalb willkürlich und selektiv aneigneten: „Aufklärung“, beginnend mit dem Urbürger Odysseus, strebt zur (amerikanischen) Massenkultur, und deren totalitäre Herrschaft kulminiert im (deutschen) Faschismus. Dialektisch weitergetrieben ist Aufklärung die „radikal gewordene, mythische Angst“, die Paranoia des halbgebildeten, vergesellschafteten Kleinbürgers mit seiner vor allem gegen (gebildete) Juden gerichteten „Kastrationslust“.19 Damit sind identisch: der „vollendet Wahnsinnige“ und der „absolut Rationale“, Hitler und der Generaldirektor mit ungerührtem „Babygesicht“.20

Adornos 1942 in Los Angeles konzipierter Aufsatz „Aldous Huxley und die Utopie“ beginnt mit der pauschalen Abwertung der Motive früherer Immigranten im Unterschied zur zeitgenössischen intellektuellen Emigration. Der Einwanderer des neunzehnten Jahrhunderts kam nur, „um sein Glück zu machen […]. Das Interesse der Selbsterhaltung war stärker als das der Erhaltung des Selbst“.21 Brave New World, für Adorno nichts als das Produkt des amerikanischen „Schocks“ der Verdinglichung,22 war für Huxley ein Kommentar auf amerikanische Verhältnisse nur insofern, als in der Massentechnokratie des Einwanderungslandes sich neue, durch „social engineering“ gesteuerte Hierarchien abzuzeichnen begannen – auch das ein Aspekt der amerikanischen politischen Modernität. Für Adorno aber ist der Autor Huxley „unerbittlich“ der „Angepaßte“, der Verherrlicher der Natur, der Naturwissenschaften, der positivistische, puritanische Bürger,23 den er der gleichzeitigen „Freigabe und Erniedrigung des Geschlechts“ bezichtigt. Dabei ist ihm völlig entgangen die satirische Unterstreichung der modernen Symbiose zwischen Utopie und Dystopie, das Zusammenspiel von manipulierter (illusionärer) Freigabe der Lust – die mit Drogen kontrollierten Orgien, „orgy-porgy“ – und utopisch/dystopischer Stabilität – die biologische Programmierung der Brave New World erlaubt keine Veränderung. In bewährter Weise liest Adorno Huxley gegen den Strich, wenn er ihm unterstellt, in de Sades Revolution „die Vollendung der Narrheit folgerechter Vernunft“ zu sehen,24 um so seine eigene These von dem „objektiv“ notwendigen dialektischen Zusammenhang von Faschismus und amerikanischer Massengesellschaft zu untermauern.25 Dagegen setzte Huxleys kulturkritischer „Empirismus“ die Unmöglichkeit einer derartig „totalen“ Sicht (geschweige denn „Kritik“) der überwältigend pluralistischen Komponenten technokratischer Massengesellschaften voraus.

Der Motor der zutiefst ahistorischen eklektischen Argumentation der Dialektik der Aufklärung ist ein eschatologischer Geschichtsbegriff, der mit der Rolle des Zufalls in der Zukunft auch die Rolle vergangener zufallsbedingter Umstände verneint. Die Folge ist eine ideologische Verschlossenheit gegenüber der Potentialität der Zukunft – dem Unvorhersagbaren, Anderen –, die in der „theoretisch“ selbst-autorisierten Verfügungsgewalt über die Vergangenheit begründet ist. Diese zugleich omni-potente und verzweifelnde Rückblicksperspektive der Dialektik der Aufklärung auf die Zukunft mag 1944 in etwa verständlich gewesen sein. Aber das Vorwort zu der leicht revidierten Neuauflage von 1969 behauptete immer noch, daß die Thesen einer sich „unerbittlich“ selbst zerstörenden Aufklärung weiterhin gültig seien, daß die Verfasser die Zukunft im ganzen richtig gesehen hätten.

