Читать книгу ZNT - Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang, Heft 48 (2021) - Группа авторов - Страница 16
8 Methodologisches
ОглавлениеDas Methodenspektrum der Arbeiten zu Kindern und Kindheit in der biblischen Welt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich erweitert. Die Forschung hat sich interdisziplinär entwickelt, wie in vielen der oben erwähnten Studien zu sehen ist; Beispiele für eine solche Interdisziplinarität sind bibelwissenschaftliche Kooperationen mit Archäologie, Medizin, Kunstgeschichte und Kulturanthropologie.1 Freilich war dieses Forschungsthema von Anfang an methodologisch breit aufgestellt. In den unter 7.1 genannten Bänden werden sowohl etablierte wie auch einige neuere Ansätze vorgestellt, diskutiert und an konkreten Texten ausprobiert.2 Die Autorinnen und Autoren veranschaulichen, wie solche Ansätze auf die Kindheitsforschung im Allgemeinen mit Blick auf das NT im Besonderen angewendet werden können. Beispiele sind die Kapitel über feministische Studien von Kathleen Gallagher Elkins, über disability studies von Anna Rebecca Solevåg, über Dekonstruktivismus von Murphy und über ritual studies von Betsworth und Martens.3
Einige andere Ansätze sind in ihrer besonderen Eignung für unser Thema ebenfalls erwähnenswert, etwa die Mikrogeschichte, die es ermöglicht, Alltagssituationen im Leben der Kinder zu konzeptualisieren. Durch das Zusammenfügen von Materialfragmenten aus unterschiedlichen Quellen lassen sich Szenarien entwerfen, die zum Teil fiktiv sind, sich aber dennoch als historisch eindeutig plausibel erweisen.4 Beispiele hierfür bietet H. Sivan in ihrem Band über Kindheit in jüdischen Kontexten.5
Von besonderem Interesse ist auch das Paradigma der Intersektionalität im Blick auf das Zusammentreffen von Alter, Klasse, Geschlecht, Status und anderen Faktoren im Leben von Kindern. Dieser Ansatz wird zum Beispiel von M.Y. MacDonald und Marianne Bjelland Kartzow auf das biblische Material angewendet.6 Mit „Gedächtnis“ bzw. „Erinnerung“ und „Mündlichkeit“ sind weitere Ansätze benannt, die für die historische Kindheitsforschung von offenkundiger Bedeutung sind, bisher jedoch nur wenig Beachtung gefunden haben. Das Gleiche gilt für die Männlichkeitsforschung.7 Gelegentlich haben sich Forschende dem biblischen Material über Kinder aus einer psychologischen Perspektive genähert, aber nur sehr vereinzelt geht es um das Neue Testament.8
Im Laufe der Jahre hat die Forschung über Kinder und Kindheit in der biblischen Welt selbst zu neuen Entwicklungen in der Methodik beigetragen. Diese lassen sich in zwei Haupttypen einteilen, einen systematisch-synthetischen und einen historisch-analytischen Typ. Ersterer ist enger mit der Hermeneutik verbunden, letzterer mit der Exegese. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sie in einem engen und kontinuierlichen Austausch miteinander stehen.
Der erste, traditionellere Typus besteht in der kritischen Reflexion über den Platz der Kinder in der Welt der Bibel, über den historischen Einfluss der Bibel auf das Leben von Kindern und über die Bedeutung und den Wert der Bibel für Kinder. Im Dialog mit der systematischen Theologie wurden im Laufe der Jahre Konzepte einer „Theologie der Kindheit“ entwickelt. Ein älteres Buch von Hans Urs von Balthasar (1988) ist in erster Linie forschungsgeschichtlich von Bedeutung, sofern es das Interesse an der Reflexion über Kinder in der Bibel geweckt hat.9 Ein neuerer Aufsatz von Walter Brüggemann (2008) verfolgt ein ähnliches Ziel und dient als Anregung, die Sorge um die Kinder auf ein biblisches Verständnis von Gott zu gründen.10 In einer Monographie entwickelt David Hadley Jensen (2005) eine Theologie der Kindheit auf der Grundlage des Kindes als „nach dem Bilde Gottes“ geschaffen.11 Kennzeichnend für die meisten dieser Beiträge ist, dass sie sich mit der Bibel als Ganzer befassen und dass sie sich den Quellen meist aus der Perspektive der Erwachsenen nähern. Etwas anders verhält es sich bei Francis Landy (1997), Danna Nolan Fewell (2003) und Kristin Herzog (2005), die sich kritisch mit dem Material aus der Perspektive moderner Kinder und ihrer Bedürfnisse und Interessen auseinandersetzen.12 Joyce Mercer (2005) verbindet eine Theologie der Kindheit mit biblischer Exegese und wendet diese in einem modernen sozialen und religiösen Kontext an.13
Während Ansätze einer „Theologie der Kindheit“ mindestens seit Anfang der 1990er Jahre entwickelt wurden, hat die „kindliche (childist) Auslegung“ oder „kindliche (childist) Interpretationen“ biblischer und anderer antiker, auch nicht-kanonischer Quellen, erst im letzten Jahrzehnt an Boden gewonnen.14 Dies ist das Ergebnis von Impulsen vor allem aus der allgemeinen Kindheitsforschung und den feministischen Studien, aber auch von Ansätzen innerhalb der Bibelwissenschaften selbst, wie der Redaktionskritik. Mehr noch als den Theologien der Kindheit liegt dieser Richtung daran, in enger Fühlung mit den Texten die Welt aus der Perspektive der Kinder selbst zu betrachten. Eine Monographie von Joseph Colle Grassi ist ein früher Beitrag (1991) hierzu.15 In jüngerer Zeit haben Julie Faith Parker (2013) und auch Sharon Betsworth (2015) Verfahren für eine kindgemäße Auslegung von Bibelstellen entwickelt.16 So entwickelt Parker beispielsweise ein spezifisches sechsstufiges exegetisches Verfahren für eine solche Auslegung. In einleitenden Artikeln geben Parker und Kathleen Gallagher Elkins sowie Kristine Henriksen Garroway und John W. Martens einen Überblick über diese Ansätze.17 Darüber hinaus analysiert Danna Nolan Fewell in ihrer Monographie (2003) das biblische Material aus der Perspektive der Handlungsfähigkeit von Kindern, und ich selbst entwickele in einem Kapitel spezifische Kriterien, um sich der Lebenswirklichkeit und dem kulturellen Umfeld von Kindern in der Antike anzunähern.18 Mehrere Kapitel in einem von Christian Laes und Ville Vuolanto herausgegebenen Band enthalten ebenfalls Ansätze, die zur Entwicklung kindlicher Interpretationen beitragen.19 Erkennbar beziehen sich Theologien der Kindheit und kindertheologische Konzepte nicht auf spezifische, klar definierte Konzepte; vielmehr dienen sie als Überbegriffe für Ansätze, die auf unterschiedliche Weise Kinder und ihre Lebensbedingungen, Rollen, Funktionen und Handlungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt stellen. In Anbetracht der vielen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte ist die Zeit vielleicht reif für eine systematischere Reflexion und auch für Versuche einer theologischen Synthese des Denkens über Kinder und Kindheit in der Bibel und insbesondere im NT.