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2.2 Ökologisch lesen
ОглавлениеÖkologische Lesekompetenz ist als Ausdifferenzierung der allgemeinen Lesekompetenz zu verstehen und betont besonders das Zusammenspiel kognitiver, affektiver und konativer Elemente. Diese Fokussierung lässt sich aus drei Theoriebereichen argumentativ unterstützen: Erstens aus der Sozialtheorie, die Nachhaltigkeit als einen Handlungsmodus definiert, „mit dem die Vernutzung von Ressourcen eingedämmt und das Entwicklungsziel der Vorsorge erreicht werden soll.“ (Neckel 2018, 12) Zweitens aus den Bildungswissenschaften, die den Weg vom Umweltwissen zum Umwelthandeln als transformativen Lernprozess beschreiben, der ein wichtiger Bestandteil des lebenslangen Lernens ist (vgl. Sippl 2020, 2). Drittens aus der Literaturdidaktik, der es um „die den literarischen Texten als ästhetischen Konstrukten inhärenten Wert- und Weltvorstellungen geht“, die den Menschen „die überlebensnotwendige Möglichkeit“ eröffnen, „das eigene Handeln weiterzuentwickeln“ (Anselm 2017, 11). Wie kann auf dieser Basis Lesepraxis konkret verändert werden?
Das Mahatma Gandhi Institute of Education for Peace and Sustainable Development (MGIEP) erstellte im Auftrag der UNESCO ein Handbuch, das für die Verankerung von BNE in allen Fächern Handreichungen zur Entwicklung von Lehrmaterialien anbietet. Die Metapher der Verankerung signalisiert die tiefe Integration dieses Bildungsansatzes in das Erziehungssystem, die über eine bloße Ergänzung weit hinausgeht. Die Beschäftigung mit Sprache und Literatur soll zukünftige verantwortungsbewusste Global Citizens zu kompetenten Entscheidungen und Handlungen befähigen. Entsprechend wird Leseförderung nicht nur um ein aktuelles Themenspektrum erweitert, sondern durch die Einbeziehung konativer Elemente nachhaltig verändert.
Zwei Prinzipien leiten diesen Weg. Zunächst rückt die Entwicklung nachhaltiger Lesekompetenz von der Peripherie ins Zentrum, sodann wird multidisziplinär und fächerverbindend das Denken in Zusammenhängen gefördert. Gerade literarische Lesekompetenz spielt hier eine entscheidende Rolle: „Schülerinnen und Schüler lernen durch Literatur verschiedene Perspektiven und Werte, die wir für eine nachhaltige Welt brauchen.“ (UNESCO & MGIEP 2019, 209) Dabei muss sich die Textauswahl nicht zwingend auf Umweltthemen beziehen, sondern es geht um die Art des Lesens, die einen Bezug zur Nachhaltigkeit herstellt: „Ökokritisches Lesen interpretiert literarische Texte, wobei der Blick auf die Umwelt und auf die Beziehung der Menschen zu ihr gerichtet wird – einschließlich der sozialen und ökonomischen Implikationen.“ (Ebd., 210) Auf diese Weise wird jede Bildung zur Umweltbildung.
Wie neuere Forschungen zeigen, gehört Handlungsverstehen zu den literarischen Grundkompetenzen, über die schon kleine Kinder (in Abhängigkeit von ihrer kognitiven Denkentwicklung) verfügen (vgl. Boelmann & König 2021, 52); es wird früh erlernt und müsste verstärkt gefördert werden. Wenn es auf diese Weise gelänge, ein Bewusstsein zu schaffen, das „endlich eine Kohärenz zwischen dem Wissen und dem Verhalten“ (Pape 2019, 188) der Subjekte herstellen wird, wäre die große Transformation einen entschiedenen Schritt vorangekommen – ein wichtiger Mosaikstein, der zur Vollständigkeit eines ökologischen Denkens beiträgt, welches sich aus den nun näher zu beschreibenden Wurzeln der kulturökologischen Literaturdidaktik ableiten lässt.