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3.2 Kulturelle Nachhaltigkeit – Ökologisches Imaginäres – Wertebildung
ОглавлениеDie bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass sich die kulturwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung intensiv mit unmittelbar normativen Fragen beschäftigt, weil gerade kulturelle Produkte, die komplexes Lebenswissen und zentrale Werte wie Respekt vor der Natur sowie die Vorzüge kultureller Diversität vermitteln, die gesellschaftliche Implementierung von Lebenswissen und Werten allererst gewährleisten. Ein grundsätzlicher Beitrag der Kulturwissenschaft zur Nachhaltigkeitsdebatte liegt also in der Auseinandersetzung mit der Frage: Was für ein Leben wollen wir in Zukunft führen und auf welche Grundwerte verständigen wir uns (vgl. Wellner 2019)? Als ein normatives Konzept reichen die Implikationen von Nachhaltigkeit tief in den kulturellen Haushalt von Gesellschaften hinein. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen und Entwicklungen innerhalb der Nachhaltigkeitsforschung und -politik verdeutlicht, wie sehr vorgenommene Korrekturen des Nachhaltigkeitskonzepts und der Nachhaltigkeitspolitik der wichtigen Einsicht geschuldet sind, dass nachhaltiges Verhalten eng mit kulturellen und (von Kultur geprägten) persönlichen Werten zusammenhängt. Bei der Entwicklung einer nachhaltigeren Gesellschaft spielen Werte wie Umweltschutz, Generationengerechtigkeit oder nachhaltige Bildung eine zentrale Rolle, weil das Wertebewusstsein menschliche Handlungsweisen prägt. Kulturelle Produkte nehmen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselfunktion ein, weil Literatur, Film oder religiöse Narrative Werte entwickeln, formen und verhandeln und in der Folge konstitutiv für unsere ethischen Entscheidungen und unser Handeln sind. In diesem Zusammenhang ist Charles Taylors Konzept des ‚sozialen Imaginären‘ von Interesse. Dieses ‚soziale Imaginäre‘ besteht, so Taylor, aus Narrativen, Bildern und Ideen, die von vielen Leuten geteilt werden und soziale Praktiken ermöglichen: „making possible social practices and a widely shared sense of legitimacy“ (Taylor 2004, 23). Taylor erklärt seine Präferenz für den Begriff des ‚Imaginären‘ durch sein Interesse daran, wie sich Leute, d.h. große Gruppen von Menschen, wenn nicht sogar von einer ganzen Gesellschaft (und eben nicht nur gebildete Wissenschaftler*innen), ihre soziale Umwelt vorstellen. Die geteilten Vorstellungen finden meist nicht in Theorien, sondern in Bildern, Geschichten und Legenden ihren Ausdruck („ordinary people ‚imagine‘ their social surroundings, and this is often not expressed in theoretical terms, but is carried in images, stories, and legends“, Taylor 2004, 23). Das soziale Imaginäre ist komplex und hat faktische wie normative Anteile: „Such understanding is both factual and normative; that is, we have a sense of how things usually go, but this is interwoven with an idea of how they ought to go, of how missteps would invalidate the practice.“ (Taylor 2004, 24) In aktuellen Diskussionen über kulturelle Nachhaltigkeit wird in Anlehnung an Taylor häufig der Begriff des ‚ökologischen Imaginären‘ verwendet (Meireis & Rippl 2019b), was sich aufgrund der normativen Dimension anbietet. Der Begriff des ‚ökologischen Imaginären‘ dient dazu, die tiefgreifende Formung unserer kognitiven, normativen und emotionalen Wahrnehmung von Umweltthemen und Nachhaltigkeit durch kulturelle Produkte wie Bilder, Filme, graphic novels und Narrative zu beschreiben, die dann aufgrund ihrer normativen Dimension geteilte Handlungsoptionen eröffnen.
Dass sich Nachhaltigkeit trotz aller Anstrengungen bislang nicht etablieren konnte, dürfte damit zusammenhängen, dass den kulturellen Aspekten der Nachhaltigkeit, und insbesondere normativen, mit Werten zusammenhängenden Aspekten unseres Verhaltens, bislang nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde: „Reflexion auf und Kommunikation über das, was man für gut hält, und die angemessenen Umstände und Bedingungen seiner Umsetzung – genau darum geht es ja in der Ethik – scheint also alles andere als überflüssig“ (Meireis 2019b, 279). Torsten Meireis plädiert für eine „Ethik der Nachhaltigkeit“, welche nötig ist,
weil Menschen sich nicht nur der Frage stellen müssen, worauf sich der Gegenstandsbereich der Nachhaltigkeit eigentlich erstreckt, sondern auch derjenigen, woher ihre Kriterien stammen und wem oder was gegenüber wer eigentlich aus welchen Gründen in welcher Weise verpflichtet ist. Ethik, so die vorläufige Definition, ist die Reflexion auf moralische Vorstellungen über das Gute und Richtige, das Böse und Falsche. […] Ethik kann die moralischen Konflikte nicht einfach auflösen, aber sie stellt Werkzeuge bereit, die bei der Lösung helfen können, indem sie normative Probleme identifiziert. (Meireis 2019b, 280–281)
Eine stärkere Berücksichtigung kultureller Dimensionen der Nachhaltigkeit, die verstärkte Diskussion von Werten und die Entwicklung konkreter Verfahren normativer Abwägung würden der Tatsache Rechnung tragen, dass unsere Vorstellungen von Nachhaltigkeit und einem guten Leben in bestimmte Vorstellungen von Welt eingebettet sind. Daraus folgt, dass Kultur „den Horizont [bildet], in dem Wertorientierungen, normative Präferenzen, Vorstellungen und Bilder des richtigen und guten Lebens überhaupt gewonnen werden können“ (Meireis 2019b, 289; vgl. auch Rippl 2019b).