Adornos und Horkheimers aus dem Exil zurückgebrachte Klagen über die soziale Atomisierung durch den Faschismus der amerikanischen Kulturindustrie haben in Westdeutschland über Jahrzehnte ein großes Echo gefunden. Nach der Kultur- und Generationskatastrophe des Zweiten Weltkriegs haben Intellektuelle sich mit der „unter- oder hintergründigen Paradoxie“ getröstet, daß in der „Negativität die Positivität des Adornoschen Denkens beschlossen liegt“.26 Aber die aggressiven Vereinfachungen der Dialektik der Aufklärung haben das historische Verständnis zahlreicher Adepten verengt und sie davon abgehalten, sich auf die zeitliche Vielschichtigkeit, die Widersprüche und Brüche der deutschen Vergangenheit einzulassen – inbegriffen die außerordentliche kulturelle und intellektuelle Komplexität der europäischen Aufklärung und ihren Einfluß auf die politische Modernität Amerikas und damit auch Westdeutschlands. Die Kritische Theorie, dargelegt in Horkheimers Programmschrift Traditionelle und kritische Theorie (1937), bestand bereits nachdrücklich auf dem Primat der Theorie vor der Empirie – ganz zu schweigen von der Praxis. Dieses Primat verdankte sich also nicht erst dem Widerstand gegen die „Tyrannei des Empirismus“ in Amerika, obwohl es sich hier verstärkte, und sollte das Exil überdauern. Dafür zeugt zum Beispiel die scharfe Scheidung zwischen instrumentell subjektiver und dialektisch objektiver Vernunft, wie sie Horkheimers Festrede zur Übergabe des Rektorats der Frankfurter Goethe-Universität 1951 zelebrierte. In der „entzauberten“ (amerikanisierten, faschistoiden) Welt sind für Horkheimer Schönheit und Glück verschwunden, zur „hohlen Phrase“ herabgesunken „ohne den Schauer, der einmal die Menschen vor ihren Herrschern und Göttern ergriff“.27 Dieser Schauer muß in der Moderne das Kunstwerk auratisch vor den massenhaften Uneingeweihten schützen. Folgerichtig hatte sich Adorno in Amerika identifiziert mit Georges „asozialem“ Ästhetizismus der Verweigerung, so zu sein und zu sprechen wie die anderen: „Die Sprache ihnen rauben, der Kommunikation sich versagen, ist besser als Anpassung. […] Die Utopie des Ästhetizismus kündigt dem Glück den Gesellschaftsvertrag.“28

Das Losungswort „nicht mitmachen“, das Anpassungs- und Glücksverbot der Frankfurter in den USA, war ein Stoß ins Leere, denn der Trotz richtete sich gegen eine Gesellschaft, die eine andere Sprache spricht, schlechter allein darum, weil sie – ungelernt – unverständlich bleiben mußte. Die immanente Wirkungslosigkeit des von der Welt „befreiten“ Ästheten gebiert Paranoia: Die perfektionierte Herrschaft des „Kleinbürgertums“ in Amerika erschien Adorno als die gigantische Verschwörung der englischsprachigen Glücksgier gegen die Eigentlichkeit der deutschsprachigen Nichtanpassung. Meine obige Feststellung, daß Arendts Kulturkritik in Vita Activa, die direkte Auswirkungen auf ihre Argumentation in Über die Revolution hat, sich in einigen Punkten der Frankfurter Kulturkritik näherte, könnte mißverstanden werden: Bei aller in diesen Texten geäußerten Skepsis gegenüber einer wachsenden Technokratisierung bezieht sich Arendt ausdrücklich auf die mit anderen Beobachtern geteilte und mitgeteilte Erfahrung spezifischer naturwissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen. Mit dieser informierten, kritischen Perspektive ist sie Huxley näher als Adorno, der sich zufriedengibt mit der „emphatisch theoretischen“, verabsolutierten Ablehnung Amerikas als der „eingefrorenen Gesellschaft“ der Brave New World.29 Prinzipiell uninteressiert an den konkreten positiven und negativen Aspekten der amerikanischen Technokratie, hat Adorno denn auch nie die spezifische Modernität von Huxleys utopischer Konstruktion verstanden: Sie beruht auf der Kombination des utopischen Menschen, vorzüglich eine Erfindung der europäischen Aufklärung, mit der biotechnologisch utopischen Institution des zwanzigsten Jahrhunderts – des Jahrhunderts fiktionaler und aktualisierter Dystopien. Huxley, der Mores Utopia gelesen hatte („corruptio optimi pessima“) und Samjatins Wir, wußte sehr wohl, daß der dem künstlich konstruierten Gemeinwesen eigene Mechanismus der Selbst-Zerstörung als Auslöser die mitteilbare Einsicht des Dissenters in die dystopische Entwicklung des utopischen Gemeinwesens braucht. Wo aber die utopische Institution auf genetischer Kontrolle beruht, findet sich kein dystopischer, das heißt unabhängig denkender Dissident mehr, der sich Gehör verschaffen könnte, denn seine Argumente sind den utopischen Anderen, die sich alle gleich und damit unabänderlich solidarisch sind, prinzipiell nicht zugänglich. Die kollektive legitime Autorität, die solches unabhängige Denken – eine Gruppe von Dissidenten – stützen könnte, ist endgültig abgeschafft, und damit selbst die Idee politischer Freiheit und Gleichheit. Darum geht es in Brave New World, nicht um Glücksverbot oder Glücksgelöbnis. Mit seiner „unerbittlichen“ Abwehr der kulturellen Modernität Amerikas war Adorno uninteressiert an Huxleys Warnung, daß voraussehbare technologische Entwicklungen uns das Fürchten lehren könnten, aber auch an dem mit anderen geteilten, mitteilbaren Nachdenken über die Bedeutungen dieser besonders der westlichen Kultur inhärenten gefährlichen Möglichkeiten.

Vita Activa ist Arendts dringlichstes und auch utopistischstes Plädoyer – auf dem Hintergrund der Massenvernichtungen des Zweiten Weltkrieges – für eine relative Dauer menschlicher Kultur: die Möglichkeit, eine Zeitlang in der Welt heimisch zu sein und Spuren zu hinterlassen. Der Prolog beginnt mit der Beschreibung des ersten künstlichen Satelliten, der, wie alle Himmelskörper dem Naturgesetz der Schwerkraft unterworfen, mirakulös die Erde umkreist. Arendt teilt die allgemeine Bewunderung dieser wissenschaftlichen und technologischen Leistung, aber nicht ohne zu betonen, daß ihre Bedeutung für die Zukunft gemeinsam und öffentlich diskutiert werden müsse: „Sofern wir im Plural existieren, und das heißt, sofern wir in dieser Welt leben, uns bewegen und handeln, hat nur das Sinn, worüber wir miteinander oder wohl auch mit uns selbst sprechen können, was im Sprechen einen Sinn ergibt.“30 Das ist im Kern ihre Erfahrung der politischen Modernität Amerikas. Auf die kompliziertere, verwirrendere soziale und kulturelle amerikanische Modernität hat sie sich, darin durchaus „New York intellectual“, nicht wirklich eingelassen, was wohl auch der Grund war für ihre allzu klare Scheidung zwischen den Bereichen des „Sozialen“ und des „Politischen“ und der vereinfachend idealisierenden Rekonstruktion der amerikanischen Revolution, die nicht genügend Raum läßt für Verhandeln. Aber im Unterschied zu dem verhärteten kulturellen Elitismus der Frankfurter Schule, der Heideggers Verpönung des „Man“ durchaus nicht nachsteht, verteidigte sie in Amerika das Prinzip kultureller Pluralität. Es sollte nicht verwechselt werden mit dem heutigen globalisierenden, ideologischen Multikulturalismus, der im Kern antipluralistisch ist, weil er Identitäts-Politik auf der Basis jeweiliger Erinnerungen an vergangenes Leiden stützt und damit zu kultureller Polarisierung und Nivellierung führt. Im Kampf um die Hierarchie dauernder Privilegien unter Anrufung vergangener Zurücksetzungen und Verfolgungen – unsere Ethnie ist jetzt mächtiger als eure, weil sie vorher ohnmächtiger war – haben die kultur-politischen Strategien dieses Multikulturalismus viel von der Exklusivität und Solidarität der Erinnerungsdiskurse des Holocaust gelernt. Wie diese bedrohen und schwächen sie die in die Zukunft gerichteten Prozesse – die Natalität – einer nicht-hierarchischen kulturellen Pluralität. Die politische Praxis einer artikulierten Öffentlichkeit schien Arendt zeitweilig charakteristisch für die politische Modernität Amerikas als Erbe der amerikanischen Revolution. Heute wäre sie hier wahrscheinlich skeptischer – was ihre damaligen Einsichten in die problematischen Aspekte des politischen Zionismus um so bemerkenswerter macht.

Die Entdeckung der Freiheit

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